14. August 2017
Wochenbericht

Langzeituntersuchungen & “Angeln” von Mikroplastik

Abb. 1: Neuston Mikroplastik-Katamaran. (Foto: Kajetan Deja)

Unsere Arbeiten in der westlichen Framstrasse am Ostgrönlandhang waren abgeschlossen und darum konnten wir uns nun wieder dem zentralen Arbeitsgebiet des Langzeit-Observatoriums LTER-HAUSGARTEN - westlich von Spitzbergen - zuwenden. Wie jeden Sommer führen wir hier ein umfangreiches Beprobungs-Programm der Wassersäule und des Meeresbodens durch. Da wird an fast zwanzig Stationen in Tiefen von 200 m bis 5500 m Meerwasser analysiert und filtriert, Planktonnetze werden gezogen, Meeressedimente geborgen und Fotos und Videos vom Meeresboden gemacht. In einem multidisziplinären Ansatz untersuchen wir damit, den Einfluss des Klimawandels und die Auswirkungen des fortschreitenden Rückgangs des Meereises auf die marinen, polaren Ökosysteme.

Probennahmen am Meeresboden erfolgen unter anderem mit dem sogenannten Multicorer, welcher mit mehreren Stechrohren Sedimente aus dem Tiefseeboden aussticht und an Bord bringt. Ein stahl-armiertes Glasfaserkabel der POLARSTERN erlaubt uns, die Probennahmen am Tiefseeboden ‚live‘ am Bildschirm zu verfolgen. Das Kamerasystem am Multicorer übermittelt gestochen scharfe Bilder aus einer verborgenen Welt. Zusätzlich gibt uns ein anderes geschlepptes Foto/Videosystem (OFOS: Ocean Floor Observation System) Aufschluss über die großflächige Verteilung größerer Tiere am Boden des HAUSGARTEN-Gebietes. Der Vergleich mit Aufnahmen aus den vergangenen zehn Jahren gibt uns nicht nur Auskunft über zeitliche Veränderungen der Lebensgemeinschaften am Meeresboden sondern auch über andere weniger erfreuliche Einflüsse des Menschen auf die Tiefsee des Arktischen Ozeans. Die Sichtungen von Müll am Meeresboden hat in den letzten Jahren signifikant zugenommen und daher haben wir damit begonnen ebenfalls dieses Phänomen systematisch zu untersuchen.

Müll in den Ozeanen ist seit einiger Zeit ein wichtiges Thema in Politik und auch in der Öffentlichkeit, da diese Form von Umweltverschmutzung in allen Meeren und Küstengebieten der Welt auftritt. Momentan gibt es große Unterschiede zwischen dem erwarteten im Meere befindlichen Plastikmüll und den durch Feldstudien gemessen Werten. Was zu der Frage führt: "Wo ist all das Plastik?" Ein Grund für diese Unterschiede könnte der Abbau von großen Plastikstücken zu kleineren Plastikteilchen – dem sogenanntes Mikroplastik- sein. Die neusten Forschungsergebnisse lassen vermuten, dass unter anderem die Arktis ein Ansammlungsgebiet für Plastikmüll ist. Ein neuer Forschungsbereich des Infrastrukturprogramms FRAM (FRontiers in Arctic marine Monitoring) beschäftigt sich daher in Langzeitstudien mit Müll, Mikroplastik und anderen umweltgefährlichen Stoffen im Ökosystem Meer.

Auch auf unserer diesjährigen Expedition nehmen wir daher Proben aus unterschiedlichen Habitaten des Meeres, um verschiedene Fragen rund um das Thema Müll und Umweltverschmutzung zu beantworten. Wie schon erwähnt werden die Bilder des OFOS auch benutzt, um Müll auf dem Meeresboden zu finden. Mircoplastik im Tiefseeboden wurden mit Hilfe eines Multicorers beprobt, wohingegen in der Wassersäule mit in-situ Pumpen gearbeitet wurde. In Eisfreien Gebieten wurde ein Katamaran zur Detektion von Plastikpartikeln an der Wasseroberfläche eingesetzt. An der Oberfläche treibender Müll wurde auf dem Weg von Tromsø in die Framstraße visuell erfasst.

Leider konnte durch diese Untersuchungsmethoden bisher schon viel Müll gefunden werden. Während der Expedition stellt sich daher immer wieder die Frage, ob vielleicht das Meereis ein bedeutendes Transportmittel für Müll ist und es diesen über weite Strecken transportiert und großräumig verteilt. Unsere Mikroplastikproben vom Tiefseeboden, der Wassersäule und der Wasseroberfläche werden wir nach der Expedition zu Hause genauer analysieren. Doch bereits jetzt sind unsere Funde besorgniserregend.

