Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes haben Experten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) geholfen, eine neue Satelliten-Messmethode für die Beobachtung der großen Eismassen Grönlands und der Antarktis aus dem Weltall zu entwickeln. Tandem-L heißt ein neues Satellitenradar-System, das ab dem Jahr 2022 unter anderem dringend benötigte Daten zum Schrumpfen der Gletscher und Eisschilde in beiden Hemisphären liefern könnte. Über den Bau des Radars und den Start der gleichnamigen Satellitenmission berät der Wissenschaftsrat Ende November im Rahmen eines Begutachtungsverfahrens im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).
„Extrem“ lautet das Wort, mit dem Glaziologen inzwischen das Ausmaß der jährlichen Sommerschmelze an der Oberfläche des grönländischen Eisschildes bezeichnen. In diesem Jahr beobachteten die Wissenschaftler, wie sich vor allem im Nordosten Grönlands ein weitverzweigtes Netz aus Schmelzwasserseen und -bächen auf dem Eispanzer bildete. Deren Wassermassen geben vor allem aus einem Grund Anlass zur Sorge: Das Schmelzwasser bahnt sich fast immer einen Weg durch den Eispanzer. Unter dem Eis wirkt dieses Wasser dann wie ein Schmiermittel. Es beschleunigt das Fließtempo der Gletscher. Die Folge: Größere Eismassen rutschen in den Ozean; der Meeresspiegel steigt in einem größeren Ausmaß.
Um die Auswirkungen der Oberflächenschmelze auf die Gletscher und Eisschilde der Welt tiefgreifender und vor allem großflächig untersuchen zu können, haben Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes in den zurückliegenden vier Jahren Experten vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt darin unterstützt, ein neues, einzigartiges satelliten-gestütztes Radarkonzept zu gestalten. Dieses erfasst die Veränderungen der Eisschilde erstmals mit einem tomographischen Verfahren und macht dabei zum Beispiel auch das Eindringen des Schmelzwassers sichtbar.
„Das neue Tandem-L-Radar operiert im sogenannten L-Band-Bereich. Es sendet Radarwellen mit einer Wellenlänge von 24 Zentimetern aus, die im Gegensatz zur bisherigen Satellitentechnik bis zu 100 Meter tief in Eis und Schnee eindringen. Wir Glaziologen hätten demzufolge erstmals die Chance, die oberste Eisschicht der Gletscher und Eisschilde vom All aus großräumig zu durchleuchten und ihre innere Struktur abzubilden. Außerdem können wir mit Tandem-L auch die Veränderungen der Gletscheroberfläche messen“, sagt Prof. Dr. Angelika Humbert, Leiterin der Sektion Glaziologie am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).
Sie und ihr Team hatten für die Tandem-L-Mission zunächst Daten der bereits operierenden Satelliten TerraSAR-X und TanDEM-X ausgewertet. Auf Basis dessen gelang es ihnen dann, Analyse- und Filtermethoden zu entwickeln, mit denen der Ursprung der Strukturen in den Tandem-L-Bildern verstanden und die Daten für die Eismodellierung genutzt werden können.
Bisher setzen Glaziologen flugzeug- oder satellitengestützte Altimeter ein, um die Topographie der Eisoberfläche in Grönland und in der Antarktis zu vermessen und anhand der Höhenunterschiede die Eisverluste der Eisschilde zu berechnen. Altimeter tasten die Eisoberfläche mithilfe von Lasern oder Radar ab. Dabei ist es wichtig, dass die von den Satelliten ausgesandten Wellen nicht in die Eisoberfläche eindringen. Das neue Tandem-L-System dagegen wird tief ins Eis schauen und den Wissenschaftlern mithilfe seiner hochauflösenden L-Band-Daten völlig neue Einblicke erlauben.
Die Satellitenmission Tandem-L besteht aus zwei Satelliten, welche beide jeweils mit einem L-Band-Radar ausgestattet werden und dann im Formationsflug in einer Höhe von 760 Kilometern um die Erde kreisen sollen. Die Radare tasten die Erdoberfläche dabei mit einem 175 bis 350 Kilometer breiten Streifen ab. „Tandem-L wird uns auf diese Weise nicht nur die wichtigen Eisinformationen liefern, wir erhalten zum Beispiel auch dringend benötigte Daten zur globalen Waldbiomasse, zur Bodenfeuchte und zu den Meeresströmungen“, sagt die wissenschaftliche Koordinatorin der Satellitenmission Prof. Dr. Irena Hajnsek vom Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme des DLR.
Das BMBF hatte am Anfang dieses Jahres ein Begutachtungsverfahren für die Erstellung einer Roadmap für Forschungsinfrastrukturen in Deutschland gestartet. Im Rahmen dessen tagt der Wissenschaftsrat am Ende dieses Monats und berät dabei unter anderen über die Tandem-L-Mission. Das Ergebnis der Begutachtung wird für Mitte 2017 erwartet.
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