Der Grönländische Eisschild wirkt aus der Luft betrachtet wie eine große, zusammenhängende Eismasse. Mit einem modernen, flugzeuggestützten Eisradar jedoch lassen sich in der Tiefe des Eispanzers einzelne Schichten erkennen. Die Abfolge dieser Schichten erzählt von früheren Verformungen und zeigt Unregelmäßigkeiten des Eisflusses, die nicht mit der Form des Felsbettes zusammenhängen. Geowissenschaftler der Universität Tübingen und des Alfred-Wegener-Instituts haben jetzt ein neues Modell entwickelt, das beschreibt, durch welche Prozesse diese Architektur der tieferen Eisschichten entstanden ist.
Dazu haben die Forscher auf Basis von Eisradar-Daten ein dreidimensionales Modell des Petermann-Gletschers in Nordgrönland erstellt, welches die Gestalt seiner tiefen Eisschichten abbildet und den Wissenschaftlern völlig neue Einblicke ermöglicht. „Es gibt an dieser Stelle des Eisschildes bis zu zehn Kilometer lange Falten, die an leichte Wellen erinnern, aber auch Lagen, die um 180 Grad gekippt sind“, berichten die Forscher in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Communications.
Solche Auffaltungen des Eises wurden vorher schon an mehreren Stellen des Eisschilds entdeckt, doch nur im Untersuchungsgebiet oberhalb des Petermann-Gletschers waren die Radardatenabdeckung und die Datenqualität ausreichend für die Entwicklung eines 3D-Modells der Schichtungen.
Die Form der Falten legt nahe, dass sie durch seitlichen Druck hervorgerufen wurden. Ihm bringt das Eis mehr Widerstand entgegen als dem Zug in Fließrichtung. Dieses Verhalten wird von der Kristallstruktur des Eises in den tieferen Schichten der Eisschilde verursacht.
„In unserer Arbeitsgruppe erforschen wir den Einfluss der Form und Ausrichtung der Eiskristalle im Millimeter-Bereich auf das Fließen großer Eismassen. Ergebnisse wie im jetzigen Artikel vorgestellt zeigen, dass es wichtig ist, diese Einflüsse besser in numerische Modelle mit einzubeziehen, um vorhersagen zu können, wo ähnliche Störungen zu erwarten sind“, sagt AWI-Glaziologin und Nachwuchsgruppenleiterin Ilka Weikusat. Realitätsgetreue Modelle seien wichtig, um etwa die aus der Eisschichtung gewonnenen Daten über das frühere Klima richtig zu interpretieren.
Publikation:
Paul D. Bons, Daniela Jansen, Felicitas Mundel, Catherine C. Bauer, Tobias Binder, Olaf Eisen, Mark W. Jessell, Maria-Gema Llorens, Florian Steinbach, Daniel Steinhage & Ilka Weikusat: Converging flow and anisotropy cause large-scale folding in Greenland ice sheet. Nature Communications, DOI: 10.1038/ncomms11427.