09. Oktober 2018
Wochenbericht

Von alten Gesteinen über’s Wetter und Abschied aus der Arktis bis hin zu Heinz Rühmann

Abb. 1: Arktische Meereiskonzentrationen Mitte Sept. 2018. Rote Linie zeigt die Fahrtroute der Expedition. Die Lokationen potentieller IODP-Sites der leider abgesagten IODP Expedition 377 sind angegeben. Alle Lokationen wären 2018 im eisfreien Wasser. (Grafik: http://mapserver.fs-polarstern.de:8081/mapviewer)

Montag (01.10.18). Die letzte Forschungswoche beginnt. Für heute und auch morgen (Dienstag 02.10.18) ist für die Geologen noch einmal volles Programm angesetzt (dann sollte es aber auch reichen, denkt so sicherlich der eine oder andere). Zunächst werden an sechs nach einem Parasound-Profil ausgewählten Stationen im Zwei-Stunden-Takt Schwerelotkerne gezogen.

Am Tag darauf arbeiten wir dann ein für diese Expedition wichtiges Pflichtprogramm ab. Wir beproben an zwei Lokationen, die für Tiefbohrungen im Rahmen des IODP Programms (IODP ist ja in einem der ersten Wochenberichte schon vorgestellt worden) vorgesehen sind (Abb. 1), die oberflächennahen Sedimente mit Multicorer, Großkastengreiger und Schwere- bzw. Kastenlot. Obwohl diese Beprobungsaktion sehr erfolgreich verläuft, hat alles doch für den Fahrtleiter einen wehmütigen Beigeschmack. Ursprünglich ist ja unsere Polarstern-Expedition als Teil der IODP-Bohrkampagne geplant gewesen. Die bewilligte und angesetzte IODP-Bohrkampagne ist schließlich aber am Ende noch gestrichen worden, da die zusätzlichen Finanzmittel für einen PS-starken Eisbrecher, der im Ernstfall bei schwierigen Eisverhältnissen gebraucht wird, nicht aufgetrieben werden konnten. Nun haben wir hier an den IODP-Lokationen in diesem Jahr überhaupt kein Eis vorfinden können (Abb. 1), alles hätte also perfekt und ohne Eisbrecher laufen können. Wenn man das vorher gewusst hätte…. So bleibt nun nur die Hoffnung auf 2022/23 für dieses IODP-Highlight.

Mittwoch (03.10.18). Morgens wachen wir auf, Pfannkucheneis um uns herum, eine kleine Eisscholle, auf der 25 Vögel sich ausruhen, ein kleiner Eisberg, der an uns vorbei driftet. Wir sind mittlerweile wieder bei “unserem“ Seamount (der wahrscheinlich nach offizieller Nomenklatur gar kein Seamount ist, da er nicht mehr als 500 m über den Tiefseeboden herausragt) in der Mitte des Amundsen-Beckens angekommen. Nach den neuen seismischen Profildaten unserer Geophysiker nehmen wir ja an, dass dieser Seamount von der Kruste aus durch die Sedimentschichten ragt und vermutlich einen magmatischen Ursprung hat (wie schon im 3. Wochenbericht erwähnt worden ist). Um einen weiteren Beleg für diese Hypothese zu bekommen, wollen wir ein Bodenschleppnetz, das aus einem Metallrahmen und einem metallenen Kettensack besteht (eine sogenannte “Gesteins- oder Kettendredge“), über den Meeresboden ziehen, um dort anstehende Gesteinsbrocken zu sammeln. Wenn die gesammelten Brocken in erster Linie aus magmatischen Gesteinen (z.B. Basalt) bestehen würden, wäre dies ein wichtiges Indiz für den Ursprung des “Seamounts“. Für einen möglichst erfolgreichen Dregeeinsatz ist aus der Hydrosweep-Karte der steilste Hang des Seamounts ausgesucht worden, da dort die Chance am größten ist, anstehende Brocken aus der Gesteinswand herauszubrechen. Um 07:05 Uhr geht die Dredge zu Wasser, unter dem Kommando unseres Technikers Norbert Lensch. Bei einer Wassertiefe zwischen 3500 und 4000 m dauert es erst einmal ca. eine Stunde, bis die Dredge auf Grund ist, dann eine Stunde „Steine sammeln am Meeresboden“ und dann wieder eine Stunde für das Hieven. Um 10:30 Uhr ist die Dredge wieder an Deck. Der Sack ist voll mit Schlamm und Steinen (Abb. 2). Nach Freigabe stürzen sich die Geologen auf den Schlamm- und Steineberg, um “die Spreu vom Weizen zu trennen“ (Abb. 2). Am Ende liegt eine große Anzahl von großen und kleinen Steinen auf dem Tisch im Nasslabor, die aber nichts mit den erhofften magmatischen Gesteinen zu tun haben. Nicht ein einziger Basaltbrocken!! Ein zweiter Dredgegang am Nachmittag liefert das gleiche Resultat: Nur stark verwitterte Sand-, Silt- und Tonsteine, z.T. mit dicken Mangankrusten überzogen (Abb. 2). Auch wenn keine Basalte dabei sind, sind diese Gesteinsfunde doch als ein Volltreffer zu bewerten. Diese Gesteine, da so dominant mit großer Wahrscheinlichkeit hier auf dem „Seamount“ anstehend und aufgrund der Beschaffenheit sicherlich auch “alt“, müssen als Gesteinspaket über den magmatischen Gesteinen liegen. Sie können uns so zum einen vielleicht eine Altersbestimmung der Sedimentgesteine und damit eine Abschätzung des Alters der darunterliegenden magmatischen Gesteine liefern. Zum anderen wären auch Aussagen zu den Umweltbedingungen im frühen (warmen und eisfreien) Arktischen Ozean möglich. Hier können wir unserer Geophantasie im Moment freien Lauf lassen. Um diese ersten Spekulationen aber belegen zu können, brauchen wir Fakten, d.h., Daten, die in unseren späteren Laboruntersuchungen hoffentlich dann auch gewonnen werden.

Donnerstag (04.10.18). Noch eine letzte Geo-Station, noch einmal ein Schwerelot in aller Frühe, dann sind auch die geologischen Decksarbeiten abgeschlossen. Um 08:30 Uhr dann die allerletzte Station dieser Expedition. Es wird noch eine letzte Driftboje per Mummy Chair auf einer Eisscholle abgesetzt. Doch diese Station bleibt extrem kurz, die Gruppe um Gunnar Spreen ist schnell wieder an Bord: zwei Eisbären (Mutter mit Kind) nähern sich dem Schiff und auch der mittlerweile auf der Scholle liegenden Driftboje, kommen bis auf ca. 30 m an die Boje heran. Irgendeine Bewegung an Bord (war’s vielleicht der am Kran hängende und nach vorn transportierte Multicorer?) hat die beiden Bären verschreckt, und sie laufen davon. Wir nehmen so wieder Fahrt auf und dampfen von dannen. Wir werden so nicht erfahren, ob die Bären zurückkommen und nach der Boje „schauen“ werden (ein gefundenes Fressen und/oder Spielball?). Um 10:00 Uhr erfolgt dann das Abschalten unserer wissenschaftlichen Messgeräte bzw. Registrierungen – damit ist das wissenschaftliche Programm beendet!!

Das Wochenende, ein besonderes Wochenende, wie wir sehen werden, wird am Freitag (05.10.18) mit Pfannkucheneis und dichtem Nebel eingeläutet - trübes Wetter halt. Zum Stichwort “Wetter“ fällt mir da ein weiteres Nebenprogramm unserer Expedition ein, das noch nicht zu Wort gekommen ist. Dem soll jetzt Abhilfe geschaffen werden:

Während unserer Fahrt durch die arktischen Gewässer führe ich, Dirk Olonscheck vom Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) in Zusammenarbeit mit Christian Rohleder und „Wetter-Max“ vom Deutschen Wetterdienst (DWD), meteorologische Messungen durch. Der Kern dieser Arbeiten ist der Aufstieg von Radiosonden am Wetterballon. Im Rahmen des Year Of Polar Prediction (YOPP) führe ich ergänzend zu dem Standardbordprogramm des DWD, das nur einen Radiosondenaufstieg um 12 Uhr UTC beinhaltet, drei weitere Aufstiege in je 6-stündigem Abstand durch (Abb. 3). Radiosondenaufstiege haben auch in der Polarforschung eine lange Tradition. Bei der dritten Deutschen Antarktisexpedition 1938/39 wurden Radiosonden wie folgt beschrieben: "Das blitzeblanke Apparätchen ist ein winzig kleiner Radiosender, stark genug, um noch aus 60 km Entfernung gehört zu werden. Und durch eine sinnreiche Einrichtung sendet dieses mit Batterie nur etwa 1 kg schwere Instrument laufend Temperatur, Luftdruck und relative Feuchtigkeit. Mit den Windangaben zusammen ergibt die Summe der meteorologischen Daten alles, was man überhaupt über Wetterverhältnisse befragen kann. Und das von Meereshöhe an bis über 20 000 m hoch, d.h. weit in die Stratosphäre hinein." (*)

