Die Meeresforschung hat in Deutschland eine lange Tradition und erlebte im 19. Jahrhundert ihre erste Blütezeit. Vor 125 Jahren wurde auf Helgoland die Königliche Biologische Anstalt gegründet, 1924 folgte ein Zweiglaboratorium in List auf Sylt. Aus beiden Standorten entstand später die Biologische Anstalt Helgoland (BAH), die 1998 Teil des Alfred-Wegener-Instituts wurde. Gäste aus ganz Deutschland kamen heute nach Helgoland, um dieses Jubiläum zu feiern.
Schon lange vor der Gründung einer Forschungsstation auf Helgoland und Sylt zeigte sich, wie wichtig die beiden Inseln für die Meeresforschung sind. Renommierte Wissenschaftler wie Johannes Müller und Karl Möbius verbrachten dort viel Zeit und etablierten die Inseln mit ihren Arbeiten als Forschungsstandorte. Seit 1892 hat die Meeresforschung schließlich mit der Königlichen Biologischen Anstalt auf Helgoland einen festen Platz in der Nordsee. Anlässlich des 125-jährigen Jubiläums fand heute eine offizielle Festveranstaltung im Helgoländer Aquariumsgebäude statt.
Die Forschung auf Helgoland und Sylt nimmt mit ihrer langen Tradition und gleichzeitig zukunftsweisenden Ausrichtung einen führenden Platz in der europäischen Meeresforschung ein. Dies brachten die Redner der Jubiläumsveranstaltung einvernehmlich zum Ausdruck. Wichtige Fragestellungen, die Meeresforscher auf Helgoland und Sylt heute bearbeiten, betreffen unter anderem die Folgen von menschlichen Eingriffen in das Ökosystem der Nordsee, die Auswirkungen von Temperatur- und Nährstoffänderungen sowie die Folgen von Plastikverschmutzung.
„Die Ozeane und Meeresküsten der Erde sind von großer Bedeutung für die Menschheit. 70 Prozent der Bevölkerung werden bis 2070 in der Nähe einer Küste leben“, sagt Prof. Dr. Karen Wiltshire, Direktorin der Biologischen Anstalt Helgoland am Alfred-Wegener-Institut. „Küstentourismus ist der am schnellsten wachsende globale Industriesektor und Aquakulturen in küstennahen Bereichen liefern bereits heute 12 Prozent des Proteins für die menschliche Ernährung. Intakte Nahrungsnetze hängen von der Artenvielfalt der Meere ab. Doch diese Vielfalt ist noch lange nicht vollständig erforscht und durch globale Veränderungen extrem gefährdet. Ozeane sind auch der Klimaregulator der Erde und der Schlüssel zu Anpassungsstrategien“, so Wiltshire.
„Seit nunmehr 125 Jahren erforschen und entdecken Forscherinnen und Forscher von Helgoland aus die Vielfalt der Meere und Ozeane“, würdigt Dr. Karl Eugen Huthmacher, Abteilungsleiter Zukunftsvorsorge – Forschung für Grundlagen und Nachhaltigkeit im Bundesministerium für Bildung und Forschung, den Einsatz des Alfred-Wegener-Instituts. „Insbesondere die Messungen, die sie hier vor Helgoland täglich durchführen, haben zu einer unvergleichlichen Zeitreihe wichtiger Daten und relevanter Ergebnisse geführt.“ Mit den fast lückenlosen werktäglichen Messungen physikalisch-chemischer und biologischer Parameter verfügt die Biologische Anstalt Helgoland über einen der weltweit wertvollsten marinen Langzeit-Datensätze zu Temperatur, Salzgehalt und weiteren Parametern in der Nordsee.
Staatssekretär Dr. Frank Nägele vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie des Landes Schleswig-Holstein, der leider nicht persönlich anwesend sein konnte, betont vor allem die Bedeutung der Meeresforschung für die Küstenregionen Deutschlands: „Die Inseln Helgoland und Sylt sind zwei Leuchttürme der Meeresforschung. Gerade für ein Bundesland wie Schleswig-Holstein mit seinen Küsten an Nord- und Ostsee sind die beiden Forschungsstandorte des Alfred-Wegener-Instituts von besonderer Bedeutung. Es ist notwendig, aus den Erkenntnissen der Meeresforschung auch Prognosen für zukünftige Entwicklungen abzuleiten“, sagt Nägele.
Seit 1998 gehört die Biologische Anstalt Helgoland zum Alfred-Wegner-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Dieser Zusammenschluss ist eine glückliche Entscheidung gewesen. Eine interdisziplinäre Meeresforschung von der Biologie bis hin zur Klimamodellierung macht es möglich, globale Fragen der Menschheit zu bearbeiten. Als ein Zentrum der Helmholtz-Gemeinschaft tragen wir dazu bei, die großen Fragen zur Nachhaltigkeit unseres Erdsystems zu erforschen. Die Meeresforschung ist eine wichtige Komponente dabei“, sagt Prof. Dr. Karin Lochte, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts.
Die Rolle von Meeresforschungsstationen in der deutschen Wissenschaftslandschaft betont auch der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Prof. Dr. Otmar D. Wiestler: „Unsere Stärke und unser Auftrag ist es, herausragende Wissenschaft an unterschiedlichen Orten und Forschungszentren miteinander zu verknüpfen, um an der Lösung der großen Herausforderungen unserer Zeit zu arbeiten. Die Biologische Anstalt Helgoland verkörpert dies auf eindrucksvolle Weise. Sie bereichert die Helmholtz-Gemeinschaft mit ihrer Kompetenz in der Küstenforschung. Seit 125 Jahren ist sie ein Ort der exzellenten Wissenschaft, aber auch des Transfers von Wissen in die Gesellschaft“, so Wiestler.
Wie stark die Helgoländer Meeresforschung das alltägliche Leben auf der Insel prägt, erläutert schließlich Bürgermeister Jörg Singer: „Mit unseren Meeresforschern teilen wir uns das Inselleben seit über 125 Jahren. Die Biologische Anstalt am Alfred-Wegener-Institut steht der Gemeinde Helgoland beratend zur Seite. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen aus aller Welt und bereichern unser kulturelles Inselleben – auch heute noch kommt man als Meeresbiologe am Helgoländer Felswatt nicht vorbei. Das Gastforscherprogramm des Alfred-Wegener-Instituts auf Helgoland ist außerdem für unseren Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor“, sagt Singer.
In dem Festvortrag ging Prof. Dr. Thomas Potthast vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen auf die wissenschafts- und kulturgeschichtliche Bedeutung von Meeresforschungsstationen ein: „Die Gründung von Meeresforschungsstationen im 19. Jahrhundert ging in der Regel zunächst auf private Initiativen zurück, damit sich Wissenschaftler direkt aus dem Meer Material holen konnten, um an einzelnen Organismen zu forschen. Die große Frage war damals, ob es eine staatliche Aufgabe ist, solche biologische Stationen zu betreiben. Die Wissenschaftler mussten zeigen, dass sie nicht nur Grundlagenforschung betreiben, sondern auch angewandte Forschung – in diesem Fall etwa zur Fischerei in der Nordsee“, sagt Potthast. „Die Spannung zwischen nationalen oder regionalen Interessen einerseits und der Internationalität des Forschens und des gemeinsamen Wissens andererseits hat sich seither wenig geändert. Gerade das Meer als Lebens- und Forschungsraum erfordert und ermöglicht es, Grenzen zu überwinden.“