Im Zuge der COP26 sind mehrere Initiativen für mehr Klimaschutz in bestimmten Bereichen verkündet worden, und einige Länder haben neue Netto-Nullemissionsziele vorgelegt. In den Medien sind die Ergebnisse einiger Analysen aufgegriffen worden, die versuchen, die Konsequenzen der Neuerungen für die globale Erwärmung zu beziffern. Dr. Helge Goessling, Klimawissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut und Leiter der BMBF-Nachwuchsgruppe Nahtlose Meereisvorhersage (Seamless Sea Ice Prediction – SSIP), ordnet die neuen Initiativen, Ziele und Analysen ein.
Ausgangslage
Für die Ausgangslage sind insbesondere zwei Berichte des UN-Umweltprogramms von zentraler Bedeutung, die im Vorfeld der COP26 veröffentlicht worden sind: Der Emissions Gap Report 2021 (EGR21) und der Production Gap Report 2021 (PGR21). Beide versuchen, die Größe der Lücke abzuschätzen, die einerseits zwischen den bisherigen und geplanten politischen und wirtschaftlichen Bemühungen und andererseits den Zielen des Paris-Abkommens – die Erderwärmung deutlich unter 2°C und möglichst nicht über 1,5°C über vorindustriellem Niveau zu halten – klafft. Während der viel zitierte EGR21 das Problem von der Seite der geplanten Emissionen her betrachtet, bewertet der weniger bekannte PGR21 die Pläne der wichtigsten Länder zur Förderung fossiler Brennstoffe. Die Perspektive der Förderung ist eine wichtige Ergänzung, einerseits um den Plänen zur Emissionsminderung Glaubwürdigkeit zu verleihen. Andererseits könnte eine erfolgreiche Senkung der Emissionen einiger Nationen ohne gleichzeitige Verminderung der Förderung fossiler Brennstoffe möglicherweise über eine Verbilligung der fossilen Brennstoffe zu erhöhten Emissionen andernorts führen. Zudem sind Förderung von fossilen Brennstoffen und die Emission des starken Treibhausgases Methan verknüpft. Zum Beispiel wird bei Norwegen – Vorreiter in Sachen Emissionsminderungen und zugleich mit Plänen zur Erhöhung der Erdöl-Fördermengen – ein Gegensatz dieser Perspektiven besonders deutlich.
Im PGR21 wird resümiert, dass die Pläne zur Förderung fossiler Brennstoffe für 2030 mehr als doppelt so hoch liegen, als mit dem 1,5°C-Ziel vereinbar wäre, und um 45% höher, als mit dem 2°C-Ziel vereinbar wäre; bis 2040 wird die Lücke noch deutlich größer (Abb. 1, rechts). Die derzeitigen Förderungspläne wären mit zirka 3°C oder mehr Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts konsistent (eigene Schätzung; eine solche Angabe wird im Bericht nicht gemacht).
Der EGR21 kommt zunächst zu dem Schluss, dass eine Fortführung der „gegenwärtigen Politik“ bis Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung von ca. 2,8°C verursachen würde (genauer: 2,8°C werden mit 66%iger Wahrscheinlichkeit nicht überschritten; Abb. 1, links). Eine Umsetzung der im Vorfeld der COP26 eingereichten national festgelegten Beiträge (NDCs) bis 2030 würde die Erwärmung demnach nur geringfügig auf 2,7°C reduzieren; diese Zahl ist die in den Medien wahrscheinlich am meisten genannte Schätzung. Die zugehörigen Treibhausgasemissionen um 2030 lägen ungefähr auf dem heutigen Niveau. Um mit dem 1,5°C-Ziel konsistent zu sein, müssten die Emissionen hingegen bis dahin um ca. 50% sinken.