Unsere Radiosonden an Bord wiegen nur etwa 100 g und der Wetterballon trägt sie in bis über 35 000 m Höhe. Das Grundprinzip ist jedoch 80 Jahre lang gleichgeblieben! Die gewonnenen Daten zum Temperatur-, Feuchtigkeits- und Windprofil der Atmosphäre dienen der substantiellen Verbesserung der Wettervorhersage hier im Nordpolargebiet und werden auch unmittelbar für die Wettervorhersage an Bord und die Einschätzung der Sicherheit unserer Helikopterflüge genutzt. Genauso wie früher "gehört die tägliche Radiosonde zum Frühstück, wie das Zähneputzen vorher" (*), doch auch hier an Bord haben viele der Aufstiege zahlreiche Zuschauer von Wissenschaft und Besatzung.

* Quelle: Ernst Herrmann (1941), "Deutsche Forscher im Südpolarmeer, Bericht von der Deutschen Antarktischen Expedition 1938-1939", Safari-Verlag Berlin

Die besonders interessierten ArcTrain-Studentinnen Amélie Desmarais und Samira Samini sind frühzeitig dabei, erlernen den Ablauf und sind für uns in den vergangenen Wochen eine wertvolle Hilfe bei den zahlreichen Ballonaufstiegen gewesen. Vielen Dank, Amélie und Samira!

Dichte Wolken und Nebel prägen das Bild unserer Reise. Damit sind Aerosolmessungen, die für die Messung der direkten Sonneneinstrahlung einen direkten Blick zur Sonne benötigen und Auskunft über die Anzahl und Größe von Luftverschmutzungs- und Salzteilchen in der arktischen Luft geben, nur sehr eingeschränkt möglich. Allerdings sind diese Wetterbedingungen gut für eine weitere Forschungstätigkeit hier an Bord: Die Messung der Wolkenuntergrenze mit Hilfe einer Wolkenkamera, die alle 10 Sekunden optische und thermische Aufnahmen des Himmels erfasst. Während wir von Satellitendaten die Wolkenbedeckung und die Wolkenobergrenze abschätzen können, bietet die Wolkenkamera uns einen Blick von unten (Abb. 4). Dies erlaubt die hochaufgelöste Erfassung der zeitlichen und räumlichen Variabilität der Wolkenuntergrenze durch Messung der Helligkeitstemperatur der Wolken und damit eine Abschätzung der Erwärmung der darunterliegenden Luftmassen. Mit tatkräftiger Unterstützung der ArcTrain-Studentinnen Amélie Desmarais und Aliaksandra Kazlova haben wir bereits an Bord mit der Auswertung der gewonnenen Daten begonnen.

Die während unserer Expedition gesammelten meteorologischen Daten sind umfangreich und werden hoffentlich einen wichtigen Beitrag für ein besseres Verständnis der Polarmeteorologie liefern können.

Vielen Dank, Dirk, für diese Einblicke ins Wettergeschäft und zurück zum Tagesgeschehen, zu dem oben schon angekündigten besonderen Wochenende.

