Blick in die Chronik von FS Polarstern
"Wollen wir einen Marmeladeneimer oder ein solides, herzeigbares Schiff für die deutsche Antarktisforschung?" Mit dieser Frage an den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt legte der Bremerhavener Bundestagsabgeordnete Horst Grunenberg im Juli 1978 den Grundstein für die Erfolgsgeschichte des Forschungseisbrechers Polarstern. Noch in derselben Nacht nämlich ließ der Kanzler die geplante Investitionssumme für das Forschungsschiff verdoppeln. Solche Meilensteine in der über 30-jährigen Geschichte des Forschungsschiffs trägt Dr. Christian Salewski, Archivar des am Alfred-Wegener-Institutes ansässigen Archives für deutsche Polarforschung, zusammen. Wir dokumentieren Auszüge aus der Chronik.
Die Bundesregierung stellt 1978 unter Kanzler Helmut Schmidt 110 Millionen DM zum Bau eines Polarforschungsschiffes bereit. Die Ausschreibung für den Bau des Schiffes erfolgt im Juni 1979 auf Grundlage von Untersuchungen der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA). Der Auftrag geht an Howaldtswerke-Deutsche Werft in Kiel und Werft Nobiskrug in Rendsburg.
- 13.02.1978 - Der Bremerhavener Bundestagsabgeordnete Horst Grunenberg (1928-2006) fordert in einem Vermerk an die SPD-Bundestagsfraktion ein eisgängiges „Schiff, das sowohl Transport- als auch Forschungsszwecke erfüllen kann“.
- 10.05.1978 - Eine Besprechung von Vertretern verschiedener Ministerien im damaligen Bundesministerium für Forschung und Technologie fordert „eine Präferenz für ein kombiniertes Versorgungs- und Forschungsschiff hoher Eisklasse“.
- 23.06.1978 - Auf der ersten Sitzung des deutschen Landesausschusses des Wissenschaftlichen Komitees für Antarktisforschung (Scientific Committee on Antartic Research – SCAR) wird eine AG Antarktisschiff gegründet. Sie wird vom damaligen Direktor des Instituts für Meeresforschung in Bremerhaven, Sebastian Gerlach (1929-2010), geleitet.
- 26.-28.07.1978 - Die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt beschließt, zum Bau eines Schiffes für die Polarforschung 110 Millionen DM (gut 56 Millionen Euro) bereitzustellen. Diese Summe wird vom Deutschen Bundestag im Rahmen der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes für das Jahr 1979 mit der Mehrheit der damaligen Koalition aus SPD und FDP bewilligt.
Autor: Christian Salewski
Auftragserteilung
Bevor mit dem Bau des Forschungseisbrechers begonnen werden kann, werden Entwürfe gezeichnet und Modelle durchgespielt. Vor allem weil das Schiff auch Eisfahrten bewältigen können soll, ist die Schiffsfestigkeit zentrales Thema.
Das Konsortium "Polarforschungsschiff" realisiert von 1980 bis 1982 den Bau mit Unterstützung der HSVA, dem Ingenieurbüro Schiffko und der Zentralstelle für Schiffs-und Maschinentechnik der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord. Die Baukosten liegen bei 188 Millionen DM (gut 96 Millionen Euro).
- Juni 1979 - Die Ausschreibung für den Bau des Polarforschungsschiffes erfolgt auf Grundlage von Untersuchungen der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA). Die Versuchsanstalt leitet daraus einen neuen, deutlich teureren Schiffstyp ab.
- 30.08.1980 - Forschungsminister Volker Hauff (*1940) vergibt den Bauauftrag für das Schiff an das Konsortium „Polarforschungsschiff“ (Howaldtswerke-Deutsche Werft – HDW – in Kiel und Werft Nobiskrug in Rendsburg).
