21. September 2020
Online-Meldung

Forscher entdecken Plättcheneis unter MOSAiC-Eisscholle

Eis aus handtellergroßen Kristallen war bislang vor allem aus der Antarktis bekannt
Dünnschnitt-Analyse der Eiskristallstruktur einer Plättcheneisprobe zwischen gekreuzten Polarisationsfiltern (Foto: AWI Meereisphysik)

Die MOSAiC-Expedition hat für eine weitere wissenschaftliche Überraschung gesorgt. Unter der Eisscholle entdeckten Teilnehmende des Winter-Fahrtabschnittes sogenanntes Plättcheneis. Dieser besondere Eistyp war bislang hauptsächlich aus der Antarktis bekannt. In der Arktis hatten ihn Forschende noch nicht großflächig nachweisen können. Aus diesem Grund nutzten die MOSAiC-Teilnehmenden die einmalige Gelegenheit, die Wolken aus filigranen Eisplätten und ihre Entstehungsgeschichte genau zu untersuchen. Ihre Forschungsergebnisse sind jetzt als Artikel im Fachmagazin Geophysical Research Letters erschienen.

Die ersten Hinweise auf das Plättcheneis entdeckten die Wissenschaftler am Silvestertag bei einer Erkundungstauchfahrt mit dem AWI-Tauchroboter BEAST. „Über die Kamera unseres Roboters sahen wir plötzlich Ansammlungen filigraner Eisplättchen, die wie Cirruswolken unter dem Eis hingen und im Scheinwerferlicht des Roboters glitzerten“, erzählt AWI-Meereisphysiker Christian Katlein. Plättcheneis kannten er und seine Kollegen bis zu diesem Tag nur aus der Antarktis. „Es jetzt auch in größeren Mengen im Winter unter der MOSAiC-Scholle zu finden, hat uns wirklich überrascht“, sagt der Physiker.

In der Antarktis bilden sich die bis zu handteller-großen Eisplättchen unter den großen Schelfeisen, wenn stark unterkühlte Wassermassen an der Unterseite der schwimmenden Eiszungen aufsteigen und aufgrund des abnehmenden Wasserdrucks der Gefrierpunkt des Wassers steigt. Die MOSAiC-Eisscholle aber ragte nicht so tief in das Meer wie ein Schelfeis. Wie also konnte das Plättcheneis dennoch entstehen? 

Die Antwort fanden Christian Katlein und seine Kollegen in den Temperaturaufzeichnungen der Ozean-Messbojen, die im bis zu 40 Kilometer weiten Umfeld der MOSAiC-Eisscholle ausgebracht waren. Sie alle zeigten, dass die Wassersäule des zentralen Arktischen Ozeans während des kalten Winters in den oberen fünf Metern unterkühlt ist. Das heißt, die Wassertemperatur liegt etwa 0,01 bis 0,02 Grad Celsius unter dem eigentlichen Gefrierpunkt des Meerwassers. Warum aber gefriert dieses Wasser dann nicht?

„Das arktische Meerwasser ist so ruhig und vor allem so sauber, dass es kaum Kristallisationskeime wie Staubpartikel, Algen oder andere winzige Störungen enthält. Diese aber werden benötigt, damit sich Eiskristalle bilden können“, erklärt Christian Katlein. Erst, wenn das unterkühlte Wasser an der Meereisunterseite mit Kristallisationskeimen zusammentrifft, entstehen die oft plättchenförmigen Eiskristalle. Denselben Effekt beobachteten die Wissenschaftler auch, wenn sie Seile oder metallene Messstangen von der Eisoberfläche aus in das superkalte Wasser tauchten. Innerhalb kurzer Zeit waren Seil oder Stange von dünnen, bis zu 15 Zentimeter langen Eiskristallen überzogen. 

Warum aber war dieses Phänomen bislang noch niemandem aufgefallen? „Der Temperaturunterschied zwischen der dünnen superkalten Wasserschicht direkt unter dem Meereis und den Wassermassen darunter ist so gering, dass er bislang vermutlich als Messfehler abgetan wurde. Wir aber konnten im Rahmen der MOSAiC-Expedition zeigen, dass es definitiv kein Messfehler war. Herauszufinden, dass im Winter in großen Teilen der Arktis ein Prozess stattfindet, der in dieser Form noch nicht bekannt war, war die größte Überraschung dabei“, sagt Christian Katlein. 

Originalpublikation

Katlein, C., Mohrholz, V., Sheikin, I., Itkin, P., Divine, D. V., Stroeve, J., et al. (2020). Platelet ice under Arctic pack ice in winter. Geophysical Research Letters, Vol. 47, DOI: 10.1029/2020GL088898 

Weitere Informationen zur Entdeckung des Plättcheneises in der Arktis gibt es im Meereisportal.

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Wissenschaft

Christian Katlein
+49(471)4831-2908