Ozeanversauerung

In Zeiten des Klimawandels bieten die Ozeane der Erde eine Dienstleistung von unschätzbarem Wert: Sie nehmen gewaltige Mengen Kohlendioxid auf und ziehen es so zumindest vorübergehend aus dem Verkehr. Statt die Temperaturen in der Atmosphäre weiter in die Höhe zu treiben, löst sich das Treibhausgas im Wasser. Es wird von Algen und anderen Meeresbewohnern aufgenommen, und nach deren Tod wird der darin enthaltene Kohlenstoff zumindest teilweise am Grund deponiert. Ohne diese gewaltigen Speicher hätte sich das Klima der Erde schon viel drastischer verändert, als es ohnehin der Fall ist. Doch dieser Service der Ozeane hat seinen Preis. Denn wenn sich CO2 in Wasser löst, bildet sich Kohlensäure. Je mehr Treibhausgas die Meere also aus der Atmosphäre holen, umso saurer wird ihr Wasser. Das aber verkraften etliche Meeresbewohner nicht gut. Zumal die Versauerung oft gemeinsam mit weiteren Stressfaktoren wie steigenden Temperaturen und Sauerstoffmangel auftritt. Es besteht die Gefahr, dass dadurch Arten verschwinden und ganze Ökosysteme massiv geschädigt werden. Auch die Kohlenstoffspeicher der Meere können in Mitleidenschaft gezogen werden, so dass sie nicht mehr so gut funktionieren wie zuvor. Es gibt also Gründe genug für die Fachleute des Alfred-Wegener-Instituts, die Konsequenzen der Versauerung genau unter die Lupe zu nehmen.

Seit wann kennt man das Phänomen und wie wurde es entdeckt?

Um die Jahrtausendwende war längst bekannt, dass zu viel Kohlendioxid in der Atmosphäre klimaschädlich ist. Also suchte man verstärkt nach Möglichkeiten, einen Teil des Treibhausgases aus der Atmosphäre zu entfernen. Konnte man es vielleicht komprimieren und in flüssiger Form in Tiefseegräben leiten? Diese Idee wurde zunächst in einer Reihe von Experimenten getestet, die sich mit möglichen Auswirkungen solcher CO2-Einleitungen befassten. Dabei wurde rasch klar, dass ein ganz ähnlicher Prozess schon von Natur aus im Gange ist: Vor allem in den flachen Schelfmeeren löst sich zunehmend Kohlendioxid aus der Atmosphäre im Wasser, das dadurch immer saurer wird. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat dieser Prozess als „böser Zwilling der Klimaerwärmung“ immer mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit gefunden. Im Jahr 2001 haben Wallace Broecker und Elizabeth Clark von der Columbia University in den USA dafür den Begriff „Ozeanversauerung“ geprägt.

Wie stark ist die Versauerung schon?

Wie viel Kohlensäure die Ozeane enthalten, ist je nach Region unterschiedlich. Die Wassertemperatur spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Aktivitäten von Algen, die bei der Photosynthese CO2 verbrauchen. Typischerweise aber ist Meerwasser nicht sauer, sondern leicht basisch: Sein pH-Wert liegt im Schnitt etwas über 8. Allerdings ist dieser Durchschnitt seit dem Beginn der Industrialisierung von 8,2 auf 8,1 gesunken. Da der pH über einen Logarithmus berechnet wird, ist das bereits eine sehr deutliche Veränderung. Denn es bedeutet, dass die Meere in den letzten 200 Jahren schon etwa 30 Prozent saurer geworden sind. 

Zahlen & Fakten

20-30

Prozent

Seit den 1980er Jahren haben die Ozeane nach Angaben des Weltklimarates IPCC 20 bis 30 Prozent der gesamten menschgemachten CO2-Emissionen aufgenommen.

7,7

pH-Wert

Bis zum Jahr 2100 könnte der heutige durchschnittliche pH-Wert der Ozeane von 8,1 auf etwa 7,7 sinken. Damit wären die Meere um rund 150 Prozent saurer als heute.

1000

Milliarden US-Dollar

So viel Kosten werden Prognosen zufolge allein die Folgen der Ozeanversauerung für Korallen und Muscheln verursachen.

FAQ

Sind manche Regionen stärker betroffen als andere?

Kohlendioxid löst sich in kaltem Wasser besonders gut. Deshalb ist der Versauerungs-Effekt in den Polarmeeren schon allein aus physikalischen Gründen besonders groß. Dazu kommt, dass die meisten der dort lebenden Arten sehr stark an gleichbleibende Kälte angepasst sind. Treibt der Klimawandel die Temperaturen in die Höhe, verkraften sie das oft schlecht. Wenn dann noch weitere Stressfaktoren wie die Versauerung dazu kommen, leiden diese Organismen darunter besonders stark. 

Hat es solche Phänomene früher schon gegeben? Was ist der Unterschied zu heute?

Die Erde hat schon mehrere Phasen erlebt, in denen die Meere deutlich stärker versauerten als heute. Oft hat das zu regelrechten Massensterben geführt. Das letzte dieser Ereignisse vor etwa 56 Millionen Jahren hat zum Beispiel zahlreiche Korallenarten ausgerottet. Allerdings gab es immer auch Überlebende. Denn die Versauerung war damals ein sehr langsamer Prozess, der sich über Jahrtausende hinzog. Dadurch hatten die Organismen zum einen Zeit, sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen. Zum anderen konnte die ebenfalls sehr langsame Verwitterung von kalkhaltigem Gestein einen Teil der Versauerung abpuffern. Beides funktioniert heute nicht mehr. Denn der pH-Wert sinkt derzeit in einem viel rasanteren Tempo als früher. Da können weder die Evolution noch die Verwitterung mithalten. 

Welche Prognosen gibt es für die künftige Entwicklung?

Mit Computermodellen hat der Weltklimarat IPCC verschiedene Szenarien für die Zukunft durchgespielt. Sollte es gelingen, die Treibhausgas-Emissionen zu verringern und den Temperaturanstieg auf 1,5° C zu begrenzen, würde der durchschnittliche pH-Wert der Weltmeere im Jahr 2100 demnach immer noch etwas über 8 liegen. Wenn die Menschheit dagegen so weitermacht wie bisher, würde er auf 7,75 bis 7,74 absinken. Damit wäre das Wasser dann um 100 bis 150 Prozent saurer als heute. 

Für welche Meeresbewohner hat die Versauerung besonders große Auswirkungen?

Alle Arten, die Schalen oder Skelette aus Kalk bilden, dürften mit dem sinkenden pH-Wert Probleme bekommen. Denn in einem saureren Milieu werden diese Strukturen brüchig, manchmal lösen sie sich sogar ganz auf oder können gar nicht erst gebildet werden. Dieses Problem betrifft zum Beispiel Muscheln, Schnecken und Korallen. Auch einige mikroskopisch kleine Tiere im Plankton schützen sich mit Kalkpanzern. Wenn sie das nicht mehr können, überleben sie das zwar zunächst. Sie sind ihren Feinden dann aber hilflos ausgeliefert. Eine zweite Gruppe von Versauerungs-Opfern sind die Eier und Larven der verschiedensten Meerestiere. Denn die sind in der Regel auf schnelles Wachstum getrimmt und können daher nicht viel Energie in die Säure-Base-Regulation ihres Körpers stecken. Deshalb reagiert der Nachwuchs von Fischen, Seeigeln und Co. empfindlicher auf solche Veränderungen als die erwachsenen Tiere.

Können sich dadurch ganze Ökosysteme verändern?

Das ist sogar sehr wahrscheinlich. Denn zum einen werden Arten, die niedrige pH-Werte gut vertragen, einen Konkurrenzvorteil haben. Dadurch dürfte sich die Zusammensetzung vieler Lebensgemeinschaften verändern. Zum anderen können auch eigentlich unempfindliche Überlebenskünstler Probleme mit der Versauerung bekommen. Denn im komplizierten Nahrungsgefüge der Meere müssen nur ein paar Arten ausfallen, schon bricht für andere das Futter weg. Und das zieht dann wieder Konsequenzen für weitere Organismen nach sich. 

Kann die Versauerung auch den Klimawandel weiter ankurbeln?

Es ist durchaus möglich, dass die Kohlenstoffspeicher in den Weltmeeren künftig nicht mehr so effektiv arbeiten können. Denn für diese Dienstleistung spielen winzige Algen eine Rolle, die sich mit Kalkpanzern schützen. Nach ihrem Tod sinken diese Organismen auf den Meeresgrund – und deponieren dort den Kohlenstoff aus ihren Schalen. Greift die Versauerung aber die Kalkstrukturen an, werden diese leichter und sinken nicht mehr so gut ab. Das könnte dazu führen, dass weniger Kohlenstoff in die Tiefe transportiert wird. Wie groß der Einfluss solcher Effekte ist, wird derzeit am AWI und vielen anderen Forschungsinstitutionen untersucht.

Was passiert mit den Korallenriffen?

Schon heute leiden die artenreichsten Ökosysteme der Meere massiv unter dem Klimawandel. Immer mehr Korallenstöcke bleichen durch die zu hohen Temperaturen aus und sterben ab. Die Versauerung tut ein Übriges, um die Riffe zu schwächen. Denn sie greift deren Kalkgerüste an, und diese werden brüchig. So drohen immer mehr „Gebäude“ in diesen einst farbenfrohen Unterwasserstädten einzustürzen. Damit verlieren auch zahlreiche Arten ihren Lebensraum, die in diesen vielfältigen Strukturen Unterschlupf, Deckung und Kinderstuben gefunden hatten. 

Wie reagieren Fische auf niedrigere pH-Werte?

Anders als ihre Larven können erwachsene Fische ihren Säure-Base-Haushalt recht gut regulieren. Allerdings kostet das eine Menge Energie, die den Tieren an anderer Stelle fehlt. Sie wachsen dann zum Beispiel nicht mehr so schnell, schwimmen langsamer oder bekommen Schwierigkeiten mit der Fortpflanzung. Problematisch wird das vor allem dann, wenn die Tiere durch die Erwärmung des Meerwassers ohnehin schon unter Stress stehen. Zudem kann ein niedriger pH-Wert auch auf das Nervensystem von Fischen wirken und dadurch ihr Verhalten verändern. So haben Experimente gezeigt, dass der Geruchssinn von Clownfischen, Wolfsbarschen und anderen Arten in saurerem Wasser nicht mehr so gut funktioniert. Die Tiere nehmen Gerüche entweder schlechter wahr, oder sie reagieren falsch darauf. 

Können sich Meeresbewohner an die neuen Verhältnisse anpassen?

Einige Arten kommen deutlich besser mit der Versauerung und Erwärmung des Wassers zurecht als andere. Eine Scholle in der Nordsee zum Beispiel reagiert da relativ flexibel. Schließlich ist sie daran angepasst, dass der Kohlendioxid-Gehalt im Wattenmeer im Laufe eines Tages und Jahres schwankt. Deshalb kann sie leichter auf die Veränderungen reagieren als die Fische der Polargebiete, die auf sehr konstante Umweltbedingungen eingerichtet sind. Doch auch innerhalb derselben Art reagieren nicht alle Tiere gleich empfindlich. Der Nachwuchs von Fischen kann sich je nach Umweltbedingungen etwas anders entwickeln, so dass er mit den neuen Verhältnissen besser zurechtkommt. Allerdings kann das unter Umständen in der nächsten Generation zu Missbildungen oder einer höheren Sterblichkeit führen. Wie gut sich verschiedene Arten tatsächlich an die neuen Herausforderungen anpassen können, ist daher noch unklar.

Gibt es auch Organismen, die von den neuen Verhältnissen profitieren können?

Solange sich das Meerwasser nicht zu einer echten Säure entwickelt, sind die hohen Kohlendioxid-Konzentrationen vor allem für pflanzliche Ozeanbewohner von Vorteil. Denn Algen und Seegräser nutzen CO2, um mittels Photosynthese Energie zu gewinnen. Dabei können sie sich ihren pH-Wert bis zu einem gewissen Grad auch selbst gestalten. Das wird vor allem bei Algenblüten deutlich: Wo massenhaft winzige Algen im Wasser treiben, verbrauchen diese so viel Kohlendioxid, dass der pH mitunter bis auf deutlich basische Werte um die 9 ansteigt.

Welche Auswirkungen kann die Ozeanversauerung für den Menschen und seine Wirtschaft haben?

Zu den am stärksten betroffenen Wirtschaftszweigen dürften Fischerei und Aquakultur gehören. Ökonomisch interessante Fischarten werden künftig womöglich nicht mehr so gut aufwachsen oder vermehrt Fressfeinden zum Opfer fallen. Die Austernzucht-Betriebe an der Westküste der USA haben schon heute mit den Problemen der Versauerung zu kämpfen. Und Modellrechnungen zeigen, dass der Königskrabben-Fischerei in der Beringsee bis zum Jahr 2100 massive Verluste drohen. Zudem werden die Schäden an den Korallenriffen drastische Folgen für die Fischerei, den Tourismus und den Küstenschutz haben. Schließlich gewinnen derzeit rund 400 Millionen Menschen weltweit ihre Nahrung aus diesen Ökosystemen und profitieren davon, dass intakte Riffe als Wellenbrecher wirken. 

Was kann man gegen Ozeanversauerung tun?

Die einzige wirksame Strategie besteht darin, das Problem an der Wurzel zu packen und den Kohlendioxid-Ausstoß zu senken. Selbst wenn man die Emissionen auf null bringen könnte, würde es allerdings Jahrtausende dauern, bis sich die Meere vollständig von den menschgemachten Veränderungen erholt haben. Das verhängnisvolle Trio aus Erwärmung, Versauerung und Sauerstoffmangel wird den Ökosystemen der Ozeane also noch lange zusetzen.

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Portraitfoto von Prof. Dr. Laurie C. Hofmann

Laurie C. Hofmann

Prof. Dr. Laurie C. Hofmann, Expertin für angewandte Makroalgenforschung
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Hans-Otto Pörtner

Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner, Experte für Fragen rund ums Thema IPCC