Während Eiszeiten sind Eisberge aus der Antarktis viel weiter nach Norden gewandert als heute. Wie das möglich war und welche Konsequenzen das für die Ozeane hatte, hat jetzt ein internationales Team unter Leitung der Universität Cardiff und Beteiligung des AWI herausgefunden. Demnach wirkte sich der Ferntransport gefrorenen Süßwassers bis auf die nördliche Halbkugel und in die Tiefen des Atlantiks aus. Welche Konsequenzen dies für die Entwicklung des damaligen Klimas hatte, ist Gegenstand aktueller Forschungsprojekte.
In pleistozänen Eiszeiten während der letzten ca. 1,5 Millionen Jahre sind Eisberge von der Antarktis deutlich weiter nach Norden gewandert als heute – zum Teil bis vor die Südspitze des afrikanischen Kontinents. Mit dieser Wanderung der Eisberge gelangten größere Mengen gefrorenen Süßwassers bis weit in den Atlantik. Wie eine aktuelle Studie der Universität Cardiff zeigt, an der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven beteiligt waren, veränderte dieser Süßwassereintrag in den Atlantik möglicherweise die Schichtung der Wassermassen in der Tiefe; mit starken Folgen für die großskalige Ozeanzirkulation und das damalige Klima.
Bohrkern-Analyse verrät Eisberge
Wie das Team in seinem Fachartikel schreibt, der jetzt im Magazin Nature erschienen ist, basieren diese Erkenntnisse einerseits auf einer aufwendigen Analyse von Bohrkernen aus der Tiefsee im südlichen Atlantik, die die Universität Cardiff leitend durchgeführt hat, und andererseits aus Eisberg-Modellrechnungen, die am AWI stattgefunden haben. „Die Bohrkerne wurden mit einem Spezialschiff aus dem Sediment an verschiedenen Stellen des Meeresbodens gewonnen – und dann Schicht für Schicht untersucht“, erläutert Jens Gruetzner vom AWI, der an der achtwöchigen Bohrexpedition direkt beteiligt war. Bohrkerne aus den Gewässern um die Antarktis enthalten oftmals Material, das vom Antarktischen Kontinent stammt. Die mächtigen Gletscher hobeln dieses Material ab, wenn sie langsam vom Festland abgleiten. Erreichen die Gletscherzungen schließlich den Ozean, verdünnen sie sich zur Spitze hin und es brechen große Eisberge ab. Diese driften davon und tragen das abgehobelte Material – den Geschiebemergel – mit sich. Schmelzen die Eisberge auf ihrer Reise, rieselt der Geschiebemergel zum Meeresgrund und lagert sich ab.
Eisberge überleben länger
Die aktuelle Analyse der Bohrkerne und die aufwendige Datierung zeigten, dass während der Hochphase der letzten Eiszeit Geschiebemergel offensichtlich auffällig weit im Norden zum Meeresboden gerieselt sein muss. Die Eisberge mussten also bis tief in den Atlantik hinein gedriftet sein. Die beiden AWI-Experten Thomas Rackow und Gregor Knorr überprüften mit einem Eisbergmodell am Computer, ob eine so weite Reise von Eisbergen tatsächlich möglich gewesen sein könnte. „Normalerweise wandern Eisberge nicht so weit, weil sie durch starken Seegang bei Sturm zerbrechen und bereits deutlich weiter im Süden schmelzen“, sagt Thomas Rackow. Doch während der Eiszeit war die Situation eine ganze andere, hat das Modell gezeigt: Die Meereisfläche um die Antarktis war durch die kälteren Temperaturen damals deutlich größer und erstreckte sich viel weiter nach Norden. Diese Eisschicht lag wie eine schützende Decke auf dem Ozean und verhinderte, dass der Wind das Meer so stark aufwühlte wie heute. Daher war der Seegang in dieser Region damals deutlich geringer. Und damit konnten die Eisberge sehr viel weiter nach Norden gelangen.
Süßwasser aus dem Süden drängt in den Norden
Das Team hat auch analysiert, welche Konsequenzen dieser Massentransport gefrorenen Süßwassers gen Norden für den Atlantik gehabt haben könnte. Es scheint, dass sich dadurch die Schichtung der Wassermassen im Atlantik veränderte. Heute findet man ganz am Grunde des Atlantiks Wasser, das zum Teil von der Küste der Antarktis stammt. Das Süßwasser der schmelzenden Eisberge ist heute ein Teil dieses „Antarktischen Bodenwassers“. Darüber liegt eine mächtige Schicht Wassers, die sich im Nordatlantik bildet und soweit absinkt, dass sie auf dem Antarktischen Bodenwasser zu liegen kommt. Mit der Norddrift der Eisberge änderte sich diese Struktur während der letzten Eiszeit. Das Wasser der schmelzenden Eisberge sank jetzt nicht mehr ausschließlich im Süden an der Antarktis ab, sondern wurde vermehrt Teil von Wassermassen, die bis in den Nordatlantik transportiert wurden. Dieser veränderte Eintrag von Süßwasser in den Ozean und dessen abschwächende Wirkung auf die nordatlantische Tiefenwasserbildung bewirkte damit gewissermaßen vom Süden aus eine Verdrängung der nordatlantischen Wassermassen in flachere Tiefen.
„Wir wissen heute, dass die verschiedenen Wasserschichten einen erheblichen Einfluss darauf haben können, wie viel Wärme oder auch Kohlendioxid aus der Atmosphäre vom Ozean aufgenommen werden“, sagt Gregor Knorr. „Verändert sich die Schichtung, hat das einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Klimas.“ Welche Konsequenzen die Norddrift der Eisberge im Detail hatte, zum Beispiel für Übergänge zwischen Eiszeiten und Nicht-Eiszeiten, wollen die Forscherinnen und Forscher jetzt weiter ergründen. Gregor Knorr: „Denn die Entwicklung des Klimas in der Vergangenheit kann uns dabei helfen besser zu verstehen, wie sich das Klima in Zukunft entwickeln könnte.“
Originalpublikation
Aidan Starr, Ian R. Hall, Stephen Barker, Thomas Rackow, Xu Zhang, Sidney R. Hemming, H.J.L van der Lubbe, Gregor Knorr, Melissa A. Berke, Grant R. Bigg, Alejandra Cartagena, Francisco J. Jiménez-Espejo, Xun Gong, Jens Gruetzner, Nambiyathodi Lathika, Leah J., LeVay, Rebecca S. Robinson, Martin Ziegler, and Exp. 361 Science Party: Antarctic Icebergs Reorganize Ocean Circulation During Pleistocene Glacials. Nature (2021); DOI: 10.1038/s41586-020-03094-7
Die Pressemitteilung der Cardiff University finden Sie hier.