Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) haben eine vermeintliche Schwachstelle globaler Klimamodelle geschlossen. Diese waren bisher nicht in der Lage gewesen, die extreme Warmzeit des Eozäns richtig abzubilden. Dabei interessiert Klimaforscher diese Epoche ganz besonders: War sie doch die einzige Phase der jüngeren Erdgeschichte, in der die Treibhausgaskonzentration so hoch war, wie Forscher sie für die Zukunft vorhersagen. Die AWI-Wissenschaftler haben nun herausgefunden, dass die scheinbare Modellschwäche auf eine Fehlinterpretation des Temperatur-Anzeigers TEX86 zurückzuführen ist. Diese von Archaeen produzierten Moleküle speichern nicht wie angenommen die Oberflächentemperatur der Urmeere, sondern die Temperatur in einer Wassertiefe von bis zu 500 Metern. Eine Erkenntnis, auf deren Basis es den Klimamodellen nun gelingt, die Temperaturverteilung des Eozän richtig zu simulieren, berichten die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Nature Geoscience.
Klimawissenschaftler hören oft denselben Vorwurf: Wie sollen Klimamodelle treffsicher die Zukunft unseres Planeten vorhersagen, wenn es ihnen nicht einmal gelingt, die Klimavergangenheit richtig abzubilden? Eines der ungelösten Probleme war, dass es Klimamodellierern bisher nicht gelungen ist, die extremen Temperaturen des Eozäns in ihren Klimasimulationen darzustellen.
Damals, vor 49 bis 55 Millionen Jahren, betrug der Kohlendioxidgehalt der Luft vermutlich mehr als 1000 ppm (parts per million) – also mindestens das Zweifache der heutigen Treibhausgaskonzentration. Die Erde erwärmte sich so stark, dass auf Grönland und in der Antarktis alle Gletscher verschwanden. Anstelle von Eiskristallen wuchsen dort Palmen. „Bis vor kurzem glaubten wir, dass die Meeresoberflächentemperatur am Nordpol zu jener Zeit 23 Grad Celsius betrug; in der Antarktis sollen es mehr als 30 Grad Celsius gewesen sein“, erzählt Dr. Thomas Laepple, Klimaforscher am AWI Potsdam.
Diese Temperaturannahmen basierten auf Daten des Klimaindikators TEX86. Dieses Kürzel steht für ein Verhältnis organischer Verbindungen, welche einst von Archaeen in Abhängigkeit zur Wassertemperatur, in der sie lebten, gebildet wurden. „Als Archaeen werden einzellige Organismen bezeichnet, die zum Teil erstaunlich hohe Umgebungstemperaturen aushalten. Die Moleküle der damals existierenden Archaeenarten sind bis heute in den Sedimentschichten des Meeresbodens erhalten geblieben. Sie sind eines unserer wichtigsten Archive für warme Klimazustände, doch wie sich gezeigt hat, haben wir es in der Vergangenheit falsch decodiert“, sagt Thomas Laepple.
Erste Zweifel an der wissenschaftlichen Lesart des Temperatur-Anzeigers TEX86 waren ihm und seiner damaligen AWI-Kollegin Sze Ling Ho bei einem Abgleich von Klimadaten aus der jüngsten Eiszeit gekommen. Den Wissenschaftlern fiel dabei auf, dass die TEX86-Angaben im Vergleich zu anderen Klimaparametern viel zu kalt ausfielen. „Die Diskrepanz war so offensichtlich, dass wir im Anschluss begannen, die TEX86-Werte von rund 3000 Sedimentproben aus verschiedenen Meeren und aus unterschiedlichen Erdepochen zu überprüfen. Schon bald zeigte sich, dass der TEX86-Proxy immer und auf allen Zeitskalen um das Eineinhalb- bis Zweifache übertreibt. Für Kaltzeiten zeigte er eine viel zu kalte, für Warmzeiten eine viel zu warme Temperatur an“, erklärt Geochemikerin Sze Ling Ho.
Die Ursache dieses Musters musste von grundsätzlicher Natur sein. Ein Verdacht, der sich bei genauerer Analyse bestätigte. „Bisher wurde TEX86 als Indikator der Oberflächentemperatur interpretiert, dabei leben die TEX86 produzierenden Archaeen relativ selten direkt an der Meeresoberfläche. Durch den Vergleich mit den anderen Klimaarchiven konnten wir nun die Tiefe, in der das TEX86 Signal produziert wird, einschränken. Wir gehen jetzt davon aus, dass TEX86 die Wassertemperatur in einer Tiefe von bis zu 500 Meter repräsentiert“, erklärt Sze Ling Ho.
In dieser Wassertiefe ist der Temperaturunterschied zwischen den tropischen Meeren und den Polarmeeren nicht mehr ganz so groß wie an der Wasseroberfläche. Dieser Fakt zieht in der Klimarekonstruktion unmittelbare Konsequenzen nach sich, weil die aus dem Anzeiger generierten Informationen anders in Temperaturwerte übersetzt werden. „Für uns heißt das ganz konkret, dass die TEX86-Extremwerte in den Klimarekonstruktionen halbiert werden müssen. Wenn wir den korrigierten Proxy mit den Modellen vergleichen, können sie auch das Klima des Eozäns realistisch und physikalisch konsistent abbilden“, erläutert Thomas Laepple.
Korrigieren müssen wir jedoch auch unsere Temperatur-Vorstellung vom Eozän. Thomas Laepple: „Die Epoche ist und bleibt die wärmste Phase der zurückliegenden 65 Millionen Jahre. Die von uns angenommenen Wassertemperaturen in der Arktis und Antarktis aber waren mindestens zehn Grad Celsius zu hoch angesetzt. Heute wissen wir, das Wasser im Südpolarmeer hatte damals eine Temperatur von etwa 20 bis 25 Grad Celsius. Damit war die Region immer noch warm genug, um am Strand Palmen sprießen zu lassen.“
Originalpublikation
Sze Ling Ho, Thomas Laepple: Flat meridional temperature gradient in the early Eocene in the subsurface rather than surface ocean, Nature Geoscience, July 2016, doi:10.1038/NGEO2763