Die jährlich durchgeführten Probennahmen liefern uns zwar einen sehr guten räumlichen Eindruck über den Zustand der Ökosysteme im Untersuchungsgebiet HAUSGARTEN, allerdings bleiben dies doch nur Momentaufnahmen, der Verhältnisse, wie sie im Sommer vorherrschen. Wichtig ist es allerdings auch Informationen über die zeitliche Variabilität - über die Jahreszeiten hinweg - von Prozessen in den Ökosystemen zu bekommen. Zu diesem Zweck tauschen wir auch auf der diesjährigen Expedition wieder Messgeräte und Sensoren aus, die über lange Zeiträume Daten in der Wassersäule und am Meeresboden erfassen. Viele dieser Messsysteme sind in sogenannten Verankerungen zusammengefasst. Solche Verankerungen werden über mehrere Monate oder manchmal sogar Jahre ausgebracht. Eine solche Verankerung besteht aus einem Grundgewicht und einem bis zu mehrere Kilometer langen, extrem stabilen Kevlar-Seil. Luftgefüllte Auftriebskörper sorgen dafür, dass diese Seile weitgehend senkrecht in der Wassersäule stehen. Jede Verankerung trägt in unterschiedlichen Wassertiefen verschiedene Mess- und Registriergeräte, z.B. Strömungsmesser, Sensoren für die Wassertemperatur sowie den Sauerstoff- und den Salzgehalt. Unsere Verankerungen verfügen darüber hinaus über spezielle Sammelvorrichtungen, die den Eintrag von Partikeln in die Tiefsee erfassen. Diese Partikel sind zu einem großen Teil organischen Ursprungs (abgestorbenes Phyto- und Zooplankton) und bilden die Hauptnahrungsquelle der Tiefseetiere. Die Menge der Partikel wird mit großen, trichterförmigen Sinkstofffallen erfasst. Herabsinkende Partikel werden in Probenflaschen gesammelt, die kreisförmig am unteren Ende der Falle angebracht sind. Ein vorprogrammierter Schrittmotor sorgt dafür, dass die Flaschen in monatlichem Rhythmus nach einander befüllt werden. Auf diese Weise erhalten wir einen guten Überblick über jahreszeitliche Schwankungen hinsichtlich des Nahrungseintrags in die Tiefsee.

Seinen Ursprung haben viele dieser Partikel im Phytoplankton. Im Meer haben die kleinsten Lebewesen, marine Mikroorganismen, die als Phytoplankton im Wasser schweben eine große Bedeutung. Das Phytoplankton ist, genau wie Landpflanzen, in der Lage mit Hilfe von Sonnenlicht Kohlendioxid in Biomasse umzuwandeln. Diese vom Phytoplankton produzierte Biomasse ist die Grundlage allen Lebens im Meer. Phytoplankton ist also sozusagen die Wiese der Ozeane. Ähnlich wie für die Tiere an Land ist es für die Tiere im Meer wichtig, aus welchen Arten das Phytoplankton zusammengesetzt ist, weil es Arten gibt, die als Nahrungsquelle für das tierische Plankton interessanter sind als andere. Es wird erwartet, dass es durch die mit dem Klimawandel verbundenen Veränderungen Meer auch zu Veränderungen in der Zusammensetzung des Phytoplanktons kommt. Erste Laborexperimente deuten an, dass die Anzahl kleinerer Arten zunehmen könnte, während die Anzahl größerer Zellen abnehmen könnte. Sollten solche Veränderungen tatsächlich im Meer eintreten, so hätte das Konsequenzen für das gesamte Nahrungsnetz im Meer. In der Arktis sind die Folgen des Klimawandels bereits in Form des Rückgangs des Meereises sehr deutlich. Im Hinblick darauf haben sich im Jahr 2008 sechs Wissenschaftlerinnen des AWI und des GEOMAR in der PEBCAO (engl.: Phytoplankton Ecology and Biogeochemistry in a Changing Arctic Ocean) Forschungsgruppe zusammengeschlossen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ökologie und Biogeochemie des Planktons in der Arktis zu untersuchen. Die Gruppe führt seit Sommer 2009 regelmäßig Expeditionen in das Gebiet des AWI-Langzeitobservatoriums HAUSGARTEN und in den zentralen Arktischen Ozean durch, um Proben für Analysen der Zusammensetzung und biochemischen Aktivitäten der Marinen Mikroorganismen zu sammeln. Diese Analysen werden z.B. mittels modernster molekulargenetischer oder hoch-aufgelöster Mikroskopie durchgeführt. Der Einsatz dieser Methoden ist an Bord nur sehr eingeschränkt möglich und deshalb werden sie nach der Expedition im Labor an Land durchgeführt. An Bord besteht die Aufgabe des PEBCAO- Teams darin, die Mikroorganismen mittels Filtration aus den Wasserproben zu sammeln und für die Analysen im Labor zu konservieren. So wurden in den vergangenen drei Wochen hunderte von Proben mit einem Gesamtvolumen von etwa 5000 Liter Wasser  genommen, filtriert und für die Analysen konserviert. Die Wissenschaftler des PEBCAO-Teams freuen sich bereits auf die Durchführung der Analysen und interessante Erkenntnisse zur diesjährigen Zusammensetzung und Aktivität des Planktons in der Framstraße.

Wichtig bei unseren Langzeit-Untersuchungen im HAUSGARTEN ist es uns in jedem Falle, ein möglichst ganzheitliches Bild der Prozesse in den unterschiedlichen Ökosystemen zu erhalten. Richtig spannend wird es dann, wenn nach den Analysen im Labor zu Hause alle „Puzzlesteine“ einer Expedition zusammengesetzt werden und wir wieder anfangen können, unsere diesjährigen Ergebnisse im Kontext der Vorjahre zu betrachten.

Wir werden unsere Forschungen hier nun noch bis kommenden Dienstag fortführen und dann wird es langsam wieder Zeit einzupacken und nach Tromsø zurück zu dampfen. In jedem Falle können wir resümieren, dass wir in diesem Jahr eine extrem erfolgreiche Expedition hatten, welche ohne die großartige und professionelle Unterstützung der POLARSTERN Crew niemals möglich gewesen wäre.

Mit den besten Grüßen aller Fahrtteilnehmer,

Ingo Schewe
(mit Unterstützung von Katja Metfies & Susanne Töller sowie Mine Tekmann & Melissa Käß)

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