Wie war das Klima vor tausenden oder gar Millionen Jahren? Antworten könnte das tiefe Eis in der Antarktis liefern: Es enthält Informationen über die Temperaturentwicklung und die Zusammensetzung der Atmosphäre der Vergangenheit. Mit einem Bohrkern, der Klimadaten der letzten 1,5 Millionen Jahre enthält, will ein internationales Forschungsteam diese Informationen im Projekt Beyond EPICA-Oldest Ice entschlüsseln. Ende Januar hat es die erste Kampagne erfolgreich abgeschlossen und die ersten Bohrkerne gehoben. Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts waren maßgeblich bei der Planung und auch vor Ort beteiligt.
Von Ende November 2021 bis Ende Januar 2022 richteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Lager für die Bohrstelle am Little Dome C in der Antarktis ein und installierten ein komplexes Bohrsystem, das für die Fortsetzung in den nächsten Jahren erforderlich ist. Little Dome C ist ein zehn Quadratkilometer großes Gebiet und einer der extremsten Orte der Erde. Die Bohrungen fanden in einer Höhe von 3233 Metern über dem Meeresspiegel statt, bei durchschnittlichen antarktischen Sommertemperaturen von fast immer unter minus 40 Grad Celsius.
Das Lager beherbergt nun die Kontrollkabine, das Bohrsystem, das bis zu viereinhalb Meter lange Eiskerne entnehmen kann, und ein Labor, um Proben aufbereiten und zu lagern. In den kommenden drei antarktischen Sommern, jeweils von Mitte November bis Anfang Februar, wird das Team von Beyond EPICA Bohrungen durchführen, bis es in einer Tiefe von etwa 2500 Metern auf Eis trifft, das bis zu 1,5 Millionen Jahre alt ist. Das Eis enthält Luftbläschen, aus denen die Forscherinnen und Forscher den Gehalt von Treibhausgasen wie Methan und Kohlendioxid in der Atmosphäre sowie die Entwicklung der Temperaturen der Vergangenheit bestimmen können. Im Jahr 2025 sollen die ersten Daten der Bohrkern-Analysen vorliegen.
Bei der ersten Bohrkampagne erreichte das Forschungsteam eine Tiefe von 130 Metern, wo das Eis Informationen über das Klima und die Atmosphäre der letzten 3000 Jahre bewahrt. Die Bohrkerne werden derzeit in der italienisch-französischen Concordia-Station auf dem ostantarktischen Plateau gelagert. Koordiniert wird Beyond EPICA von Prof. Carlo Barbante, Direktor des Instituts für Polarwissenschaften des Nationalen Forschungsrats Italiens (Cnr-Isp) und Professor an der Universität Ca' Foscari in Venedig. „Wir sind mit den bisherigen Arbeiten sehr zufrieden. In der nächsten Kampagne werden wir das Bohrsystem abschließend testen und dann zügig mit den Tiefbohrungen fortfahren.“
In einer ersten Projektphase hatte das Konsortium unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) drei Jahre lang nach einem Ort gesucht, an dem das Eis auch in großer Tiefe so sauber geschichtet ist, dass es wertvolle Ergebnisse liefern kann. „Wir richten gerade die Bohrstelle ein und bestücken die obersten 120 Meter mit Fieberglasrohren. Diese Ummantelung nutzen wir als Ausgangspunkt für die eigentliche Tiefbohrung“, sagt Prof. Frank Wilhelms, der die Bohrung plant und organisiert. Vom AWI war Matthias Hüther als Bohringenieur vor Ort und baute das Tiefbohrgerät erfolgreich mit auf: „Wir konnten zusammen mit unseren Partnern trotz der erheblichen Einschränkungen durch Covid-19 die hoch gesteckten Ziele erreichen.“ Insgesamt koordiniert das AWI-Team mehrere Arbeitspakete rund um den Eisbohrkern, etwa zu den physikalischen Eigenschaften, stabilen Wasserisotopen, der Geophysik oder zum Klima- und Kohlenstoffkreislauf.
„Wir glauben, dass dieser Eiskern uns Informationen über das Klima der Vergangenheit und über die Treibhausgase in der Atmosphäre während des mittelpleistozänen Übergangs (Mid-Pleistocene Transition, MPT) vor 900.000 bis 1,2 Millionen Jahren liefern wird“, sagt Barbante. „Während dieses Übergangs änderte sich die Periodizität des Klimas zwischen den Eiszeiten von 41.000 auf 100.000 Jahre: Der Grund, warum dies geschah, ist das Rätsel, das wir zu lösen hoffen.“
In Beyond EPICA-Oldest Ice arbeiten zwölf Forschungseinrichtungen aus Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Norwegen, Schweden, Schweiz, Dänemark und Belgien zusammen. Beteiligte vor Ort waren: Carlo Barbante vom Institut für Polarwissenschaften des Nationalen Forschungsrats Italiens (Cnr-Isp) und der Universität Ca' Foscari, Matthias Hüther vom AWI, Thomas Stocker, Remo Walther und Jakob Schwander von der Universität Bern, Philippe Possenti, Gregory Teste, Olivier Alemany und Romain Duphil von der Universität Grenoble-Alpes, Michele Scalet, Saverio Panichi, Giacomo Bonanno und Calogero Monaco von der Nationalen Agentur für neue Technologien, Energie und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung (Italien). Die Europäische Kommission fördert das Projekt mit elf Millionen Euro.