Die Neumayer-Station III des Alfred-Wegener-Instituts wird dieses Jahr ausschließlich auf dem Seeweg versorgt. Das Forschungsschiff Polarstern bringt – wie üblich – Material und Treibstoff in die Antarktis. Corona-bedingt reisen aber diese Saison auch alle Menschen, die an der Station arbeiten, per Schiff auf den Südkontinent.
Statt mit dem Flugzeug in Südafrika starten die diesjährigen Antarktis-Expeditionsteilnehmenden ihre Reise in Bremerhaven. Die Polarstern wird sie vom Heimathafen aus am 20. Dezember 2020 Non-Stopp in die Atkabucht in der Antarktis bringen. Vom dortigen Anleger an der Schelfeiskante gelangen Mensch und Material dann mit Pistenraupen und Schneeskootern zur etwa zehn Kilometer entfernten Neumayer-Station III. „Diese direkte Anreise ist dabei nur eine Maßnahme aus einem ganzen Katalog, den wir aufgesetzt haben, um das Einschleppen des Corona-Virus in die Antarktis und an die Neumayer-Station zu verhindern“, sagt Dr. Tim Heitland. Der ehemalige Neumayer-Überwinterer (Üwi) ist in der Logistikabteilung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) als medizinischer Koordinator und unter anderem für die Ausbildung der Überwinterungsteams zuständig.
„Wir glauben, dass wir so den bestmöglichen Weg gefunden haben, die Üwi-Teams auszutauschen und auch technisches und wissenschaftliches Personal zur Wartung und Instandhaltung der Station und der Observatorien in die Antarktis zu bringen“, sagt Tim Heitland, der auf dem Weg in die Antarktis die Fahrtleitung auf der Polarstern sowie die Expeditionsleitung an der Neumayer-Station übernehmen wird. Was bei Expeditionen und den zugehörigen Reisen an coronaspezifischen Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen ist, hat das ganze AWI-Logistik-Team im vergangenen Jahr gelernt, als die Durchführung der MOSAiC-Expedition mit der Polarstern in der zentralen Arktis trotz weltweiter Reisebeschränkungen aufrecht erhalten werden konnte. Ebenso wie im Sommer gehört auch jetzt eine Einzelquarantäne vor Expeditionsbeginn mit mehrfachen Corona-Tests zum Maßnahmenkatalog. Auf dem Forschungsschiff und der Antarktisstation stehen PCR-Testgeräte zur Verfügung und in den Hospitälern und Apotheken wurde der Situation entsprechend mit zusätzlicher Ausrüstung, Medikamenten und medizinischem Sauerstoff für den Notfall nachgerüstet. Tim Heitland: „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, so dass ich der Antarktis-Saison jetzt mit großer Gelassenheit entgegensehe. Trotz aller Vorsorgemaßnahmen bleibt es natürlich immer eine Polarexpedition, und allein die Abgelegenheit verlangt immer von allen Teilnehmenden Respekt und umsichtiges Verhalten.“
Der zukünftige Stationsleiter und Arzt auf der Neumayer-Station Peter Jonczyk fühlt sich und seine Kollegen gut versorgt, denkt aber auch an Freunde und Familie, die nicht in einer Corona-freien Umgebung leben: „Corona-bedingt müssen wir uns im zukünftigen Üwi-Team ab der Abreise nun weniger Sorgen um uns selber machen. Das ist etwas Besonderes, aber die Sorge um unsere Angehörigen daheim bleibt bestehen. Umso mehr freuen wir uns, selbst auf der Polarstern täglich digital erreichbar zu sein. Das entspannt doch sehr die besondere Situation.“
Seit dem Jahr 2002 nutzt das Alfred-Wegener-Institut das DROMLAN-Netzwerk, das Teams für viele Antarktisstationen im Königin-Maud-Land über das südafrikanische Kapstadt per Langstreckenflug an die russische Novo-Airbase in die Antarktis fliegt. Von dort aus geht es dann mit kleineren Maschinen weiter an die einzelnen Stationen. Bevor dieses Netzwerk eingerichtet wurde, war die Anreise mit der Polarstern der normale Weg. „In Kombination mit der vorgeschalteten Quarantäne führt die etwa einmonatige Anreise dazu, dass die Saison für uns lange dauert“, berichtet Tim Heitland. Um den 20. Januar 2021 herum ist der Anlauf in der Atkabucht geplant. Dann können die mitfahrenden 25 Menschen an der Neumayer-Station ihre Arbeit aufnehmen: AWI-Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen warten die Observatorien für Luftchemie, Geophysik und Meteorologie und tauschen sich mit den alten und den neuen Überwinterungsteams über die Langzeitmessungen aus. Technikerinnen und Techniker kümmern sich darum, dass die Station als Infrastruktur funktionstüchtig bleibt.
Nach der Überwinterungsmission 2018 ist nun zum zweiten Mal ein Crewmitglied für das DLR-Antarktisgewächshaus EDEN ISS dabei. Für die Überwinterung 2021 wird die Pflanzenwissenschaftlerin Jess Bunchek vom Kennedy Space Center der NASA als Gastforscherin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein Jahr mit der Gemüsezucht ohne Erde und unter künstlichem Licht auf dem eisigsten Kontinent verbringen. Diese Zusammenarbeit soll dazu beitragen, den Entwurf eines zukünftigen Mond- oder Marsgewächshauses und die Anforderungen an die Unterstützung der Astronautenbesatzung mitzugestalten.
Die Polarstern fährt unterdessen nach Port Stanley auf den Falklandinseln. Dort löst eine neue Crew die Schiffsbesatzung ab, und ein internationales Wissenschaftsteam für eine Forschungsexpedition mit ozeanographischem Schwerpunkt im Weddellmeer geht an Bord. Auch für all diese Expeditionsteilnehmenden gelten vorherige strenge Schutzkonzepte mit Quarantäne und Tests. Auf dem Rückweg von dieser Expedition in der Antarktis sammelt das Schiff das alte Neumayer-Überwinterungs-, sowie das Technik-Team und die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wieder ein. Auf dem kurzen Transit zurück nach Port Stanley gibt es dann ebenfalls eine Reminiszenz an alte Zeiten: Zusammenrücken ist angesagt. Um die Fahrgäste von Neumayer mitnehmen zu können, wohnen in den Wissenschaftskammern dann drei statt der heutzutage üblichen zwei Personen. Dafür sind die Kammern seit jeher ausgelegt, und der Großteil der Forschung wird abgeschlossen sein, so dass die wenigen Tage bis zum Anlegen auf den Falklandinseln zu meistern sind. Per Flugzeug geht es von dort für die meisten zurück in die Heimat, während die Polarstern mit einer kleinen Gruppe Forschender die Rückreise nach Bremerhaven antritt, wo die Antarktissaison Ende April endet.