Die 2,7°C-Schätzung berücksichtigt bewusst nicht die Absichtserklärungen vieler Länder und der EU, zu einem bestimmten Datum (meist 2050 oder 2060) eine neutrale CO2-Bilanz (Netto-Null) zu erreichen. Hauptgrund dafür, diese zunächst nicht zu berücksichtigen, ist eine „Glaubwürdigkeitslücke“ zwischen den Netto-Null-Zielen und der gegenwärtigen Politik, einschließlich der NDCs bis 2030 (Climate Action Tracker 2021). Lässt man diese Zweifel jedoch außen vor und nimmt an, dass die im Vorfeld der COP26 verkündeten Netto-Null-Ziele erreicht werden, kann die Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts laut EGR21 auf ca. 2,2°C reduziert werden.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Schätzungen im Vorfeld der COP26 zur Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts bei Fortführung der „gegenwärtigen Politik“ bzw. bei Einhaltung der NDCs bis 2030 bereits wesentlich, nämlich um fast 1°C, unterhalb entsprechender Werte lagen, die bis zum Paris-Abkommen 2015 veranschlagt wurden (Climate Action Tracker 2021). Vor diesem Hintergrund sind die Verhandlungen in Glasgow als Teil eines kontinuierlichen Prozesses hin zu ambitionierterer Klimapolitik zu verstehen.
Neue Netto-Null-Ziele von Glasgow
Die nun verkündeten Netto-Null-Ziele einiger wichtiger zusätzlicher Staaten, einschließlich Indien (2070), Russland (2060), Saudi-Arabien (2060) und Australien (2050), führen zu einer weiteren Reduktion der geschätzten Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts von 2,2°C (gemäß EGR21, siehe oben) auf 2,0°C. Gemäß Schätzung wird dieser Wert mit 66%iger Wahrscheinlichkeit nicht überschritten. Betrachtet man hingegen den wahrscheinlichsten Wert, der mit 50%iger Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird, liegt dieser noch einmal ca. 0,2°C niedriger bei 1,8°C (Climate Action Tracker 2021). Neben dem oben genannten 2,7°C-Wert ist auch dieser neue Schätzwert in den letzten Tagen in den Medien breit kommuniziert worden.
Der Unterschied zwischen diesen beiden Schätzungen zur Erwärmung bis 2100 ist also nicht allein auf die neuen Ankündigungen von Glasgow (minus 0,2°C) zurückzuführen: Auch die Berücksichtigung der (schon vor Glasgow verkündeten) Netto-Null-Ziele zusätzlich zu den NDCs bis 2030 (minus 0,5°C) und die Betrachtung des wahrscheinlichsten Wertes anstelle des 66%-Wertes (minus 0,2°C) tragen maßgeblich zum Unterschied bei.
Die Methan-, Kohle- und Wald-Initiativen
Über 100 Länder sind einem in Glasgow verkündeten Abkommen beigetreten, in dessen Rahmen die Methanemissionen bis 2030 um 30% gesenkt werden sollen. Eine solche Reduktion soll erzielt werden, indem vor allem das Entweichen von Methan bei der Förderung fossiler Brennstoffe durch technische Verbesserungen unterbunden wird. Der Vorteil: Da Methan nur etwa 12 Jahre lang in der Atmosphäre verbleibt, wirkt sich eine Emissionsreduktion entsprechend schnell auf die Methankonzentration und somit auf die Erdoberflächentemperatur aus; etwa 0,12°C Abkühlung könnten dadurch erzielt werden (Abb. 2). Um eine Abkühlung von 0,2°C zu erzielen – eine Zahl, die in diesem Zusammenhang in den letzten Tagen die Runde machte – müssten die Methanemissionen wohl eher halbiert werden.
Der Nachteil der Kurzlebigkeit von Methan: Eine zukünftige Rückkehr zum heutigen Emissionsniveau würde ebenso schnell zu einer Rückkehr des vollen Methan-Erwärmungseffekts führen. Die Reduktionen müssten also dauerhaft sein. Weitere Wermutstropfen sind, dass erstens einige wichtige Länder dem Abkommen bislang nicht beigetreten sind, und zweitens die Methan-Emissionsminderungen in den NDCs zumeist bereits enthalten sind, also nicht als darüber hinausgehende Bemühungen bewertet werden können.
