Weltweit schlagen Forschende Alarm: Die Ozeane sind so warm wie nie zuvor gemessen. Auch die Nordsee hat 2023 diesen alarmierenden Rekord erreicht, wie Messungen der Biologischen Anstalt Helgoland des Alfred-Wegener-Instituts ergaben. Die Daten der Langzeitreihe „Helgoland Reede“ zeigen auch: Es ist nicht das erste Jahr, in dem die Deutsche Bucht marine Hitzewellen erlitten hat. Die hohen Temperaturen und extremen Ereignisse sind eine Folge des Klimawandels und könnten auch deutliche Folgen für das Ökosystem haben.
Im letzten Jahr waren die Ozeane so heiß wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen. Unsere heimische Nordsee blieb hiervon nicht verschont, wie Forschende der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH) am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) messen konnten. Und auch die ersten Monate von 2024 deuten darauf hin, dass diese Entwicklung nicht abbricht: Januar, Februar, März und April 2024 gehören im Mittel alle zu den „Top 10“ der jeweiligen wärmsten Monate seit 1962. Der März 2024 war mit einer mittleren Wassertemperatur von 6,9 Grad Celsius sogar der wärmste März seit 1962. Die Temperaturdaten der Langzeitreihe Helgoland Reede zeigen, dass die mittlere Wassertemperatur im Jahr 2023 bei knapp 11,9 Grad Celsius lag. „Damit war 2023 ein Rekordjahr seit Beginn unserer Langzeitdatenreihe in 1962“, sagt Dr. Inga Kirstein, Wissenschaftlerin an der BAH. Das Rekordjahr begann bereits im Januar, dieser war mit rund 7,2 Grad der zweitwärmste gemessene Januar. Kein Rekordtag in der Langzeitreihe, jedoch der Tag mit der höchsten Wassertemperatur 2023 war der 12. September; hier haben die AWI-Forschenden eine Temperatur von 19,5 Grad gemessen.
Das Jahr 2023 war geprägt von marinen Hitzewellen. Es ist nicht das erste Jahr, in dem die Nordsee marine Hitzewellen erlebt. In einer aktuellen Studie haben die AWI-Forschenden die Daten der Oberflächenwassertemperatur der Helgoland Reede zwischen 1962 und 2018 ausgewertet. Marine Hitzewellen treten nicht nur im Sommer auf, auch in anderen Jahreszeiten können sie vorkommen; sogar im Winter, wenn die Wassertemperaturen deutlich oberhalb der üblichen Werte liegen. Die Forschenden konnten sehen, dass die Häufigkeit von starken und schweren marinen Hitzewellen nach den 1990er Jahren zugenommen hat, mit einer Konzentration auf die Monate März bis April und Juli bis September. Das dritte Quartal des Jahres wies dabei die höchste Häufigkeit von Hitzewellen im Meer auf.
Seit 1990 beobachten die AWI-Forschenden auf Helgoland und Sylt neue Temperaturmuster. Im Sommer gibt es demnach deutlich mehr wärmere Tage und im Winter deutlich weniger extrem kalte Tage. „So hatten wir zwischen 1962 und 1990 noch insgesamt 24 Monate mit einer durchschnittlichen Temperatur von unter 3 Grad Celsius; seit 1990 lediglich fünf Monate. Auf der anderen Seite gab es bis 1990 lediglich acht Monate mit durchschnittlichen Temperaturen über 17 Grad und ab 1990 bis einschließlich 2023 ganze 53 Monate.“ Höhere Temperaturen als erwartet treten nun auch früher im Jahr auf. „Die Deutsche Bucht hat insbesondere nach den 1990er Jahren einen erheblichen Temperaturanstieg erlebt“, sagt Prof. Karen Wiltshire, Direktorin der BAH. Die Daten zeigen auch einen Zusammenhang zwischen den monatlichen Temperaturen in der Deutschen Bucht und den Temperaturen auf dem deutschen Festland. Denn: Marine Hitzewellen traten häufiger im Spätsommer auf, während oder kurz nach atmosphärischen Hitzewellen, als die Temperaturen ihren Höchststand erreichten, was auf eine Kopplung zwischen Meeres- und atmosphärischen Temperaturen hindeutet. „Die Nordsee erwärmt sich so schnell, weil sie ein Flachmeer ist, das von Landmassen umgeben ist, wie eine große Pfütze. Deshalb sind die Temperatur-Trends für das Festland absolut konform mit denen für die Wassertemperatur.“
Die Forschenden sehen den Klimawandel und die damit einhergehende globale Erwärmung als einen Hauptgrund für die hohen Oberflächentemperaturen der Ozeane und das vermehrte Auftreten extremer Ereignisse wie mariner Hitzewellen.
