UN-Abkommen für den Meeresnaturschutz

Darum geht es

Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) wurde 1982 verabschiedet und trat 1994 in Kraft. Es regelt alle Nutzungsarten der Meere und bildet den rechtlichen Rahmen für die internationale Meeres-Governance. Das SRÜ enthält einen speziellen Teil zur Hohen See, der jedoch nur allgemeine Schutzmaßnahmen vorschreibt. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Vielfalt der Arten und Lebensräume der Hohen See und deren Schutzbedürftigkeit erst nach Abschluss des SRÜ bekannt wurden. 

Es gibt einige internationale Übereinkommen, die sich global mit einzelnen Aktivitäten auf der Hohen See befassen. So wird die Seeschifffahrt durch die Internationale Seeschifffahrts-Organisation, die Hochseefischerei durch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen und das Fishstock-Agreement der Vereinten Nationen geregelt. Neben diesen sektoralen Abkommen gibt es regionale, multilaterale Abkommen, deren Geltungsbereich sich auch auf einzelne Hochseegebiete erstreckt. Dazu gehören z.B. einige regionale Meeresschutzabkommen wie OSPAR oder regionale Fischereiorganisationen.

Zu Beginn des BBNJ-Prozesses (Biodiversity Beyond National Jurisdiction) wurde viele Jahre diskutiert, ob der Schutz der Biodiversität der Hohen See durch eine Erweiterung bestehender Übereinkommen oder durch ein völlig neues Abkommen erreicht werden kann.  Die Entscheidung fiel 2011 zugunsten Letzteren, da deutlich wurde, dass die Erweiterung der Mandate bestehender Abkommen sehr zeit- und arbeitsaufwändig gewesen wäre und letztlich nicht den gewünschten umfassenden Schutz der Biodiversität der Hohen See gewährleistet hätte.

Inkrafttreten

Der offizielle Text des neuen Abkommens liegt seit dem 20. September 2023 bei den Vereinten Nationen zur Unterzeichnung aus. Schon am ersten Tag haben 68 Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, das neue Abkommen unterzeichnet. Die gemeinsame Pressemitteilung vom Auswärtigem Amt und dem Bundesumweltministerium zur Unterzeichnung des Hochseeschutzabkommens gibt es auf der Webseite des Auswärtigen Amtes. Der Fortschritt in der Unterzeichnung durch weitere Staaten kann auf treaties.un.org verfolgt werden. Der NGO Verbund "High Seas Alliance" hat eine Weltkarte erstellt, in der die Unterzeichnungen auch geographisch verfolgt werden können. 

Mit der Unterzeichnung nimmt der Staat noch keine positiv-rechtlichen Verpflichtungen des Vertrags an. Er drückt damit vielmehr seine Absicht aus, den nationalen Ratifizierungsprozess in Gang zu bringen und die Bereitschaft, zu einem späteren Zeitpunkt an den Vertrag gebunden zu sein.

Der Ratifizierungsprozess ist von Staat zu Staat unterschiedlich. In Deutschland muss im Rahmen der Ratifizierung ein Umsetzungsgesetz ausgearbeitet werden, welches die Beteiligung des Bundestags voraussetzt. Zum Abschluss des nationalen Ratifizierungsprozesses wird eine offizielle Urkunde erstellt, die vom Bundespräsidenten unterzeichnet und dann offiziell bei den Vereinten Nationen in NY hinterlegt wird. Wenn Ratifizierungsurkunden von 60 Staaten vorliegen, tritt das neue Abkommen in Kraft und wird für diese Staaten verbindlich.

Änderungen durch das Abkommen

Nach 20 Jahren internationaler Verhandlungen hat der Schutz der Biodiversität der Hohen See ein Zuhause gefunden. Mit dem neuen Abkommen können rechtlich verbindliche Richtlinien und Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden, die auch auf andere Übereinkommen und Gremien mit einem Mandat für die Hohe See wirken. Das neue Übereinkommen enthält zahlreiche Melde- und Berichtspflichten über Aktivitäten auf der Hohen See, denen die Mitgliedstaaten künftig nachkommen müssen. Diese Informationen sollen dann in einem Clearing-House-Mechanismus gespeichert und zugänglich gemacht werden. Damit wäre erstmals ein Überblick möglich, wer, wo, was, wie auf Hoher See tut.

„Gebiete jenseits nationaler Hoheitsgewalt“, „Hohe See“ oder „Gebiet?“: Was ist der Unterschied?

Der Begriff "Hohe See" (the 'High Seas') umfasst nach dem Seerechtsübereinkommen nur den Wasserkörper der internationalen Gewässer. Der Meeresboden und Meeresuntergrund in "Gebieten jenseits nationaler Hoheitsgewalt" ('areas beyond national jurisdiction') wird als "Gebiet" (the 'Area') bezeichnet.

Einrichtung neuer Hochseeschutzgebiete

Derzeit sind etwa 8% der nationalen Gewässer geschützt, aber nur 1% der Hohen See.  Das erste Hochseeschutzgebiet wurde 2009 von der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR) südlich der subantarktischen South Orkney Islands eingerichtet, kurz darauf folgten Schutzgebiete im Atlantik unter OSPAR. Im Rahmen der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen haben Expertinnen und Experten in den letzten Jahren 321 sogenannte "Ecological and Biological Sensitive Areas" (EBSA) auf der Hohen See identifiziert, die sie für schutzbedürftig halten.

