Von den Anfängen bis heute

Die Wattenmeerstation Sylt – die nördlichste Forschungseinrichtung Deutschlands – kann auf eine 100-jährige Geschichte und eine lange Tradition als Teil der 1892 gegründeten Biologischen Anstalt Helgoland (BAH) zurückblicken. Ihre Entstehung ist dabei eng mit der europäischen Auster verknüpft. Denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Austernbestände in der Nordsee infolge intensiver Fischerei stark zurückgegangen. Um die Lebensbedingungen der bedrohten Tierart besser zu verstehen und Möglichkeiten für eine effektive Zucht auszuloten, begann der deutsche Meeresbiologe und damalige BAH-Mitarbeiter Prof. Dr. Arthur Hagmeier im Jahr 1912 mit seinen wissenschaftlichen Untersuchungen an Austern und anderen Muscheln. Die bestehenden Austernanlagen in List auf Sylt waren dafür ein hervorragend geeigneter Studienort. Heute gilt Hagmeier als einer der Pioniere und Begründer der deutschen Wattenmeerforschung.

1924 schloss die BAH mit der Austernfischerei-Aktiengesellschaft einen Vertrag über die wissenschaftliche Nutzung eines Gebäudeteils in List auf Sylt. Dies war die Geburtsstunde der heutigen Wattenmeerstation. Die wichtigsten Aufgaben des neuen Zweiglaboratoriums der BAH waren laut Hagmeier die wissenschaftliche und fischereiliche Untersuchung über den Zustand der fiskalischen Austernbänke und die Ausarbeitung von Methoden für die künstliche Austernzucht. 1934 wurde Arthur Hagmeier als Nachfolger von Wilhelm Mielck neuer Direktor der BAH. Durch die Stilllegung des Lister Hafens wurde die Austernanlage 1935 zusammen mit der Zweigstelle der BAH geschlossen und im Jahr 1937 auf dem Sylter Ellenbogen wiedereröffnet.

Der Zweite Weltkrieg führte zur vollständigen Zerstörung der BAH auf Helgoland. Da die Gebäude auf dem Ellenbogen auf Sylt unbeschädigt waren, wurde ein Großteil der Helgoländer Forschung nach Sylt verlegt. Parallel wurden auch Forschungsarbeiten in Cuxhaven und Hamburg durchgeführt. Zu Beginn fehlte es in der unmittelbaren Nachkriegszeit allerdings nicht nur an einer entsprechenden Ausrüstung (Lieferwagen, Forschungsschiff, Schreibmaschine etc.), sondern auch an Lebensmitteln. So schreibt Hagmeier am 3. Februar 1946 an einen Kollegen: „Wie ich Ihnen schon erzählte, will ich auf dem Ellenbogen auch einen Gemüsegarten anlegen. Wichtig wäre vor allen Dingen die Produktion von Kartoffeln und Möhren. Haben Sie nun Erfahrung […] welche Kartoffelsorten für den Sand zwischen den Dünen zu empfehlen sind?“. 

Trotz der schwierigen Umstände wurde die wissenschaftliche Arbeit bald wieder aufgenommen und es dauerte nicht lange, bis Gastforschende an die Station kamen und hier auch universitäre Lehrveranstaltungen abgehalten wurden. Der rege Gastforschungs- und Kursbetrieb sorgte allerdings schnell für Platzmangel. Durch die Übernahme des Hafenlabors konnte schließlich 1951 neuer Platz für Gastforschende und Lehrveranstaltungen geschaffen werden. Arthur Hagmeier wurde 1953 pensioniert und starb 1957 in Kiel. 

1959 wurde die Station auf Helgoland wiedereröffnet. In der Folge siedelten die meisten Mitarbeitenden von Sylt nach Helgoland um. Die Gebäude auf dem Ellenbogen wurden aufgegeben und die restlichen Mitarbeitenden zogen in das Hafenlabor. Die Station auf Sylt kehrte somit zu ihrem ursprünglichen Status als Außenstelle der BAH zurück. Deshalb gab es seitens des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, dem die BAH unterstellt war, Überlegungen, die Station zu schließen. Dank des Einsatzes des damaligen BAH-Direktors Prof. Dr. Otto Kinne wurden die Pläne wieder verworfen und die Weiterführung der Wattenmeerstation auf Sylt war gesichert. Es folgte der Bau eines neuen Institutsgebäudes, das 1972 eingeweiht wurde und zahlreiche Laborräume für feste Mitarbeitende und Gäste beherbergte. 1978 erhielt die Station mit dem Katamaran Mya ein watttaugliches Forschungsschiff. Im Jahr 1998 wurde die BAH in die Stiftung Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung integriert. 2008 wurde das Institutsgebäude vergrößert und umgebaut. Der dabei neu geschaffene Platz machte schließlich auch den Umzug des Lehrbetriebs aus dem Hafenlabor möglich. Dieses konnte daraufhin geschlossen werden, so dass seitdem Forschung und Lehre in List unter einem Institutsdach vereint sind. Im Jahr 2013 wurde das hochmoderne und umweltfreundliche Forschungsschiff Mya II in Dienst gestellt, das den in die Jahre gekommenen Katamaran Mya ersetzt. 

Heute stehen vor allem die Folgen des Klimawandels für das Ökosystem Wattenmeer im Fokus der Forschung in List auf Sylt. Und diese sind schon heute erheblich: Das Wasser erwärmt sich rasant. Die Auswirkungen des Klimawandel sowie die Untersuchung von damit verbundenen neuen Nahrungsnetzen werden seit einigen Jahren in einer einmaligen Watt- und Gezeiten-Experimentieranlage mit großen Seewassertanks – sogenannten Mesokosmen – simuliert und untersucht. Die an der Wattenmeerstation gewonnenen Daten und Analysen unterstützen die Zukunftsplanung für die deutschen Küstenmeere.