Autor: Christian Salewski
Kiellegung | Taufe | Indienststellung |
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22.09.1981 in Kiel | 25.01.1982 auf den Namen „Polarstern“ | 9. Dezember 1982 durch Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber |
Bauphase
Die ersten Fahrten führen den neuen Forschungseisbrecher Polarstern gleich in Arktis und Antarktis - er trotzt erfolgreich Wind, Wellen, Schnee und Eis. 1985 kann die Crew mit Polarstern sogar ein festsitzendes britisches Forschungsschiff aus dem Packeis befreien. Zum ersten Mal nimmt der Forschungseisbrecher Polarstern 1986 an einem Winterexperiment im antarktischen Wedellmeer teil. Die Wirkung des Meereises sowohl auf die ozeanische und atmospharische Zirkulation als auch auf die biologische Entwicklung im Wasser soll untersucht werden. Als erstes Schiff durchbricht Polarstern den winterlichen Packeisgürtel des Südpolarmeeres.
- 09.12.1982 - FS Polarstern wird vom Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber (*1935) übernommen.
- 27.12.1982 - FS Polarstern begibt sich auf seine erste Fahrt in die Antarktis. Das Schiff soll dorthin u. a. Material für den Bau der Georg-von-Neumayer-Station, ein luftchemisches Laboratorium und mehrere Schneefahrzeuge transportieren.
- Oktober 1983 - Der erste AWI-Direktor und einer der ersten Fahrleiter auf FS Polarstern, Gotthilf Hempel (*1929), bewertet die erste Antarktisreise des Schiffes auf einem Vortrag positiv: „Ohne Ausfälle in lebenswichtigen Teilen hat das Schiff alle Aufgaben der ersten Antarktis-Expedition erfüllt.“
- 1983-1984 - Auf den ersten beiden Arktisfahrten von FS Polarstern nehmen Wissenschaftler des Schiffes am internationalen Experiment MIZEX teil. Es sollen die physikalischen Prozesse und das marinebiologische Ökosystem in der Eisrandzone der Grönlandsee untersucht werden.
- 20.12.1985 - FS Polarstern befreit das im Packeis eingeschlossene britische Forschungsschiff John Biscoe.
Autor: Christian Salewski
Erste Einsätze und Winterexperiment
Als die Wiedervereinigung stattfindet, befinden sich noch Wissenschaftler in der Georg-Forster-Station der DDR. FS Polarstern bringt die DDR-Polarforscher von dort mit zurück in das vereinigte Deutschland.
- 1990 - Das Schiff holt die Besatzung der DDR-Forschungsstation „Georg Forster“ ab und bringt sie zurück in das sich gerade wiedervereinigende Deutschland. Die Besatzung war am 17.10.1989 aufgebrochen und überwinterte in der Saison 1989/90.
- 07.09.1991 - FS Polarstern erreicht zusammen mit dem schwedischen Eisbrecher Oden zum ersten Mal den geographischen Nordpol.
- 1993 - Erste Winterexpedition in die Arktis – FS Polarstern führt als erstes ausländisches Schiff Forschungsarbeiten bei Franz-Joseph-Land und in der sibirischen Laptewsee durch.
- 1998-2001 - Im Erneuerungsprogramm „Midlife-Conversion“ wird FS Polarstern nach 16 Jahren Betriebszeit technisch modernisiert. Die Rundumerneuerung kann bei laufendem Betrieb in nur kurzen Werftaufenthalten durchgeführt werden.
- Januar - März 1999 - Das Schiff birgt u. a. die Filchner-Station, die sich auf dem vom Filchner-Ronne-Schelfeis abgebrochenen Eisberg A-38 befindet.
Autor: Christian Salewski
Wiedervereinigung
FS Polarstern trifft sich 2001 mit dem US-Forschungsschiff Healy und dem Eisbrecher Oden in der Mitte des Arktischen Ozeans auf 85°30'N und 015°00'O über dem Gakkelrücken.
