Am 16. September erreichte das Meereis in der Arktis mit etwa 4,79 Millionen Quadratkilometern sein bisheriges jährliches Minimum und liegt damit auf Platz zwölf der Negativliste der mittleren Ausdehnung. Im Vergleich zu den letzten 15 Jahren ist das Meereis in 2022 zwar nicht überdurchschnittlich geschmolzen, setzt aber den Negativtrend seit 1979 fort. Wie diese aktuelle Entwicklung zu bewerten ist, erklären Forschende des Alfred-Wegener-Instituts und der Universität Bremen.
Am Ende jeden Sommers stellt sich die Frage, wie stark sich die Wärme- und Hitzeperioden der Nordhalbkugel auf das arktische Meereis auswirken. Laut dem europäischem Erdbeobachtungsprogramm Copernicus, waren die Monate Juni bis August 2022 die heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen – im Schnitt lagen sie 0,4 Grad Celsius über den bisherigen Spitzenwerten aus 2018 und 2021. Auch in den Polarregionen steigen die Temperaturen als Folge des Klimawandels. Diese Zunahme gilt als wichtigste Ursache dafür, dass die Meereisbedeckung in der Arktis abnimmt. Betrachtet man die sommerliche Meereisausdehnung im Nordpolarmeer in 2022, ist dieses Jahr eher kein Rekordjahr gewesen. Doch setzt sich der Negativtrend weiter fort: Seit 1979 hat das arktische Meereis etwa zwölf Prozent Fläche pro Jahrzehnt verloren.
„Auch wenn dieser Sommer keine neuen Rekorde in der Arktis gebrochen hat, bleibt die Eisbedeckung im langjährigen Vergleich sehr niedrig und wir gehen davon aus, dass sich der langfristige Meereisrückzug fortsetzen wird. Dieser Sommer zeigt einmal mehr, dass die Meereisbedeckung durch langfristige Trends und kurzfristige, starke Jahr-zu-Jahr Schwankungen charakterisiert ist, die durch den Einfluss von Wetter und Meeresströmungen verursacht werden“, fasst Prof. Christian Haas, Leiter der Sektion Meereisphysik am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) die Schmelzsaison 2022 zusammen. „Diese Schwankungen sind weiterhin schwer vorherzusagen und erfordern umfangreichere systematische und kontinuierliche Beobachtungen sowie bessere Klimamodelle“, ergänzt sein Kollege Dr. Gunnar Spreen von der Universität Bremen.
Die Fachleute konnten für den Sommer 2022 einige Besonderheiten beobachten. So lag die Meereisausdehnung in der Arktis in den Frühling- und Sommermonaten zwar oberhalb der abnehmenden Trendlinie, aber immer unterhalb des langjährigen Mittels. Das lag unter anderem an Hoch- und Tiefdruckgebieten, die sich südlich des Polarkreises bildeten und so einen direkten Luftmassenaustausch zwischen der zentralen Arktis und den mittleren Breiten blockierten. Das führte dazu, dass die warmen Luftmassen die mittleren Breiten Europas mit Trockenheit und Hitze trafen, während es in der zentralen Arktis keine Warmlufteinbrüche gab.
Einige Regionen verzeichnen sogar mehr Eis als in den vergangenen Jahren. Die Wetterlagen im Juni und Juli schränkten in der Ostsibirischen See sowie der Laptewsee den Transport von Meereis aus den russischen Randmeeren in die zentrale Arktis ein, sodass hier mehr Eis verbleiben konnte. Auch in der Framstraße und Ostgrönlandsee war Ende August eine deutlich größere Eisbedeckung zu beobachten.
Eher ungewöhnlich war, dass sich Anfang Juni große, offene Wasserflächen in der zentralen Arktis bildeten. Sie sind die Folge von Tiefdruckgebieten, die einen Teil des Eises Richtung russische Küste schob, während weiter nördlich gelegenes Eis den westlichen Kurs fortsetzen konnte. Die offenen Wasserflächen inmitten der geschlossenen Packeisdecke blieben bis zum Ende des Sommers erhalten
Generell zeigten Satelliten-Daten, dass es zum Ende des Winters 2021/2022 im April nur wenige großflächige Gebiete mit besonders dünnem Eis gab, was sich ebenfalls positiv auf die sommerliche Eisausdehnung ausgewirkt haben könnte. Messungen mit dem Polarflugzeug Polar 6, die am Ende des Sommers regelmäßig in der Arktis durchgeführt werden, ergaben, dass die Eisdicke in etwa dem Durchschnitt der vergangenen elf Jahre entspricht. Die Tendenz zu einer stetig abnehmenden Eisdicke setzt sich allerdings auch in 2022 fort.
Fachleute vom AWI und der Universität Bremen haben die regionalen Veränderungen sowie die klimatischen Bedingungen im Meereisportal umfassend analysiert und zusammengefasst: www.meereisportal.de