In einem weiteren Abkommen haben über 40 Staaten unterzeichnet, bis in die 2030er oder 2040er, je nach Entwicklungsstand, aus der Kohle auszusteigen und auf dem Weg dahin entsprechende Subventionen zu unterlassen. Ein globaler Kohleausstieg bis 2040 hätte langfristig einen noch größeren Effekt auf die Temperatur, als die Umsetzung der Methan-Initiative (Abb. 2). Das liegt vor allem daran, dass etwa die Hälfte jeglicher CO2-Emissionen über Jahrhunderte bis Jahrtausende in der Atmosphäre verbleibt (siehe auch Abb. 3). Nach 2100 würde daher der Effekt des Kohleausstiegs noch deutlicher den der Methan-Initiative übersteigen, und der Großteil der von CO2 verursachten Erwärmung bleibt auf Jahrhunderte erhalten, selbst wenn die Emissionen komplett eingestellt werden. Legt man die Pläne zur Förderung aus dem PGR21 bis 2040 zugrunde, trägt Kohle etwa 40% zu den CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe bei, gefolgt von Öl (35%) und Gas (25%; eigene Schätzungen).
Im Vergleich zur Methan-Initiative genießt jene zum Kohleausstieg jedoch deutlich weniger Unterstützung: Die größten Nutzer von Kohle, einschließlich China, Indien und den USA, haben nicht unterzeichnet. Es hätte jedoch auch sehr überrascht, wenn China oder Indien, die sich gerade erst für 2060 und 2070 zu CO2-Neutralität bekannt haben, nun einen deutlich früheren Kohleausstieg mitgetragen hätten. Zudem sollte der Fairness halber nicht unerwähnt bleiben, dass viele andere Staaten, die künftig mehr auf Öl und Erdgas, als auf Kohle setzen, eine jüngst ins Spiel gebrachte entsprechende Initiative zum Ausstieg aus Öl und Erdgas ebenfalls nicht unterstützen, darunter auch Deutschland.
Schließlich wurde zu Beginn der COP26 noch eine Initiative zum Stopp der globalen Entwaldung bis 2030 angekündigt und von über 100 Staaten unterzeichnet, einschließlich derer mit besonders großen Waldflächen wie Brasilien und Russland. Landnutzungsänderungen, die vorwiegend mit Entwaldung einhergehen, tragen aktuell etwa 15% zu den globalen CO2-Emissionen (Abb. 3, braune Fläche) und somit etwa 10% zum zunehmenden Treibhauseffekt bei. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte daher eine zusätzliche Erwärmung von bis zu 0,25°C verhindert werden (eigene Schätzung). Ein Stopp der Entwaldung würde außerdem dafür sorgen, dass die „Land-Senke“ auch in Zukunft einen Teil der Emissionen aufnimmt; noch intakte Waldflächen bilden nämlich vor allem aufgrund der erhöhten CO2-Konzetration noch zusätzliche Biomasse und entnehmen der Atmosphäre so etwa ein Viertel der globalen CO2-Emissionen.
Bei der Wald-Initiative handelt es sich also um einen potenziell wichtigen Beitrag zur Umsetzung des Paris-Abkommens, der nun jedoch auch tatsächlich umgesetzt werden müsste. Im Jahr 2014 wurde in New York bereits ein Abkommen mit dem gleichen Ziel auf den Weg gebracht, welches zudem eine Halbierung der globalen Entwaldung bis 2020 vorsah; dieses Zwischenziel wurde jedoch weit verfehlt. Außerdem ist auch die Wald-Initiative in den NDCs zumeist bereits enthalten, sodass auch diese überwiegend nicht als zusätzliche Maßnahme verstanden werden kann.
Resumée
Natürlich wurden in Glasgow zahllose weitere Initiativen und Details verhandelt, die den Rahmen dieser Einordnung bei weitem sprengen würden. Im Schnelldurchgang sei erwähnt, dass: Fortschritte bei der finanziellen Unterstützung ärmerer Länder in Sachen Klimaschutz -anpassung erzielt worden sind (wenngleich vorherige Versprechen erst verspätet eingehalten werden und vielen besonders vom Klimawandel betroffenen Ländern nicht ausreichen); viele Banken umfangreiche Investitionen weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien umlenken möchten; eine Initiative zur Schaffung internationaler Infrastrukturen für ein auf Sonne und Wind basierendes Stromnetz geschaffen wurde; sowie ein Abkommen zum Ende des Verbrennungsmotors 2040 beschlossen wurde. (Deutschland hat Letzteres nicht unterzeichnet, nach Angaben der Umwelt- und Verkehrsministerien deswegen, weil regenerative e-Fuels nicht berücksichtigt worden seien.)
