Forschung
Schwerpunkt der Forschung – Die Arktis erwärmt sich schneller als jede andere ozeanische Region der Erde, und die Meereisbedeckung nimmt schneller ab, als Modelle vorhersagen. Aufgrund der Veränderungen der Meereisbedeckung und der Schichtung könnte sich die Produktivität im Arktischen Ozean von einer überwiegend lichtgesteuerten zu einer stärker nährstoffgesteuerten Entwicklung entwickeln. Auch das Phänomen der Ozeanversauerung ist in der Arktis aufgrund der höheren Löslichkeit von CO2 bei niedrigen Temperaturen und der geringeren Alkalinität am stärksten ausgeprägt. Um mögliche synergistische oder antagonistische Wechselwirkungen zwischen der Erwärmung der Ozeane, der Versauerung oder der veränderten Licht- und Nährstoffverfügbarkeit zu erforschen, verwenden wir multifaktorielle Inkubationsmatrizen. In solchen Experimenten werden zwei oder mehr Umweltparameter (z. B. Temperatur, CO2, Licht, Nährstoffe) unabhängig voneinander variiert, so dass sowohl die kombinierten als auch die individuellen Auswirkungen untersucht werden können. Trotz der Komplexität dieser Reaktionen können sie grundsätzlich in physiologische und ökologische Aspekte unterteilt werden, z. B. in Veränderungen der zellulären Prozessraten und Verschiebungen in der Dominanz von Arten, die die Reaktionen der Gemeinschaft steuern. Um dies systematisch anzugehen, bewerten wir die Auswirkungen mehrerer Einflussfaktoren auf der Ebene der Physiologie in Isolaten von Schlüsselarten und die ökologischen Folgen, indem wir die Empfindlichkeit natürlicher Lebensgemeinschaften testen.
Prozessverständnis – Die Bestimmung einer empirischen Beziehung zwischen den Einflussfaktoren und den jeweiligen Reaktionen in Bezug auf das Wachstum und die Elementzusammensetzung einer Phytoplanktonart ist der notwendige erste Schritt zur Abschätzung der Auswirkungen auf Organismen, Ökosysteme und den Kreislauf der Elemente. Dieser üblicherweise verwendete Ansatz kann jedoch die beobachteten Reaktionen nicht erklären, da er keine Informationen über die zugrunde liegenden Prozesse liefert. Darüber hinaus kann die Empfindlichkeit einer Phytoplanktonart gegenüber Einflussfaktoren je nach der untersuchten „subzellulären Ebene“ unterschiedlich sein. Um diese Reaktionen zu erklären, wenden wir mehrere Ansätze an, die auf verschiedene Ebenen der Physiologie abzielen, indem wir eine Kombination aus massenspektrometrischen (Membraneinlass-Massenspektrometrie, MIMS), fluorometrischen (Fast-Repetition-Rate-Fluorometrie, FRRF) und Isotopen-Tracer-Techniken (14C-/18O-markierte Substrate) verwenden. Diese In-vivo-Messungen werden durch funktionelle „Omics“-Ansätze unterstützt, um die zugrunde liegende molekulare Maschinerie und die darin enthaltenen Regulationsmuster zu ermitteln. Messungen auf diesen verschiedenen Ebenen der Zellbiologie ermöglichen es uns dann, Veränderungen in den zellulären Flüssen von Elementen (z. B. C, N, P) und Energie (z. B. ATP, [e-]) unter verschiedenen Zukunftsszenarien zu erklären und Engpässe und Kompromisse in Stoffwechselwegen zu identifizieren, die unterschiedliche Empfindlichkeiten von Arten und Gruppen erklären.
Artverschiebungen – Studien, die sich nur auf einzelne Arten und Stämme konzentrieren, können der Komplexität natürlicher Lebensgemeinschaften nicht gerecht werden, da ihnen kritische Aspekte ökologischer Interaktionen, z. B. Konkurrenz oder Fraßdruck, fehlen. Es hat sich gezeigt, dass Vorhersagen, die ausschließlich auf physiologischen Daten beruhen, die Reaktionen in natürlichen Umgebungen unter- oder überbewerten. Daher kombinieren wir experimentelle Ansätze aus der Physiologie und der Ökologie, indem wir die Reaktionen natürlicher Lebensgemeinschaften sowie die ermittelten „Gewinner und Verlierer“ der einzelnen Szenarien testen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Vielfalt der Reaktionsmuster zu untersuchen, indem die Reaktionsnormen in mehreren Stämmen oder Populationen gemessen werden, wobei der Schwerpunkt auf den Merkmalen liegt, die nachweislich die Konkurrenzfähigkeit der Zellen beeinflussen. Dies ermöglicht es uns, die Folgen einer veränderten Physiologie in einem ökologischen Kontext zu bewerten und die Merkmale zu identifizieren, die sich auf die Fitness der Arten auswirken, was eine Voraussetzung dafür ist, zu beurteilen, ob die zellulären Reaktionen durch die Ökologie „verstärkt“ oder „abgepuffert“ werden. Die Anwendung ökologischer Konzepte verbessert unsere Fähigkeit, floristische und funktionelle Veränderungen in zukünftigen Klimaszenarien vorherzusagen.
FRAM - Unsere Arbeitsgruppe engagiert sich auch im Rahmen des Arktischen Langzeitobservatoriums FRAM (Frontiers in Arctic Marine Monitoring). Dies soll zukünftig mit Hilfe neuer Entwicklungen und bewährter Technologien ermöglichen, chemische und biologische Daten in hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung zu erfassen. Ausgangsbasis des Observatoriums FRAM ist das seit mehr als 15 Jahren existierende Langzeit-Observatorium 'Hausgarten' in der Framstraße, die den Arktischen Ozean mit dem Nordatlantik verbindet. Anders als die Flachwasserverbindung zum Pazifik ist dieser Übergang bis zu 5569 Meter tief, so dass hier der überwiegende Wasseraustausch des zentralen Arktischen Ozeans mit den übrigen Weltmeeren stattfindet. Bisher ortsgebundene Messeinheiten, sogenannte Verankerungen, werden hier mit vielen beweglichen Komponenten wie Tiefseerobotern, Eisbojen, Gleitern und autonom navigierenden Unterwasserrobotern ergänzt. Sie sollen es ermöglichen, über die Verankerungskette und den Hausgarten hinaus vom europäischen Nordmeer bis in die Arktis zu schauen. Phytochange betreibt hierbei die in-situ Sensorik für CO2 und Nährstoffe, die die primären Steuergrößen für die Produktivität des Phytoplankton sind.