Das AWI unterstützt seit mehr als 10 Jahren die Ausweisung eines Meeresschutzgebietes im antarktischen Weddellmeer. Unsere Forschungen zeigen aber, dass auch andere Hochseegebiete schützenswert sind, zum Beispiel der Gagel- und der Langseth-Rücken in der Nähe des Nordpols. Diese Unterwassergebirge beherbergen faszinierende Schwammgemeinschaften.  Schützenswert ist auch das so genannte Discol-Gebiet im Südostpazifik vor der Küste Perus, wo von 1988 bis 1997 Langzeitversuche und Untersuchungen im Zusammenhang mit einem geplanten Abbau von Manganknollen durchgeführt wurden, die noch heute beobachtet werden und wichtige Erkenntnisse liefern.

Die Inhalte und Grenzen des Abkommens

Als Durchführungsübereinkommen zum Internationalen Seerechtsübereinkommen schließt das neue Abkommen eine wichtige Lücke in der multilateralen Meeres-Governance und wird künftig eine zentrale Rolle im globalen Meeresschutz spielen. Es trägt unter anderem dazu bei, internationale Ziele wie das UN-Nachhaltigkeitsziel 14 "Leben unter Wasser" zu erreichen und unterstützt die Bemühungen, bis 2030 30 Prozent der Weltmeere unter Schutz zu stellen.

Das neue Abkommen regelt die künftige Nutzung (einschließlich Vorteilsausgleich) mariner genetischer Ressourcen der Hohen See, ermöglicht die Ausweisung von Schutzgebieten in internationalen Gewässern, führt verbindliche Umweltverträglichkeitsprüfungen für alle Aktivitäten mit erheblichen Auswirkungen auf die Meeresumwelt der Hohen See ein und unterstützt den Kapazitätsaufbau (einschließlich Technologietransfer) in kleineren Staaten, um deren Engagement und Beteiligung an der nachhaltigen Nutzung und Governance der Hohen See zu stärken.

Das neue Abkommen regelt nicht die Fischerei oder den Tiefseebodenbergbau auf Hoher See, für die es bereits eigenständige internationale Abkommen und Gremien gibt (z.B. UN Fishstock Agreement, UN Food and Agriculture Organization, Regional fisheries management organisations, International Seabed Authority). Auch für mögliche Aktivitäten auf der Hohen See zur Bekämpfung des Klimawandels (Marine Geoengineering) gibt es mit dem London Convention & Protocol bereits ein entsprechendes internationales Übereinkommen.

Kontrolle der Einhaltung der neuen Regeln

Die Kontrolle von Aktivitäten auf Hoher See ist nicht einfach. Das neue Übereinkommen sieht jedoch vor, dass die Mitgliedstaaten alle Aktivitäten auf Hoher See melden. Damit gäbe es zum ersten Mal verlässliche und zugängliche Informationen darüber, wer was wo auf Hoher See tut. Illegale, nicht gemeldete und unregulierte Aktivitäten könnten so leichter aufgedeckt werden. Im Rahmen des Abkommens wird es einen speziellen Ausschuss geben, der für die Umsetzung und Einhaltung des neuen Abkommens verantwortlich ist. Das Abkommen enthält auch Artikel zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten. Die Einrichtung einer Hochseepolizei ist derzeit nicht vorgesehen, jedoch wird jeder Unterzeichnerstaat bestrebt sein, sicherzustellen, dass die von seinem Hoheitsgebiet oder von Schiffen unter seiner Flagge ausgehenden Tätigkeiten mit dem neuen Übereinkommen vereinbar sind.

Funktionsweise und Verortung des Abkommens

Unter dem neuen Abkommen wird es eine Vertragsstaatensitzung (Conference of Parties), einen wissenschaftlich-technischen Ausschuss und ein Sekretariat geben. Über den Sitz des Sekretariats muss noch entschieden werden.

Wichtig ist, dass Beschlüsse und Entscheidungen unter dem neuen Abkommen auch dann mit Mehrheit getroffen werden können, wenn in den Verhandlungen kein Konsens erzielt werden kann. Damit wird verhindert, dass Beschlüsse und Entscheidungen von einzelnen Mitgliedstaaten blockiert werden können. Speziell für die Einrichtung von Meeresschutzgebieten sieht das neue Abkommen vor, dass diese auch mit einer ¾ Mehrheit beschlossen werden können.

Das neue Abkommen sieht umfangreiche Berichtspflichten für die Mitgliedstaaten vor. Die entsprechenden Informationen sollen in einem Clearing-House-Mechanismus gesammelt und zugänglich gemacht werden. Die wichtigsten Aufgaben der neuen Gremien und Prozesse sind bereits in der Konvention enthalten, müssen aber insbesondere in den ersten Jahren nach Inkrafttreten der neuen Konvention noch durch Beschlüsse der Vertragsstaatenkonferenz umgesetzt bzw. ergänzt werden.

Auf europäischer und deutscher Ebene müssen im Rahmen der Ratifizierung die Zuständigkeiten und Kompetenzen geklärt und die entsprechenden Gremien- und Verwaltungsabläufe etabliert werden. Wenn das neue Abkommen in Kraft tritt, sind also keine Wunder zu erwarten.  Es wird einige Jahre dauern, bis das neue Abkommen seine volle Wirkung entfaltet.

Das neue Übereinkommen schließt eine Lücke in der multilateralen Meeres-Governance, hat aber natürlich viele Berührungspunkte mit anderen, bereits bestehenden internationalen Übereinkommen und Gremien. Das neue Abkommen legt fest, dass diese "International Frameworks and Bodies" (IFB) nicht untergraben werden dürfen. Was dies genau bedeutet und wie die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten verteilt und eine effektive Zusammenarbeit gestaltet werden kann, muss in den nächsten Jahren diskutiert und erarbeitet werden.

Unsere BBNJ-Fachleute

Portrait von Dr. Stefan Hain

Stefan Hain

Umweltpolitischer Sprecher des Alfred-Wegener-Institutes
Portraitfoto von Helmut Hillebrand

Helmut Hillebrand

Direktor des Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität