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Eine der außergewöhnlichsten Büchersammlungen der Welt - Die Bibliothek im Eis
Wie ist die Idee entstanden, die "Bibliothek im Eis" als Kunstprojekt in der Antarktis zu schaffen?
Zwischen der Idee zur „Bibliothek im Eis“ und ihrer Realisierung und Eröffnung an der Neumayer II-Station im Januar 2005 lagen rund 10 Jahre. 1994/95 hatte ich als erster Künstler die Gelegenheit, an der Expedition ANT XII-2 des Alfred-Wegener-Instituts in die Antarktis teilzunehmen. Und es waren zwei Aspekte, die mich zur Idee der „Bibliothek im Eis“ brachten. Erstens die vielen Gespräche mit den Wissenschaftler:innen, sowohl auf dem Forschungsschiff Polarstern als auch in der Neumayer II-Station selbst, die mir zeigten, wie wichtig der Dialog von Kunst und Wissenschaft ist. Die naturwissenschaftlichen Untersuchungen zur Beschaffenheit der Antarktis und meine künstlerischen Untersuchungen zu den Befindlichkeiten des Naturraums ergänzten sich hervorragend. Es waren angeregte Gespräche und Diskussionen über ihre Forschungen, aber auch über das Leben fernab der Heimat. Die Überwinterer erzählten von ihrer Zeit in der Antarktis, dem Leben und Arbeiten in der Station unter dem Eis, zwar geschützt vor Wind und Wetter, aber ohne Fenster, ohne Tageslicht, ohne Blick in die Weite des antarktischen Naturraums. Es war eine funktionale, rein auf die naturwissenschaftlichen Anforderungen ausgerichtete Station. Das war der zweite Aspekt.
Den Dialog wollte ich in einer besonderen Weise fortführen. Damals reifte in mir der Gedanke, einen Gegenpol zur funktionalen Station zu schaffen. Einen Ort des Dialogs von Kunst und Wissenschaft auf dem Eis, einen Rückzugsort für die Überwinterer, einen beheizten, schön eingerichteten Raum zum Lesen, mit einem Fenster für den Blick in die Weite: Eine Bibliothek – einen Raum voller Bücher.
Die „Bibliothek im Eis“ ist ein Ort des Austauschs und der Reflexion, der weit entfernt von der alltäglichen Routine der Forschungsstation liegt. Wie hast du dir die Gestaltung dieses Ortes vorgestellt und nach welchen Kriterien wurden die Bücher ausgewählt, die in der Bibliothek stehen?
So weit das Auge reicht, beherrschen Schnee und Eis die Weite der Antarktis. Es schillert je nach Tageszeit in vielen verschiedenen Farbtönen, aber was dort völlig fehlt, ist die Farbe Grün. Daher wählte ich als Außenfarbe des speziell isolieren 20-Fuß-Containers, in dem die „Bibliothek im Eis“ entstehen sollte, jeweils einen anderen Grünton für die Außenwände: maigrün, smaragdgrün, gelbgrün und laubgrün. Der Boden und das Dach der Bibliothek sind leuchtend rot lackiert. Das Innere der Bibliothek ist ausgelegt mit Teppichboden und eingerichtet mit warmtonigen Kirschholzregalen sowie einem bequemen Ledersofa mit Kissen. Die Wände sind stoffbespannt und vor dem Fenster steht ein Schreibtisch mit Sessel. Die Beleuchtung schafft ein warmes Raumlicht.
Die „Bibliothek im Eis“ sollte in einer gewissen Entfernung zur Station stehen, damit die Überwinterer bewusst zum Ort der Kultur gehen und auch einen gewissen Abstand zum Arbeitsleben spüren.
Den begonnenen Dialog zwischen mir als Künstler und den Wissenschaftler:innen wollte ich über den Dialog zwischen den Überwinterern in der Antarktis und Menschen in der fernen Heimat fortsetzen: Ich schrieb und schreibe noch heute persönlich Künstler:innen und Wissenschaftler:innen an mit der Bitte, ein Buch für diese Bibliothek zu stiften, von dem sie glauben, dass die Überwinterer es unbedingt lesen sollten. Alle sollten vorne in das Buch ihren Namen schreiben und ein Statement, warum sie gerade dieses Buch gewählt haben. So sollte ein besonderer Dialog zwischen Stifter:innen und Leser:innen entstehen.
Über die kulturelle Bedeutung dieses Projekts hinaus, wie gestaltete sich der Umzug dieser Bibliothek zur Neumayer III-Station, und welche Herausforderungen mussten dabei gemeistert werden?
Bei der notwendigen Versetzung der Bibliothek an die neue Neumayer III-Station war ich persönlich nicht dabei. Aber mir wurde berichtet, dass die Versetzung des Bibliotheks-Containers, der auf einer Schlittenkonstruktion steht, schon eine besondere Herausforderung für die Überwinterer und Logistiker vor Ort war. Sie spannten Netze vor die Regale, damit beim Transport keine Bücher herausfallen konnten. Andere lose Gegenstände wurden mit Gurten befestigt. Mit diesen Vorsichtsmaßnahmen war es dann ein problemloser Schlittentransport zum neuen Standort.
Kannst du einige Beispiele für die Bücher in den Regalen der Bibliothek nennen und welche Kriterien gelten für Künstler:innen und Wissenschaftler:innen, die Bücher für diesen Ort stiften dürfen?
In der „Bibliothek im Eis“ befinden sich inzwischen knapp 700 Bücher. Ich schreibe Künstler:innen, Schriftsteller:innen, Kulturschaffende und Wissenschaftler:innen ganz unterschiedlicher Disziplinen an, die mir in spannender Weise auffallen. Von Lyrik über Romane, Sachbücher, Bildbände und unterhaltender Literatur ist alles dabei, mit einer Stifterbegründung. Aber weder die einzelnen Titel noch die Namen der angeschriebenen Stifter:innen und ihre oft sehr persönlichen Widmungen werden veröffentlicht. Die Bücher sind den Überwinterern vorbehalten und nur für sie bestimmt. Die „Bibliothek im Eis“ ist ein indirekter Dialog zwischen Stifter:innen hier und Leser:innen dort in der südlichsten Bibliothek der Welt.
Februar 2024
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