Asymmetrische Entwicklung der polaren Eisschilde veränderte Eiszeitzyklen

Eine internationale Studie zeigt, wie die Entwicklung des antarktischen Eisschildes nicht nur die Arktis beeinflusst hat, sondern auch zu einer Änderung von Klimaschwankungen geführt hat, die sich bis heute auswirkt.
[01. August 2024] 

Die immer stärker werdende globale Erwärmung setzt unserem Planeten zunehmend zu. Arktis und Antarktis zeigen gravierende Veränderungen mit weitreichenden Folgen für das globale Klimasystem. Während das grönländische Eisschild und das Meereis der Arktis heute vergleichsweise schnell schmelzen, reagiert das Eis in der Antarktis langsamer und verzögert auf den Klimawandel. Asymmetrische Entwicklungen der Eisschilde hat es auch in der Erdvergangenheit gegeben. Ein internationales Forschungsteam zeigt nun zum ersten Mal, wie im Pleistozän, seit etwa 2 Millionen Jahren vor heute, eine solche asymmetrische Entwicklung der nördlichen und südlichen polaren Eismassen eine der wichtigsten Änderungen in der jüngeren Erdgeschichte ausgelöst haben könnte: die in der Fachsprache sogenannte mid-Pleistocene Transition (MPT). Das Alfred-Wegener-Institut war an der Studie beteiligt, die in der Fachzeitschrift Science erschien. 

Die MPT fand vor etwa einer Millionen Jahre über einen Zeitraum von mehreren hunderttausend Jahren statt und wirkt sich noch bis heute auf die Stärke und die Häufigkeit von Eis- und Warmzeiten aus, welchen unsere Vorfahren während der Entwicklung zum modernen Menschen ausgesetzt waren. Damals veränderte sich der zeitliche Rhythmus von Kalt- und Warmzeiten, und es bildete sich eine neue eiszeitliche Dynamik aus, die von einem relativ langsamen Aufbau von Eiszeiten und deren vergleichsweise abrupten Ende geprägt ist. Dauerte ein kompletter Zyklus von Warm- und Eiszeit vor der MPT etwa 41.000 Jahre, verlangsamte sich dieser Rhythmus nach der MPT auf etwa 100.000 Jahre. „Es gibt verschiedene Hypothesen dazu, was die MPT ausgelöst haben könnte“, sagt Dr. Christian Stepanek, Mitautor der Studie und Forscher am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Eine davon betrifft die Größe der Eisschilde der nördlichen Hemisphäre, die um die Zeit der MPT größer wurden. Diese könnten dann anfälliger für niedrige Frequenzen der Veränderungen in der Sonneneinstrahlung geworden sein, die auf fortwährenden natürlichen Variationen der Rotationsachse und der Umlaufbahn der Erde um die Sonne beruhen. Zusammen mit nachgelagerten Prozessen im Erd- und Klimasystem sind es solche Änderungen in der Sonneneinstrahlung, die Entstehung und Ende von Eiszeiten begründen.“ 

Die Studie, die unter der Leitung von An Zhisheng von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS) erstellt wurde, beschreibt nun eine mögliche Ursache für die Veränderungen der Eisschilde in der nördlichen Hemisphäre des Pleistozäns: Demnach könnte eine sich langsam intensivierende Vereisung der Antarktis Bedingungen herbeigeführt haben, unter denen auch die Arktis stärker zufrieren konnte. „Wir fanden nicht nur heraus, dass die antarktischen Eisschilde während des Pleistozäns früher gewachsen sind als ihre Gegenstücke auf der Nordhalbkugel. Mit Hilfe numerischer Klimamodelle zeigen wir auch, dass das erhöhte Eisvolumen auf der Südhalbkugel die Umweltbedingungen für das spätere Wachstum der Eisschilde auf der Nordhalbkugel geprägt haben könnte“, so Christian Stepanek. Demnach hatte die Ausdehnung der Eisschilde und des Meereises in der südlichen Hemisphäre einen Einfluss auf die Dynamik der Ozeane und der Atmosphäre. Insbesondere führte es zu einer Abkühlung nördlicher Polarregionen und zu einem erhöhten Transport von Feuchte in den Norden. Zusammen mit kohlendioxidbedingten Rückkopplungen könnte dies dazu geführt haben, dass die Eisschilde auf der Nordhemisphäre wuchsen und damit die Entstehung der MPT begünstigten. Denn diese überschneidet sich mit der Ausdehnung der Eismassen in der nördlichen Hemisphäre vor etwa 1,25 Millionen Jahren, während die Eisschilde der südlichen Hemisphäre sich laut dieser Studie deutlich früher vergrößerten.

„Neu an unserem Ansatz ist, dass wir die Entwicklung des Eisvolumens in den Hemisphären während des Pleistozäns getrennt darstellen“, ergänzt Gerrit Lohmann, ebenfalls Mitautor der Studie. Durch die Verknüpfung von geologischen Aufzeichnungen mit numerischen Klimasimulationen, an welchen die AWI-Forschenden maßgeblich beteiligt waren, illustriert die Studie wie Prozesse und Entwicklungen in der südlichen Hemisphäre Bedingungen in der nördlichen Hemisphäre kontrolliert haben könnten, die für den Aufbau von Eisschilden und für die Entstehung der MPT günstig sind. „Für mich persönlich war beeindruckend, wie gut die in unserer Studie rekonstruierten Eisschildvolumina für die beiden Hemisphären mit dem gesamten globalen Eisschildvolumen übereinstimmten, das zuvor mit anderen Methoden abgeleitet worden war“, sagt Christian Stepanek. 

Die Ergebnisse machen die tiefgreifenden Auswirkungen der asymmetrischen Entwicklung der polaren Eisschilde auf das globale Klima, insbesondere auf das Klima der nördlichen Hemisphäre, deutlich. Sie zeigen, dass Veränderungen in den Eismassen im Norden und in der Antarktis, die räumlich weit getrennt sind, sich trotzdem gegenseitig beeinflussen und zu Abweichungen im globalen Klima führen können. „Diese Schlussfolgerung könnte für den heutigen Klimawandel von Bedeutung sein, bei dem die nördliche Hemisphäre bei der Reaktion auf die globale Erwärmung bisher die Nase vorn hatte, die südliche Hemisphäre aber nun aufzuholen scheint, was den Rückgang in der Kryosphäre betrifft“, betont Gerrit Lohmann.

Die Studie ist eine Zusammenarbeit der Chinese Academy of Sciences (CAS) und der National Academy of Sciences, USA, dem AWI, dem Institute of Tibetan Plateau Research CAS, der University of Hong Kong, dem British Antarctic Survey, des Laoshan Laboratory, der Xi'an Jiaotong University, der Nanjing University, der Brown University, der Beijing Normal University, der Ocean University of China und der Australian National University.

Originalpublikation:

An Zhisheng, Weijian Zhou, Zeke Zhang, Xu Zhang, Zhonghui Liu, Youbin Sun, Steven C. Clemens, Lixin Wu, Jiaju Zhao, Zhengguo Shi, Xiaolin Ma, Hong Yan, Gaojun Li, Yanjun Cai, Jimin Yu, Yuchen Sun, Siqi Lis, Yu'ao Zhang, Christian Stepanek, Gerrit Lohmann, Guocheng Dong, Hai Cheng, Yu Liu, Zhangdong Jin, Tao Li, Yifei Hao, Jing Lei, and Wenju Cai: Mid-Pleistocene climate transition triggered by Antarctic ice sheet growth, Science, RAabn4861/AA/ATMOS, in press. DOI: 10.1126/science.abn486.