Samstag (06.10.18). 07:00 Uhr auf der Brücke, der Kapitän wechselt den Kurs auf 290, wir dampfen durch das eisfreies Wasser Richtung WNW. Um 09:41 Uhr passieren wir 83°05.1’ N, 56° 24.4’ E! Eigentlich nichts Besonderes – oder doch? Wie der/die aufmerksame Leser/in der Wochenberichte sicherlich noch weiß, haben wir im 3. Wochenbericht hervorgehoben, dass wir am 23.09.18 um 10:00 Uhr den nördlichsten Punkt unserer gesamten Expedition erreicht haben (83°05’ N). Stimmt also gar nicht, wie wir gerade sehen. Wir sind bereits jetzt nördlich davon – und es geht weiter Kurs 290: um 12:00 Uhr haben wir 83° 12.5’ N erreicht! Wo soll das noch hinführen? Die meisten haben allerdings unsere Kursänderung noch gar nicht wahrgenommen, geschweige denn wissen, was dahintersteckt. Mittlerweile schwimmen wieder erste kleine Pfannkucheneisschollen an uns vorbei (Abb. 5 oben links). Im Laufe der nächsten Stunden werden die Eisschollen dichter, dann auch dicker, verursachen beim Vorbeischrammen an der Bordwand dieses für den erfahrenen Polarsternfahrer bekannte und einzigartige Geräusch. Langsam fällt der Groschen auch bei allen anderen – wir nähern uns der Eisrandzone (was natürlich durch einen Blick auf die Eiskarte sofort bestätigt wird), die wir dann gegen 18:00 Uhr erreichen – genau rechtzeitig für den Beginn unseres Barbecues! Was für ein Timing!! Und dies ist dann auch wirklich die nördlichste Position unserer Expedition: 83° 38.7’ N, 44° 08.3’ E!! Doch damit nicht genug (und dies ist jetzt kein Seemannsgarn!). Wenige Minuten später, alle bewundern gerade noch faszinierend die dicken Eisschollen, kommen zunächst zwei neugierige Eisbären – wieder Mutter mit Kind (vielleicht dieselben, die wir vor drei Tagen gesehen haben??) – dem Schiff sehr nahe, gefolgt von einem für Arktis-Verhältnisse großen Eisberg, der zwei Kabellängen entfernt an uns auf Steuerbordseite (d.h., der “Grillseite“, wo wir gerade alle stehen) vorbei driftet (Abb. 5). Hier ist unserem Kapitän ja wirklich eine kinoreife Inszenierung gelungen, der diese Expedition gerade für die Neulinge zu einem unvergessenen Ereignis macht. Herzlichen Glückwunsch und ein großes Dankeschön an den Kapitän für diese Meisterleistung! Wir haben nun ca. zwei-drei Stunden, um das Abschluss-Barbecue (von unserem Kombüsenteam um Jörg Meißner mal wieder perfekt inszeniert!) vor dieser eindrucksvollen Kulisse zu genießen, der Arktis (für heute) ade zu sagen und auch das Ende des sehr erfolgreichen Forschungsprogramms (dazu dann mehr im letzten Wochenbericht) ein wenig (?) mit Musik & Tanz zu feiern. Dem einen Eisberg folgen in kurzem Abstand noch zwei weitere, die auch zum Greifen nahe an uns vorbeidriften. Diese werden von Igor Hering, unserem gerade wachhabenden Nautiker auf der Brücke, mit dem weitstrahlenden Schiffsscheinwerfer perfekt in Szene gebracht – ein beeindruckendes Spektakel (Abb. 5)!

Für einen von uns wird dieser Tag aber bestimmt in ganz besonderer Erinnerung bleiben, Ovie Benson, Bremer Student aus Nigeria. Es ist Ovies 30. Geburtstag, den wir gemeinsam vor dieser einzigartigen Arktis-Kulisse feiern. 30 und noch ledig verlangt aber auch nach alter Bremer Sitte eine intensive Fegeaktion – hier allerdings gezwungenermaßen nicht auf den Treppen vor dem Bremer Dom sondern im Geräteraum der Polarstern – die Ovie unter Beifall aller mit Bravour in die Tat umsetzt.

Sonntag (07.10.18). Zum Ausklang des Wochenendes steht dann noch ein weiteres Highlight auf der sonntäglichen Tagesordnung, Kapitän und Fahrtleiter haben zu einem Kinoabend in den Geräteraum eingeladen. “Stelle’ wa uns ma janz dumm, wat is’n ne Dampfmaschine?“ – Es steht “Die Feuerzangenbowle“ mit Heinz Rühmann auf dem Programm (Abb. 6) - und die Feuerzangenbowle selbst auf dem Tisch, um diese Kinogeschichte auch richtig verstehen und nachvollziehen zu können.

Noch gut eine Woche, und wir sind wieder daheim!

In diesem Sinne und bis denne!

 

Herzliche Grüße, natürlich wie immer im Namen aller,

 

Ruediger Stein

07.10.2018

 

(mit einem Beitrag von Dirk Olonscheck/MPI Hamburg zum Thema “Meteorologie“)

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