Das Internationale Polarjahr 2007/2008 geht zu Ende. Rund 120 Personen feiern heute im Klimahaus Bremerhaven zwei Jahre intensiver, international koordinierter wissenschaftlicher Kampagnen in beiden Polarregionen der Erde. Während der deutschen Abschlussveranstaltung zum Internationalen Polarjahr 2007/2008 blickten sie aber nicht nur auf neue Erkenntnisse und erfolgreiche deutsche Beiträge zurück, die Wissenschaftler aus dem gesamten Bundesgebiet betonten auch die künftige Bedeutung der Polarforschung. „Ein koordiniertes Programm für die Polarforschung, das die verschiedenen Disziplinen von der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung bis zur sozio-ökonomischen Forschung und der Forschung des öffentlichen Sektors zusammenbringt, ist für die anstehenden, großen Herausforderungen in den sich verändernden Polargebieten zu empfehlen und würde große Fortschritte ermöglichen“, unterstrich Prof. Dr. Karin Lochte, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft, die Wichtigkeit weiterer Forschung in Arktis und Antarktis.
Im Internationalen Polarjahr 2007/2008, das am 01. März 2007 begann, konnten hochinteressante Phänomene in Arktis und Antarktis beobachtet und wissenschaftliche Entdeckungen gemacht werden. Dabei wurden Fortschritte in der interdisziplinären und internationalen Kooperation erzielt und vor allem neue Erkenntnisse über die Rolle der Polarregionen im System Erde gewonnen. Allein in Deutschland waren über 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter verschiedener Institute mit knapp 70 Einzelprojekten beteiligt. Ein breites Spektrum an forschenden Disziplinen wie Biologie, Geowissenschaften, Atmosphärenwissenschaften, Ozeanographie, Klimaforschung, Human- und Sozialwissenschaften waren vertreten. Das internationale Polarjahr ermöglichte diese Vielzahl an wissenschaftlichen Aktivitäten durch die gemeinsame Nutzung logistischer und forschungsbezogener Ressourcen sowie die Bereitstellung und den Austausch von Daten.
Klimaprozesse in Arktis und Antarktis
Die Polargebiete spielen eine zentrale Rolle im Klima der Erde. Die Erwärmung in der Arktis und einigen Gebieten der Antarktis liegt um ein Vielfaches über dem globalen Mittel der vergangenen Jahrzehnte. Während des Internationalen Polarjahres sank in der Arktis die sommerliche Meereisausdehnung auf ihren bisherigen Tiefststand. Neue Daten aus Eis- und Sedimentkernen, die eine Einordnung in geologische Zeitskalen erlauben, lassen verlässlichere Rückschlüsse auf vom Menschen verursachte Änderungen zu, die von einer natürlichen Variabilität des Klimas nicht immer klar zu unterscheiden sind. Projekte im Internationalen Polarjahr liefern damit einen entscheidenden Schlüssel zur Verbesserung globaler Klimamodelle, die gerade durch bessere Daten aus Polarregionen weiter optimiert werden können.
Die heutige Klimaentwicklung einordnen und seine Folgen beurteilen zu können, erfordert, die Klimaschwankungen der Vergangenheit verstehen und rekonstruieren zu können. In diesem Sinne widmeten sich zahlreiche Projekte der Entschlüsselung klimabestimmender Prozesse in der Erdgeschichte. Die Ozeanbecken und Schelfe der zentralen Arktis sind während mehrerer Expeditionen geophysikalisch vermessen und geologisch beprobt worden. Die Öffnung der Meeresstraßen rund um die Antarktis vor rund 35 Millionen Jahren bildete die geografische Voraussetzung für die klimatische Isolation der Antarktis und die Ausbildung des Antarktischen Zirkumpolarstroms. Dies führte zur weiteren Abkühlung und Vereisung der Antarktis. Allerdings lieferten erste Ergebnisse des Bohrprojekts ANDRILL auf dem Schelfeis des Rossmeeres auch überraschende Hinweise - die Antarktis erlebte seit Beginn ihrer Vereisung immer wieder Perioden geringer Eisbedeckung. Die Ursachen hierfür sind noch unklar.
Vereisungsgeschichte der Antarktis
Das Internationale Polarjahr bot die seltene Gelegenheit, unter international koordinierten Anstrengungen Regionen und Ökosysteme zu erforschen, die zuvor aus logistischen Gründen nahezu unerreichbar waren. Im internationalen Forschungsprojekt AGAP (Antarctica's GAmburtsev Province) sind die erst vor 50 Jahren entdeckten Gamburtsew Berge, ein von einem mächtigen Eisschild bedeckter Gebirgszug der Antarktis, geophysikalisch untersucht worden. Ziel ist es, dort in den nächsten Jahren eine Bohrung durchzuführen, die den Fragen nachgeht, warum und seit wann dieses Gebirge existiert, und ob es vulkanischen Ursprungs ist. Dabei wird vermutet, dass die Vereisung der Ostantarktis vor über 30 Millionen Jahren von diesem Gebirge aus begann.
Biologische Vielfalt in der Antarktis
Auch in den Ozeanen gab es viel Neues zu entdecken. Ein meeresbiologischer „weißer Fleck“ wurde im Rahmen des Census of Antarctic Marine Life CAML, einer Erfassung möglichst vieler Meeresorganismen im Südpolarmeer, erforscht. Das Ökosystem unter dem erst vor wenigen Jahren weg gebrochenen Larsen A/B-Schelfeis ist zwar für die Antarktis typisch, doch aufgrund seiner bisherigen Unzugänglichkeit handelt es sich um einen der weltweit am wenigsten bekannten marinen Lebensräume.
Menschen im Klimawandel
Die Erforschung der Folgen des Klimawandels auf die Bevölkerung der Arktis steht im Zusammenhang mit dem Wandel der natürlichen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Beispielhaft dafür sind die Wandlungen in der Rentierhaltung im Nordwesten Russlands durch das Zusammenwirken wirtschaftlicher und klimatischer Faktoren. Es gibt neue Absatzmärkte, neue Technologien, längere schneefreie Perioden und dadurch auch Verschiebungen im Jahreszyklus. Die Größenordnung der zu erwartenden Umweltveränderungen, zum Beispiel das Tauen von Permafrost in Sibirien oder die Veränderung der Fischbestände im Nordatlantik, wird die Menschen in der Arktis vor große Herausforderung stellen.
Forschungsplattformen und innovative Technologien
Im Rahmen des Internationalen Polarjahres wurden zahlreiche neue Forschungsgeräte entwickelt und eingesetzt, sowie neue Plattformen für die Wissenschaft geschaffen. Das wohl herausragendste Großprojekt ist die vom Alfred-Wegener-Institut gebaute, neue deutsche Polarforschungsbasis Neumayer-Station III. In nur sieben Monaten – verteilt über zwei Jahre - hat ein Bauteam von rund 70 Spezialisten die Station auf dem Ekström-Schelfeis in der Antarktis errichtet. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Neumayer-Station III wird die Weiterführung der 1981 begonnenen deutschen Forschungsarbeiten für die nächsten 25 bis 30 Jahre sicherstellen. Sie dient darüber hinaus als Wettervorhersagezentrum und als logistische Basis im internationalen Flugnetzwerk DROMLAN (Dronning Maud Land Air Network). Ebenfalls in dieses Netzwerk eingebunden ist das Forschungsflugzeug Polar 5, eine speziell für den Einsatz in Polargebieten umgebaute Basler BT-67. Das ebenfalls vom Alfred-Wegener-Institut betriebene Flugzeug steht seit Oktober 2007 für deutsche und internationale Forschungskampagnen zur Verfügung. Im Rahmen des Internationalen Polarjahres konnte außerdem das technische und wissenschaftliche Konzept des neuen europäischen Forschungseisbrechers Aurora Borealis erarbeitet und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Das Schiff soll ab 2014 in Betrieb gehen.
Transparente Wissenschaft - Einbindung der Öffentlichkeit
Im Internationalen Polarjahr wurden große Anstrengungen unternommen, um die Öffentlichkeit auf umwelt- und klimarelevante Fragestellungen aufmerksam zu machen. Dadurch sind Bewusstsein und Verständnis der Öffentlichkeit für die Rolle der Polargebiete im globalen Erdsystem deutlich gestiegen. Viele Projekte im Internationalen Polarjahr beinhalteten Komponenten für Bildungs- und Wissenstransfer und erlangten durch Publikationen, Webseiten, Broschüren, Filme und Vorträge eine breite Zuhörerschaft in aller Welt. Der Wissenstransfer in Schulen bekam bei vielen Projekten einen besonderen Stellenwert. Zum Beispiel im deutschen Schulprojekt „Coole Klassen“ bekamen Lehrer die Möglichkeit, aktiv an Expeditionen teilzunehmen und interaktiv mit ihren und weiteren Schülern im Austausch zu sein.
Das Internationale Polarjahr hat sich zur größten international koordinierten
Forschungsinitiative der letzten 50 Jahre entwickelt und wurde vom International Council for Science (ICSU) und der World Meteorological Organization (WMO) getragen.
Weitere Information unter: www.polarjahr.de und www.awi.de
Hinweise für Redaktionen:
Ihre Ansprechpartner am Alfred-Wegener-Institut sind Dr. Julian Gutt (Tel: 0471 4831-1333, E-Mail: Julian.Gutt@awi.de) und Dr. Karsten Gohl (Tel: 0471 4831-1361, E-Mail: Karsten.Gohl@awi.de). Ihr Ansprechpartner in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist Dr. Ude Cieluch (Tel: 0471 4831-2008, E-Mail: Ude.Cieluch@awi.de)
Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der fünfzehn Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands