Mit Fertigstellung ihrer Simulationskomponente im Deutsch-Indonesischen Tsunami-Frühwarnsystem (GITEWS) hat die Arbeitsgruppe Tsunami-Modellierung des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft das derzeit führende Softwaresystem zur schnellen Information über Tsunami-Ereignisse mit Katastrophenpotential vorgelegt. Es wird nun beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen in das Entscheidungs-Unterstützungs-System („Decision Support System“, DSS) integriert und soll im November in Indonesien in den Testbetrieb gehen.
„Innerhalb von etwas mehr als zwei Jahren hat mein Team mit Hilfe aktuellster Software-Technologien das modernste und flexibelste Simulationssystem für eine der gefürchtetsten Naturkatastrophen der Erde entwickelt“, erläutert Dr. Jörn Behrens, Leiter der Tsunami-Modellierung am Alfred-Wegener-Institut. „Denn im Unterschied zu anderen derzeit verfügbaren Tsunami-Warnsystemen nutzt es für seine ultraschnelle Situationsanalyse nicht nur Erdbebendaten, sondern kombiniert verschiedenste Messwerte zu einer robusten, präzisen und raschen Lagebeschreibung.“ So können neben Seismikdaten (Erdbeben-Parameter) auch Pegel- und Bojendaten (zu Wellenhöhen) oder GPS-Daten (zu Erdkrusten-Verformungen) in die Berechnungen einfließen. Im DSS laufen alle Daten zusammen und das erstellte Gesamtlagebild unterstützt Entscheidungsträger dabei - beispielsweise nach einem Seebeben – weit verlässlicher und schneller als bisher einzuschätzen, ob sich daraus für die Bewohner angrenzender Küsten eine Bedrohung durch anschwellende Wasserwellen entwickelt. Entsprechend erreichen die Warnungen die Betroffenen früher als bisher und es bleibt mehr Zeit, Katastrophenschutzmaßnahmen zu ergreifen.
Darüber hinaus können die Simulationsergebnisse verschiedener Institute nahtlos in das System integriert werden. Die Arbeitsgruppe des Alfred-Wegener-Instituts stellt bis November 2008 bereits etwa 1500 hoch aufgelöste Tsunami-Szenarien im Warnsystem bereit, mit denen das neu entwickelte Simulationssystem die real gemessenen Daten in Sekundenschnelle vergleicht und seine Vorhersagen daraus ableitet. Gleichzeitig arbeiten indonesische Partner an einer Vervollständigung der Datenbasis. So wird am Alfred-Wegener-Institut derzeit zusammen mit Mitarbeitern des indonesischen „Institute of Technology Bandung“ eine Anbindung der dort berechneten etwa 160.000 lokalen Tsunami-Szenarien an das in Bremerhaven entwickelte System eingefügt, die ab sofort eine wesentliche Erweiterung der Datenbasis erlaubt.
„Bei den Schnittstellen zu anderen Programmen halten wir uns an die offenen Standards, die den Austausch von Daten in der Computerwelt regeln. Somit können Fremdszenarien nahtlos integriert werden und wir können das Simulationsmodell schnell an andere Meeresgebiete auf der Welt, zum Beispiel an das Mittelmeer, anpassen“, so Behrens zu den Perspektiven für weitere Frühwarnsysteme.
Die Arbeitsgruppe Tsunami-Modellierung besteht aus sieben Wissenschaftlern und Doktoranden, darunter ein Doktorand aus Indonesien. Sie wurde Anfang 2006 etabliert und hat neben dem jetzt vorgelegten Simulationssystem auch die Simulationssoftware TsunAWI entwickelt, die eine der Grundlagen für die Berechnung von Tsunami-Szenarien ist. Den Praxistest hat diese Software schon bestanden: Am 13. September 2007, als ein Erdbeben der Stärke 7,9 vor Bengkulu/West-Sumatra einen Tsunami auslöste, konnten die resultierenden Wellenhöhen präzise simuliert werden.
Das Ziel von GITEWS ist es, die Auswirkungen von Naturkatastrophen mit einem Frühwarnsystem zu minimieren. Trotzdem kann ein Naturereignis wie der Tsunami von 2004 nicht verhindert werden und solche Katastrophen werden auch bei einem perfekt arbeitenden Alarmsystem weiterhin ihre Opfer fordern. GITEWS wird von einer Reihe von Wissenschaftlern und Ingenieuren des Helmholtz-Zentrums Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ, Projektleitung), des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft (AWI), des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Forschungszentrums Geesthacht (GKSS), des Konsortiums Deutsche Meeresforschung (KDM), des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR), der Universität der Vereinten Nationen (UNU), der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) sowie indonesischen und internationalen Partnern entwickelt. Die Projektfinanzierung erfolgt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
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Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der fünfzehn Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.