21. September 2020
Online-Meldung

Zwerge im Fadenkreuz

AWI-Wissenschaftler geben Empfehlungen zum Nachweis von Mikroplastik
Beispiel einer Mikroplastikanalyse einer Prozessprobe in einem Klärwerk vor einer finalen Filtrationseinrichtung. (Foto: Alfred-Wegener-Institut / Sebastian Primpke)

Die zunehmende Belastung der Umwelt mit winzigen Plastikteilchen beobachten viele Fachleute mit Sorge. Noch aber ist zu wenig über das Ausmaß des Problems bekannt. Zwar gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Mikroplastik im Wasser und in anderen Umweltproben nachzuweisen. Doch die Ergebnisse sind oft nur schlecht vergleichbar. Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem präsentiert ein internationales Team um Dr. Sebastian Primpke und Dr. Michaela Meyns vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in zwei neuen Studien im Fachjournal „Applied Spectroscopy“.

Die Welt ist voller Plastik. In winzigen, kaum sichtbaren Partikeln schlummert es im Boden, schwimmt in Seen und Flüssen und reist über die Ozeane. Mal handelt es sich dabei um Bruchstücke von größeren Plastikteilen, mal um Fasern von Mikrofaserkleidung oder Granulate aus Kosmetikprodukten. Selbst in entlegenen Regionen der Polargebiete sind diese Spuren der Zivilisation schon aufgetaucht. Welche Folgen das genau hat, ist noch unklar. Fachleute befürchten allerdings, dass dieses Mikroplastik die Umwelt und auch die Gesundheit des Menschen gefährden könnte. 

Deshalb arbeiten Experten rund um die Welt an Strategien, um diese Belastung zu reduzieren. Voraussetzung dafür ist allerdings, das Ausmaß des Problems erst einmal zu erfassen. „In Kalifornien zum Beispiel muss Trinkwasser ab Juli 2021 standardmäßig auf solche Partikel untersucht werden“, sagt Sebastian Primpke. Und auch in die geplante neue Trinkwasser-Richtlinie der EU soll das Thema Mikroplastik einfließen. 

Die Frage ist allerdings, wie man die Plastik-Zwerge in Wasser- oder anderen Umweltproben am besten aufspürt. „Methoden dafür gibt es bereits in ausreichender Anzahl“, erklärt Sebastian Primpke. „Das Problem ist allerdings, dass die Ergebnisse der einzelnen Verfahren aktuell nur schwer vergleichbar sind.“ Für Routine-Untersuchungen aber bräuchte man Standardprotokolle, die mit vertretbarem Aufwand ausreichend genaue und vergleichbare Resultate liefern. Und die gilt es erst noch zu entwickeln. 

Als ersten Schritt auf diesem Weg haben Sebastian Primpke und seine Kollegen in einem Team von internationalen Experten daher einen Überblick über die zur Verfügung stehenden Fahndungsmethoden mit ihren Vor- und Nachteilen erstellt. „Neben der Fähigkeit, die Partikel nachzuweisen, haben uns dabei auch die damit verbundenen Kosten interessiert“, erklärt der Forscher. 

Wie hoch sind die Kosten?

So gelten optische Verfahren, bei denen man die Teilchen unter dem Mikroskop in festgelegte Größenklassen einsortiert, als besonders preiswert. Tatsächlich schlagen die dazu nötigen Mikroskope mit Preisen von einigen Tausend bis einigen Zehntausend Euro zu Buche – und sind damit deutlich günstiger als etliche andere Analyse-Geräte. „Man muss allerdings bedenken, dass für eine solche Analyse meist jemand die Probe ständig begutachten und die interessanten Partikel auswählen muss“, sagt Sebastian Primpke. Wenn man eine typische Wasserprobe auf diesem Weg genau untersuchen will, ist man einen ganzen Tag damit beschäftigt.

Bei anderen Verfahren übernimmt dagegen die Technik einen guten Teil der Arbeit. So kann man beispielsweise entweder die interessanten Partikel über ein Bildanalyseverfahren automatisch auswählen oder die gesamte Filteroberfläche messen. Diese werden dann von einem Fourier-Transform-Infrarot (FT-IR) Mikroskop analysiert. Dieses Gerät kann nicht nur herausfinden, wie viele Teilchen welcher Größe die jeweilige Probe enthält. Es bestimmt auch gleich, ob es sich um Plastik handelt und wenn ja, um welche Art. Dazu sendet es Strahlen im Infrarotbereich aus. Wenn diese auf die Partikel treffen, wird ein Teil der Wellenlängen absorbiert – und zwar je nach Material unterschiedliche. Anhand des verbliebenen Spektrums kann man die Teilchen daher wie über einen Fingerabdruck identifizieren. 

Das Verfahren liefert also mehr Informationen als die Analyse unter dem optischen Mikroskop – und das bei viel geringerem Personalaufwand. „Um die Partikel zu identifizieren, muss man in diesem Fall nur eine oder zwei Stunden Arbeitszeit aufwenden“, sagt Sebastian Primpke. „Den Rest macht das Gerät allein.“ Dafür fallen für solche Mikroskope allerdings meist Anschaffungskosten im sechsstelligen Euro-Bereich an. „Man muss also je nach Situation abwägen, ob der eingesparte Arbeitsaufwand die höheren Investitionen rechtfertigt“, resümiert Sebastian Primpke. 

Seiner Einschätzung nach werden sich die Geräte wegen der hohen Kosten wohl kaum an jedem Standort installieren lassen. Deshalb empfehlen er und seine Kollegen für künftige Routinetests ein abgestuftes Verfahren. So könne man die Partikel zunächst zum Beispiel kostengünstig unter dem Mikroskop auszählen. Erst wenn dabei ein bestimmter Grenzwert überschritten werde, ab dem vermutlich Gesundheitsgefahren drohen, könne man die Probe dann für genauere spektroskopische Analysen in ein spezialisiertes Labor schicken.

Spezielle Software hilft bei großen Datenmengen

Auch wenn man ein teures FT-IR Gerät zur Verfügung hat, sind damit allerdings noch nicht alle Probleme gelöst. Denn bei der Analyse von Mikroplastik mittels Infrarot-Mikroskopie fallen sehr große Datenmengen an, die man mit speziellen Computerprogrammen auswerten muss. Dafür aber haben die Geräte der unterschiedlichen Hersteller jeweils ihre eigene Software, ihre eigenen Datenbanken und Auswertemechanismen. Und nichts davon ist gut miteinander kompatibel. Wer mit FT-IR arbeitet, bekommt zwar ausführliche Auflistungen darüber, wie viele Partikel von welcher Größe und welchem Plastik-Typ in seinen Proben enthalten sind. Er konnte diese Informationen bisher aber schlecht mit den Daten von Kolleginnen und Kollegen vergleichen, die andere Geräte verwenden.

Deshalb haben die AWI-Mitarbeiter zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von der Universität im dänischen Aalborg eine eigene Software namens siMPle („Systematic Identification of MicroPLastics in the Environment“) entwickelt, die diese Kompatibilitätsprobleme löst. Den Praxistest hat sie schon bestanden: Mit verschiedenen FT-IR Geräten haben Forscher aus den Niederlanden und Großbritannien, Dänemark und Deutschland behandelte Abwasser-Proben aus Kläranlagen untersucht. Dabei kamen nicht nur unabhängig vom Gerät ähnliche Ergebnisse heraus. Zur Überraschung des Teams waren diese sogar genauer als mit der kommerziellen Software, die sie bisher verwendet hatten.

„Inzwischen arbeiten auch schon viele Kolleginnen und Kollegen an anderen Institutionen im In- und Ausland damit“, freut sich Sebastian Primpke. Das erhöhe die Vergleichbarkeit der Daten, und es werde deutlich einfacher, mehrere Studien verschiedener Forschungsgruppen gemeinsam auszuwerten oder ein internationales Monitoring der Mikroplastik-Belastung auf die Beine zu stellen. "Mit der neuen Mikroskopietechnik nano-FTIR arbeiten wir gerade daran, noch kleineres Nanoplastik zu identifizieren. Für die Auswertung der Daten benutzen wir siMPle um für diese kleinen Partikel von vornherein für Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu sorgen" betont Michaela Meyns.

Doch auch für den Schulunterricht oder andere Bildungszwecke lässt sich die Software nutzen. Denn sie ist im Internet zusammen mit Datenbanken und Beispielen kostenlos verfügbar (www.simple-plastics.eu). Die Fahndung nach den Plastik-Zwergen kann also in eine neue Runde gehen.

 

Originalpublikationen:  

Sebastian Primpke, Silke H. Christiansen, Win Cowger, Hannah De Frond, Ashok Deshpande, Marten Fischer, Erika B. Holland, Michaela Meyns, Bridget A. O’Donnell, Barbara E. Ossmann, Marco Pittroff, George Sarau, Barbara M. Scholz-Böttcher und Kara J. Wiggin: Critical Assessment of Analytical Methods for the Harmonized and Cost-Efficient Analysis of Microplastics. Applied Spectroscopy 0003702820921465, DOI: 10.1177/0003702820921465 

Sebastian Primpke, Richard K. Cross, Svenja M. Mintenig, Marta Simon, Alvise Vianello, Gunnar Gerdts und Jes Vollertsen: Toward the Systematic Identification of Microplastics in the Environment: Evaluation of a New Independent Software Tool (siMPle) for Spectroscopic Analysis. Applied Spectroscopy 0003702820917760, DOI: 10.1177/0003702820917760

 

Weiterführende Informationen:

Meyns, M., Primpke, S. & Gerdts, G. Library based identification and characterisation of polymers with nano-FTIR and IR-sSNOM imaging. Anal. Methods 11, 5195-5202, doi:10.1039/C9AY01193E (2019).

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