Problematisch bleiben (Stand 12. November 2021), wie vor zwei Jahren in Madrid und in den Jahren zuvor, Verhandlungen über das „Pariser Regelwerk“, bei denen es vor allem um internationalen Emissionshandel und Transparenz über die Fortschritte der Länder beim Klimaschutz geht (ein guter Überblick hierzu findet sich in Weise, 2021). Eine erneute Verlängerung der Verhandlungen zeichnet sich ab. Solide Ergebnisse bei diesen recht technischen Verhandlungen sind jedoch eine wichtige Voraussetzung, um die oben erklärte Glaubwürdigkeitslücke zwischen der aktuellen Klimapolitik und kurzfristigen verbindlichen Zusagen einerseits und den langfristigen, deutlich ambitionierteren Netto-Nullemissionszielen andererseits zu schließen. Während die Ambitionen seit Glasgow nun erstmals auf eine langfristige Erwärmung unter 2°C hoffen lassen können (was offensichtlich jedoch immer noch nicht 1,5°C-konform ist), bleibt das Schließen der Glaubwürdigkeitslücke die wohl größte Herausforderung. Auch Deutschland mit seinem sehr ambitionierten Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein, könnte maßgeblich dazu beitragen, beispielsweise durch den Abschied vom Verbrennungsmotor, und vor allem durch deutlich mehr Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren und beim Ausstieg aus der Kohle, sowie durch die technologische und finanzielle Unterstützung anderer Länder bei der notwendigen Transformation.
Das Kleingedruckte
Ich lasse es mir nicht nehmen, kurz auf die Methoden und Unsicherheiten der genannten Temperatur-Schätzungen einzugehen. Die Schätzungen basieren auf vereinfachten Modellen, sogenannten Emulatoren, die das Verhalten komplexer gekoppelter Klimamodelle – wie des AWI-Klimamodells, mit welchem wir zum jüngsten IPCC-Sachstandsbericht beigetragen haben – imitieren. Die Unsicherheiten, welche oben bei der Unterscheidung von 66%iger und 50%iger Wahrscheinlichkeiten bereits angeklungen sind, übertragen sich daher von den komplexen Modellen auf die Emulatoren. Im jüngsten IPCC-Sachstandsbericht wurde der Unsicherheit für eine „wahrscheinliche“ Erwärmung ein Bereich von etwa 85% bis 135% eines wahrscheinlichsten Wertes eingeräumt; eine „sehr wahrscheinliche“ Erwärmung würde im Bereich von etwa 65% bis 165% liegen. Ein klimapolitischer Pfad, der nach jetziger Schätzung beispielsweise am wahrscheinlichsten auf 2,3°C deutet, könnte letztlich auch nur 1,5°C mit sich bringen und damit die ambitioniertere Pariser Zielmarke einhalten. Ein solcher Pfad könnte demnach aber auch zu 3,8°C Erwärmung führen. Auf die damit einhergehenden möglichen Folgen soll hier nicht eingegangen werden, stattdessen verweise ich auf den jüngsten IPCC-Sachstandsbericht (IPCC 2021).
Referenzen:
Climate Action Tracker (9.11.2021). Glasgow’s 2030 credibility gap: net zero’s lip service to climate action. https://climateactiontracker.org/documents/997/CAT_2021-11-09_Briefing_Global-Update_Glasgow2030CredibilityGap.pdf
Forster, P., Smith, C., & Rogelj, J. (2021). The Global Methane Pledge needs to go further to help limit warming to 1.5C. Guest post @ Carbon Brief. https://www.carbonbrief.org/guest-post-the-global-methane-pledge-needs-to-go-further-to-help-limit-warming-to-1-5c
Friedlingstein, P., et al. (2020). Global Carbon Budget 2020. Earth Syst. Sci. Data, 12, 3269–3340. DOI:10.5194/essd-12-3269-2020
IPCC (2021). Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press. https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/
UNEP (2021). Emissions Gap Report 2021. https://www.unep.org/resources/emissions-gap-report-2021
UNEP (2021). Production Gap Report 2021. https://www.unep.org/resources/report/production-gap-report-2021
Weise, Z. (2021): COP26’s key task: Stamping out climate cheating. https://www.politico.eu/article/cop26s-key-task-stamping-out-climate-cheating/
Autor: Helge Goessling, Stand 12. November 2021