Auswirkungen auf Ökosysteme
Was bedeuten diese Ergebnisse für die Nordsee und ihr Ökosystem? Die ansteigenden Wassertemperaturen im Meer und extreme Temperaturereignisse wie marine Hitzewellen können biologische Reaktionen hervorrufen. Aufgrund der Durchmischung der Wassersäule an der Küste werden sich marine Hitzewellen wahrscheinlich nicht nur auf die Wasseroberfläche, sondern auch auf die Lebensräume am Meeresboden auswirken. In der Nordsee sind bereits dekadische Veränderungen eingetreten, etwa bei der Häufigkeit von Arten oder der Zusammensetzung von Gemeinschaften. Die Temperatur ist dabei eine der wichtigsten Triebkräfte für die Artenvielfalt und -verteilung.
„Meeresorganismen reagieren vielfältig auf Klimaveränderungen. Wir sehen diese Veränderungen in unseren Untersuchungen und erforschen gerade, wie sich marine Hitzewellen auch auf das planktonische Nahrungsnetz auswirken, also zum Beispiel auf die Zusammensetzung oder die Häufigkeit (Abundanz) von Plankton-Gemeinschaften und einzelnen Arten“, so Inga Kirstein. In einer Mesokosmos-Studie konnten AWI-Wissenschaftler bereits zeigen, dass der gleichzeitige Einfluss von Erwärmung, Versauerung und verändertem Nährstoff-Verhältnis die Planktondynamik verändert, wobei kleinere Planktonarten begünstigt werden. Dies kann sich wiederum auf marine Nahrungsnetze auswirken, denn Plankton ist die Lebensgrundlage vieler Meereslebewesen. Der Temperaturanstieg und die Zunahme mariner Hitzewellen während der letzten Dekaden, die im Zusammenhang mit dem globalen Wandel in der deutschen Bucht aufgetreten sind, gibt Anlass zur Sorge für Ökologie und Gesellschaft.
Die ökologische Messdatenreihe „Helgoland Reede“
Seit 1962 messen Forschende der Biologischen Anstalt Helgoland nahezu täglich die Temperatur, den Salz- und Nährstoffgehalt in der deutschen Bucht und bestimmen die Zusammensetzung des Planktons. Inzwischen ist die Helgoland Reede eine der wichtigsten und detailliertesten ökologischen Langzeit-Datenreihen. Sie ermöglicht es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des AWI und aus aller Welt, lückenlos die Folgen des Klimawandels in der Nordsee in den letzten 60 Jahren zu belegen und zu unterscheiden, ob Veränderungen natürliche zyklische Schwankungen sind oder vom Menschen gemachte Trends. In der „World Data Bank PANGAEA“ des Alfred-Wegener-Instituts werden die Daten für nachkommende Generationen archiviert und bereitgestellt.
Originalpublikation
Luis Giménez, Maarten Boersma, and Karen H. Wiltshire. "A multiple baseline approach for marine heatwaves." Limnology and Oceanography (2024). doi: doi.org/10.1002/lno.12521
Felipe de Luca Lopes de Amorim, Karen Helen Wiltshire, Peter Lemke, Kristine Carstens, Silvia Peters, Johannes Rick, Luis Gimenez, Mirco Scharfe (2023). Investigation of marine temperature changes across temporal and spatial Gradients: Providing a fundament for studies on the effects of warming on marine ecosystem function and biodiversity. Progress in Oceanography 216. doi: 103080
Moreno, H.D., Köring, M., Di Pane, J., Tremblay, N., Wiltshire, K.H., Boersma, M., et al. (2022). An integrated multiple driver mesocosm experiment reveals the effect of global change on planktonic food web structure. Communications Biology 5(1), 179. doi: 10.1038/s42003-022-03105-5.