"Passt die Ostküste Südamerikas nicht genau zur Westküste Afrikas?"

Diese Frage stellte Alfred Wegener schon im Jahr 1910, damals noch im privaten Kreise. Wie der Meteorologe und Polarforscher diesen Gedanken dann bis zu seinem legendären Vortrag am 6. Januar 1912 zu einer Hypothese weiterentwickelte und versuchte, sie mit Beweisen zu belegen, erläutert der Wissenschaftshistoriker Dr. Reinhard Krause im Interview.

 

Wie kam Alfred Wegener zu der Annahme, dass sich die Kontinente bewegen könnten?

Es gibt eine schriftliche Äußerung zu diesem Punkt und daraus kann man schließen, dass er beim Betrachten eines neuen Andrees-Handatlasses darauf aufmerksam geworden ist, dass die Kontinente Südamerika und Afrika gut zusammenpassen. Er hat sich dann vorgenommen, der Sache mal nachzugehen. Nun muss man dazu sagen, dass die Tatsache, dass die Kontinente Südamerika und Afrika zusammenpassen, vor ihm schon alle möglichen Leute bemerkt hatten, unter anderem auch Alexander von Humboldt. Das allein ist also noch nicht hinreichend, um als Auslöser für eine neue Theorie zu gelten.

Wegener hat dann später noch einmal geschrieben, dass ihm einige Zeit nach dieser Impression ein geologisches Sammelreferat in die Hand gefallen sei. Und erst im Zusammenhang mit diesem Sammelreferat ist ihm klar geworden, dass er diesen Gedanken noch einmal aufnehmen muss. Er hat sich dann mit Vehemenz in dieses Thema gestürtzt und alle Argumente für eine Verschiebung der Kontinente gesammelt.

 

Welche Lehrmeinung vertraten die Geologen „alter“ Schule damals?

Sie machten sich Gedanken zur Gleichartigkeit der Kontinente, zum Beispiel zur geologischen Gleichartigkeit. Man wusste, ich finde Gesteine in Südamerika und ähnliche Formationen oder Schichtungen zum Beispiel in Afrika. Zudem konnte man bis zu einer gewissen Zeit eine starke Gleichartigkeit der Flora und Fauna nachweisen. Und wie erkläre ich diese Gleichartigkeit? Wenn ich in Südamerika und Afrika Schmetterlinge habe, die sich ähnlich sind, dann kann ich nicht davon ausgehen, dass diese Schmetterlinge über den Atlantik geflogen sind. Ich muss irgendwie andere Verbindungen ins Spiel bringen. Die Wissenschaftler hatten dafür immer nur eine Erklärung. Sie lautete, es habe eine Verbindung der Kontinente in Form von Landbrücken bestanden. Da man diese Landbrücken aber nicht mehr sehen konnte, mussten sie versunken sein. Alfred Wegener ist in diesem Sinne mit einer völlig neuen Idee angetreten.

 

Kann man Wegeners Schritt, diesen Vortrag in Frankfurt zu halten, als wagemutig bezeichnen?

Bei diesem Vortrag muss man konstatieren, dass es sich um einen Vortrag bei der Geologischen Vereinigung handelte. Das war eine ganz neue Vereinigung. Sie war sozusagen die Gegengesellschaft zur etablierten Deutschen Geologischen Gesellschaft und hielt in jenem Jahr ihren zweiten Jahrestag ab. Sie allein hatte also schon so etwas wie einen revolutionären Anstrich. Das heißt, seine These passte da schon gut hinein. Wegener hat dann aber im Anschluss an seinen Vortrag in einer erstaunlichen Geschwindigkeit eine ausführliche Begründung seiner Theorie nachgeliefert  - und zwar in Petermann’s Geografischen Mitteilungen in den Ausgaben April, Mai und Juni. Und dieses Magazin ist auch international wahrgenommen worden.

Wie begründete Wegener seine Annahme?

Wegener war ein Physiker und damit weit entfernt von der Geologie. Seine Begründungen sind deshalb in erster Linie physikalischer Natur. Er hat natürlich erkannt, dass der Globus kein starrer Körper ist, der wie ein Stein funktioniert, sondern dass es eine Masse ist, die unter Eigengravitation zusammengehalten wird. Seine Vorstellung war, dass es in der Erdrinde zwei verschiedene Elemente gibt. Das eine nannte er Sial, das andere Sima. Wegener nahm an, dass die Meeresflächen aus einem schwereren Material bestünden als die Kontinente. Er ging also davon aus, dass die leichteren Kontinente in dem schwereren Untergrund schwimmen – so wie Eisschollen auf dem Wasser. Das war seine Kernidee! Verbunden damit war die Vorstellung der sogenannten Isostasie. Sie besagt, es könnten keine Landbrücken oder ähnliche Dinge entstehen oder untergehen, denn alles sei im Schwimmgleichgewicht. Die Idee von Landbrücken und versunkenen Kontinenten hat er auf diese Weise ad absurdum geführt.

 

Wie hat Alfred Wegener versucht, Beweise für seine Theorie zu finden?

Wegener hat Beweise in verschiedenen Feldern gesammelt: einmal im Bereich der Geophysik, dann in der Geologie und in der Paleontologie. Die Argumente aus diesen drei Hauptfeldern hat er systematisch zusammengefügt. Das heißt, sein ganzes Streben ging dahin, Beweise für die Richtigkeit dieser These zu sammeln. Er hat sogar zusammen mit seinem Kollegen Koch hochgenaue Positionsmessungen an der Nordostküste Grönlands vorgenommen und diese dann verglichen mit Messungen früherer Expeditionen. Auf diese Weise hat er versucht, eine Abstandsveränderung zwischen Europa und Grönland zu belegen. Die Werte, die damals abgeleitet wurden, waren aber mindestens eine, manchmal zwei Größenordnungen zu groß. Zunächst war da die Rede von einer jährlichen Verschiebung im Bereich von 30 Metern. Das schrumpfte dann aber sehr schnell zusammen auf einen Wert von drei Metern. Und heute wissen wir, dass es in Wirklichkeit bestenfalls drei Zentimeter sind.

 

Hat der anfängliche Spott seiner Kollegen Wegener gekränkt?

Nach allem, was ich lesen kann und was ich zwischen den Zeilen interpretiere, ist das nicht der Fall gewesen. Er war von vorn herein felsenfest überzeugt davon, dass diese Theorie richtig ist – und hat das so ernst genommen, dass er sagte: Ich muss noch genauer argumentieren und noch bessere Hinweise dafür finden, dass die Theorie richtig ist. Wegener ist tiefschürfend in diese Sache eingestiegen. Wir haben ja einen Beweis seiner Sorgfalt, indem wir sein persönliches Exemplar der ersten Ausgabe seines Buches „Die Entstehung der Kontinente und Ozeane“ besitzen. In diesem Exemplar sind zwischen den normalen Seiten weiße Seiten „eingeschossen“, sagt man in der Fachsprache dazu. Das war üblich zu dieser Zeit. Autoren hatten solche Exemplare, um dann für folgende Auflagen Verbesserungen auf diesen Seiten einzutragen.  Mit Hilfe dieses Buchen können wir also nachempfinden, was er sich für Gedanken zur Verbesserung der ganzen Sache gemacht hat. Welche Zeitungen er gelesen hat, welche Artikel er zitieren wollte und so weiter. Wir haben vor kurzem eine Transkription dieser Wegnerschen Eintragungen vorgenommen und online veröffentlicht. 

Transkription von Wegeners Eintragungen

Plattentektonik und Kontinentaldrift

Animation der New York Times zu Alfred Wegeners Theorie in englischer Sprache