Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) und das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) haben heute in Genf den Start der internationalen Forschungsinitiative Year of Polar Prediction bekanntgegeben. Das Ziel des zweijährigen Großprojektes mit Partnern aus mehr als 20 Ländern ist es, die Wetter-, Eis- und Klimavorhersagen für die Arktis und Antarktis so umfassend zu verbessern, dass zum einen die Risiken für den Schiffsverkehr und andere Aktivitäten künftig besser eingeschätzt und Unfälle vermieden werden können. Zum anderen wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genauer verstehen, wie die Klimaveränderungen an den Polen das Wetter in den mittleren Breiten beeinflussen.
Ob es in den kommenden Tagen am Nordpol schneien wird oder doch die Sonne scheint, lässt sich derzeit nur schwer vorhersagen. Die Wetterprognosen für die Arktis sind schlichtweg zu unzuverlässig. Denn im Gegensatz zu dicht besiedelten Regionen der Erde fehlt sowohl im hohen Norden als auch in der Antarktis ein enges Netz automatischer Wetterstationen, die regelmäßig Messdaten an die Wetterdienste senden und auf diese Weise genaue Berechnungen zum Wetterverlauf ermöglichen. Stattdessen herrscht in den Polarregionen eine weitgehende Wetterdaten-Leere, die Risiken für Mensch und Umwelt mit sich bringt.
Mit der Forschungsinitiative „Year of Polar Prediction“ (YOPP) wollen die Weltorganisation für Meteorologie (WMO), das Alfred-Wegener-Institut sowie zahlreiche Partner-Institutionen aus mehr als 20 Ländern diese Beobachtungslücken schließen und die Vorhersage für Wetter-, Eis- und Klimabedingungen in den Polarregionen deutlich verbessern. Dazu werden Experten aus Universitäten, Wetterdiensten und Forschungszentren in den kommenden zwei Jahren intensive Messkampagnen in der Arktis und Antarktis durchführen und die gewonnenen Daten für ausgedehnte Wetter-, Eis- und Klimamodellierungen nutzen.
„Wir brauchen deutlich bessere Vorhersagen zur Eis- und Wetterentwicklung in den Polarregionen, um die Gefahren zu minimieren, welche mit den zunehmenden menschlichen Aktivitäten in der Arktis und Antarktis verbunden sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: Weniger Meereis bedeutet nicht automatisch weniger Gefahr für die Schifffahrt. Genaue Eis- und Wetterprognosen sind deshalb die Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Sicherheitsmanagement“, sagt Prof. Dr. Thomas Jung, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut und Leiter der YOPP-Projektsteuergruppe.
Die Folgen des Klimawandels sind in den Polarregionen deutlicher zu spüren als überall sonst auf der Erde. „Die Arktis und Teile der Antarktis erwärmen sich doppelt so schnell wie der Rest der Welt. Wir beobachten, wie die Gletscher, das Meereis und die Schneedecke schrumpfen und sich diese Veränderungen unmittelbar auf den Meeresspiegel und die bisher typischen Wetterabläufe auswirken“, so Thomas Jung. „Derzeit aber können wir die weitere Entwicklung sowie das Ausmaß der Veränderungen nur unzureichend vorhersagen. Hier haben unsere Klimamodelle noch klare Defizite.“
Die Beobachtungslücken in der Arktis beeinträchtigen auch die Qualität der Wetter- und Klimavorhersagen für Europa und Nordamerika. „Aufgrund von Fernwirkungen beeinflusst der Klimawandel in den Polarregionen das Wetter und Klima in den mittleren Breiten, in denen Abermillionen Menschen leben“, sagt WMO-Generalsekretär Petteri Taalas. „Wenn sich die Luftmassen in der Arktis erwärmen und das Meereis schwindet, wirkt sich diese Veränderung nicht nur auf die Meereszirkulation und den Jetstream aus. Es scheint auch Verbindungen zu Wetterextremen wie Kälteeinbrüche, Hitzewellen und Trockenperioden in der nördlichen Hemisphäre zu geben.“
Das „Year of Polar Prediction“ ist eine Initiative des WMO World Weather Research Programme und wird von einem Projektteam am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven koordiniert. In abgestimmten Beobachtungsphasen werden die beteiligten Wissenschaftler die Zahl ihrer Messungen in den Polarregionen deutlich erhöhen. Sie werden zum Beispiel an Forschungsstationen in der Arktis und Antarktis häufiger Wetterballons steigen lassen, von Forschungsschiffen aus mehr Messbojen aussetzen und auf Landexpeditionen eine Vielzahl automatischer Wetterstationen aufbauen. Geplant sind außerdem verschiedene Messkampagnen mit Forschungsflugzeugen und -satelliten.
Alle auf diese Weise gewonnenen Beobachtungsdaten werden in das WMO-Informationsnetzwerk eingespeist, sodass Wetterzentren auf der ganzen Welt die Daten in Echtzeit für ihre Vorhersageberechnungen nutzen können. Gleichzeitig werden Sozialwissenschaftler untersuchen, auf welche Weise Vorhersagen zur Wetter-, Eis- und Klimaentwicklung in den Polarregionen besser in politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse einfließen können und welche Informationen Entscheidungsträger in der Politik sowie im Transport- und Tourismussektor benötigen, um die Unfallgefahr zu minimieren.
„Die wissenschaftlichen und technischen Fortschritte, die wir im Zuge dieses Projektes erreichen werden, sollen uns helfen, die physikalischen Prozesse in der Arktis und Antarktis besser zu verstehen. Außerdem wollen wir ein Beobachtungsnetzwerk aufbauen, mit dessen Hilfe wir künftig zuverlässige Vorhersagen zur Wetter- und Eisentwicklung treffen können – auf langen Zeitskalen ebenso wie auf kurzen“, so Thomas Jung.