- November 2000 - Das Schiff nimmt am EisenEx-Experiment teil. Dabei soll untersucht werden, inwieweit sich im antarktischen Zirkumpolarstrom das Algenwachstum durch Düngung mit Eisensulfat beeinflussen lässt und wie sich dieses Wachstum auf die Biosphäre auswirkt.
- 23.08.2001 - FS Polarstern trifft sich mit dem US-Forschungsschiff Healy und dem Eisbrecher Oden in der Mitte des arktischen Ozeans auf 85° 30 N und 015°00‘ O über der Gakkel Ridge.
- 2004-2005 - Im Rahmen des Ice-Station-Polarstern-Experiments legt das Schiff an einer Eisscholle an und lässt sich zwei Monate durch das Weddell-Meer treiben. Polarforscher können die Eisscholle als riesiges Freiluftlabor nutzen und die lokalen Einflüsse des Meeres, des Eises und der Atmosphäre auf die Weddell-See und auf globale Prozesse untersuchen.
- August - Oktober 2008 - FS Polarstern umrundet als erstes Forschungsschiff der Welt den Nordpol. Dabei wird der Boden des Arktischen Ozeans untersucht.
Autor: Christian Salewski
Gipfel der Forschungsschiffe
Im Jahr 2012 wird das Forschungsschiff Polarstern 30 Jahre alt - aber dank guter Pflege noch immer fit für die Fahrt ins Eis. Den Geburtstag verbringt der Forschungseisbrecher denn auch in der Weite der Antarktis. Die Öffentlichkeit darf das Schiff im Juni besichtigen, bevor es für eineinhalb Jahre die Südhalbkugel der Erde bereist.
- 03.10.2011 – FS Polarstern kehrt von der Expedition "Trans-Arctic Survey of the Arctic in Transition” (TransArc) zurück. Die Reise dient der Erfassung der physikalischen, biologischen und chemischen Veränderungen im Arktischen Ozean. Während der Expedition erreicht das Schiff zum dritten Mal in seiner Geschichte den Nordpol.
- 10.2011-05.2012 – FS Polarstern befindet sich auf seiner 28. Expedition in der Antarktis. Auf der Expedition werden u. a. Bewegungs- und Verteilungsmuster von Walen untersucht. Daneben werden die Projekte "Eddy Pump" und "System Coupling in the deep Southern Ocean II (SYSTCO II)" durchgeführt.
- 03.06.2012 – Das Schiff wird für die Öffentlichkeit im Rahmen des traditionellen "Open Ship" zugänglich gemacht. Über 5.000 Menschen besuchen FS Polarstern.
- 06.2012-10.2012 – Während des 27. Aufenthaltes von FS Polarstern in der Arktis werden im Rahmen der Expedition"Sea ice - ocean - seafloor interactions in the changing Arctic" (IceAr) u. a. die längerfristigen Veränderungen in diesem Meeresgebiet und deren Zusammenhang mit einer möglichen Klimaveränderung analysiert. Dazu steuert das Schiff 306 Messstationen an, macht an neun Eisschollen fest und legt dabei 12.000 Kilometer zurück. Am Ende der Expedition unterstützt das Schiff das norwegische Luftkissenboot RH Sabvabaa bei der Rückkehr nach Spitzbergen.
- 10.2012-04.2014 – Auf der 29. Antarktisexpedition von Polarstern untersuchen die Wissenschaftler an Bord die Entwicklung des antarktischen Ökosystems nach dem polaren Winter und die Ursachen der unterschiedlichen Entwicklung der antarktischen und arktischen Meereisschilde. Dazu überwintert das Schiff zum sechsten Mal im südlichen Polargebiet und ist insgesamt gut 17 Monate und 2 Wochen im Einsatz. Auf dieser Fahrt, am 09.12.2012, wird das Schiff 30 Jahre alt.
- 06.2014-10.2014 – Die 28. Polarstern-Expedition in die Arktis befasst sich ein weiteres Mal mit längerfristigen Veränderungen in diesem Meeresgebiet und deren möglichen Zusammenhang mit dem fortschreitenden Klimawandel. Daher werden bereits 10 Jahre währende ozeanographische und biologische Langzeitstudien – in diesem Jahr u. a. erstmalig im Rahmen des von der Helmholtz-Gemeinschaft geförderten Infrastruktur-Projektes „FRontiers in Arctic marine Monitoring“ (FRAM) – fortgeführt. Die während der Expedition an den Abrisskanten des Lomonossow-Rückens gefundenen Sedimente aus der Zeit vor 30 bis 40 Millionen Jahren ermöglichen einen der ersten Einblicke in diesen Teil der Klimageschichte des Atlantischen Ozeans.
- 22.07.2014 – Das AWI und die Reederei F. Laeisz unterzeichnen einen Vertrag u. a. über die Bereederung von Polarstern 2 für den Zeitraum von 2019 bis 2025. Zuvor erhielt die Reederei in einem europaweiten Ausschreibungsverfahren des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) den Zuschlag, das Ministerium beim Entwurf und Bau des neuen Forschungsschiffes zu beraten.
- 18.12.2014 – Das Bundesforschungsministerium veröffentlicht den Teilnehmerwettbewerb für das Vergabeverfahren „Bau und betriebsfertige Lieferung des neuen eisbrechenden Polarforschungs- und Versorgungsschiffes Polarstern II“.
- 10.2014-03.2015 – Auf dem ersten Fahrtabschnitt seiner 30. Antarktisexpedition ermöglicht FS Polarstern 22 Doktoranden und Masterstudenten hydroakustische Messverfahren unter realen Bedingungen einzusetzen. Das Schiff wird so zu einer "schwimmenden Universität". Auf dem zweiten Fahrtabschnitt kann mit seiner Hilfe im Rahmen von verschiedenen Forschungsvorhaben eine größere Zahl von Messbojen und Fangnetzen ausgebracht werden. Auf diese Weise sollen Daten zur Untersuchung des Zirkumpolarstroms, der biogeochemischen Stoffflüsse im Südozean und des Meereises als Lebensraum und Nahrungsreserve der antarktischen Fauna gewonnen werden.
Auf dem Weg zur Neumayer-Station III trat bei einem der Verstellpropeller von Polarstern ein elektrischer Defekt auf, so dass die Schiffsleitung Anfang Januar entscheidet, die laufende Expedition abzubrechen und das Schiff zu Reparaturzwecken nach Bremerhaven zurückzuführen. Das Schiff ist mit der defekten Schraube im Eis kaum noch manövrierfähig. So können nur noch die Neumayer-Station versorgt und glaziologische Daten in der Atka-Bucht erhoben werden, bevor sich das Schiff ab dem 06.01.2015 wieder auf den Weg nach Norden macht. Am 10. März trifft Polarstern wieder in Bremerhaven ein. - 19.05.2015 – FS Polarstern begibt sich nach einer nur 70-tägigen Reparatur-, Überholungs- und Erprobungsphase wieder auf eine – die 29. – Arktisexpedition. Die Expedition, die offiziell als „Transitions in the Arctic Seasonal Sea Ice Zone“ (TRANSSIZ) bezeichnet wird, ist vom internationalen, hauptsächlich aus Nachwuchswissenschaftlern bestehenden Netzwerk „Arctic in Rapid Transition“ (ART) geplant worden, das "klimatische Veränderungen in der Arktis interdisziplinär und über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg" untersuchen will. Ziel der Expedition ist deshalb u. a. die Analyse des Wachstums von pflanzlichen und tierischen Organismen unter dem arktischen Meereis vor dem Hintergrund seines immer früheren Verschwindens aus immer größeren Bereichen der Nordpolarregion.
Autor: Christian Salewski