26. Juni 2014
Pressemitteilung

Je einfacher, desto wärmeresistenter – Wissenschaftler finden den Schlüssel für die Anpassungsgrenzen von Meeresbewohnern

Bremerhaven, 26. Juni 2014. Je einfacher ein Meereslebewesen aufgebaut ist, umso lebensfähiger ist es im Klimawandel. Zu dieser Erkenntnis sind Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, in einer neuen Metastudie gekommen, die heute in dem Fachmagazin Global Change Biology erscheint. Darin haben die Biologen erstmals die Komplexität von Lebewesen mit den Grenzen ihrer Anpassung an ein wärmeres Klima in Beziehung gesetzt und festgestellt: Während einzellige Bakterien und Archaeen selbst im heißen, sauerstoffarmen Wasser leben können, stoßen Meeresbewohner mit einem komplexeren Bauplan wie Tiere und Pflanzen spätestens bei einer Wassertemperatur von 41 Grad Celsius an ihre Wachstumsgrenzen. Für ihre hochentwickelten Stoffwechselsysteme stellt diese Temperaturobergrenze scheinbar ein unüberwindbares Hindernis dar.

 

Der aktuelle Weltklimabericht zeigt, dass Meeresbewohner ganz unterschiedlich auf die steigende Wassertemperatur und den sinkenden Sauerstoffgehalt des Ozeans reagieren. „Wir haben uns jetzt gefragt, warum dies der Fall ist. Also warum Bakterien beispielsweise bei Temperaturen von bis zu 90 Grad Celsius immer noch wachsen, während Tiere und Pflanzen bei spätestens 41 Grad Celsius an ihre Grenzen stoßen“, sagt Dr. Daniela Storch, Biologin in der Abteilung Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut (AWI) und Erstautorin der aktuellen Studie.

Sie und ihre Kollegen erforschen schon seit einigen Jahren, welche Prozesse dazu führen, dass Tiere eine bestimmte Temperaturobergrenze besitzen, bis zu der sie sich entwickeln, wachsen und sich fortpflanzen können. Grund dafür ist ihr Herz-Kreislauf-System, fanden die Wissenschaftler heraus. Bei Laborversuchen konnten sie nachweisen, dass im wärmeren Wasser immer zuerst dieses Transportsystem der Tiere versagt. Herz, Blut und Kreislauf versorgen alle Zellen und Organe eines Lebewesens mit Sauerstoff, können dies aber nur bis zu einer bestimmten Maximaltemperatur. Danach reicht die Transportleistung des Systems nicht mehr aus; das Tier kann nur noch kurze Zeit überleben. Schon früh vermuteten die Biologen deshalb, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem komplexen Aufbau eines Organismus und seiner eingeschränkten Fähigkeit, im wärmer werdenden Wasser funktionsfähig zu bleiben.

„Wir haben deshalb für unsere aktuelle Studie die Hypothese überprüft, dass die Komplexität der Schlüssel dazu sein könnte, an welche Lebensbedingungen sich verschiedenste Lebewesen, von den Archeen bis zu den Tieren, im Laufe der Evolutionsgeschichte anpassen konnten. Das heißt: Je einfacher der Bauplan eines Meeresbewohners ist, desto widerstandsfähiger sollte er sein“, erzählt die Biologin. Stimmt diese Annahme, wären Lebewesen, die aus einer einzigen einfach strukturierten Zelle bestehen, hohen Temperaturen gegenüber weitaus resistenter, als Lebewesen, deren Zelle wie bei den Algen sehr komplex aufgebaut ist oder deren Körper aus Millionen von Zellen besteht. Damit wären die Toleranz- und Anpassungsgrenzen eines Organismus immer auf seiner höchsten Komplexitätsebene zu suchen.

Unter den kleinsten Organismen sind die einzelligen Algen am wenigsten resistent, weil sie hochkomplexe Zellorganellen wie zum Beispiel die Chloroplasten für die Photosynthese besitzen. Einzellige Tiere besitzen zwar auch Zellorganellen, die jedoch etwas einfacher aufgebaut sind. Den Bakterien und Archaeen fehlen diese Organellen gänzlich.

Um dies zu überprüfen, werteten die Wissenschaftler über 1000 Studien zur Anpassungsfähigkeit von Meereslebewesen aus. Angefangen bei den einfachen, zellkernlosen Archaeen, über Bakterien und einzelligen Algen, bis hin zu Tieren und Pflanzen machten sie so jeweils jene Art ausfindig, die die höchste Temperaturtoleranz ihrer Gruppe besitzt und bestimmten ihre Komplexität. Am Ende zeigte sich, dass das angenommene Funktionsprinzip zu existieren scheint: Je einfacher gebaut, desto wärmetoleranter ist eine Art.

Aber: „Die Anpassungsgrenze eines Organismus zeigt sich nicht nur in seiner oberen Temperaturgrenze, sondern auch in seiner Fähigkeit, mit wenig Sauerstoff auszukommen. Während viele Bakterien und Archaeen bei geringen Sauerstoffkonzentrationen oder sogar ohne Sauerstoff leben können, benötigen die meisten Tiere und Pflanzen eine höhere Mindestkonzentration“, erklärt Dr. Daniela Storch. Die Mehrzahl der untersuchten Studien zeigt: Sinkt der Sauerstoffgehalt im Wasser unter einen bestimmten Wert, bricht die Sauerstoffversorgung von Zellen und Geweben nach kurzer Zeit zusammen.

Die neuen Forschungsergebnisse belegen aber auch, dass die Körpergröße eines Organismus eine entscheidende Rolle in der Frage nach den Anpassungsgrenzen spielt. So können unter den Tieren kleine Arten beziehungsweise kleine Individuen einer Art bei geringeren Sauerstoffwerten und höheren Temperaturen überleben, als dies bei den größeren der Fall ist.

„Wir beobachten bei Fischen aus der Nordsee, dass bei Extremtemperaturen die größeren Individuen einer Art zuerst betroffen sind. Generell gibt es mit der Erwärmung den Trend, dass in einer Region kleinere Arten die großen ersetzen. In den wärmsten Meeresgebieten leben jedoch Pflanzen und Tiere schon heute an ihrer Toleranzgrenze und werden sich wohl nicht mehr anpassen können. Sie werden dort bei fortdauernder Erwärmung in kältere Gebiete abwandern und es gibt auch keine toleranteren Tier- und Pflanzenarten, welche die verlassenen Lebensräume neu besiedeln könnten“, sagt Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut. Der Biologe hat die aktuelle Studie angestoßen und ist koordinierender Leitautor des Kapitels „Ozeansysteme“ im fünften Weltklimabericht.

Die neue Metastudie zeigt: Ihre komplexe Bauweise setzt den mehrzelligen Organismen, also Tieren und Pflanzen enge Schranken, innerhalb derer sie sich an neue Lebensbedingungen anpassen können. Einzelne Tierarten können ihre Körpergröße reduzieren, ihren Stoffwechsel herunterfahren oder mehr Hämoglobin bilden, um so in wärmerem, sauerstoffärmerem Wasser zu überleben. Über die Temperaturgrenze von 41 Grad Celsius kommen Tiere und Pflanzen jedoch grundsätzlich nicht hinaus.  

Einfache Einzeller wie Bakterien dagegen profitieren davon, wenn das Meerwasser wärmer wird. Sie vermehren sich und breiten sich aus. „Durch diese neuen Lebensbedingungen verändern sich die Artengemeinschaften im Ozean. Tiere und Pflanzen werden in Zukunft in den wärmsten Meeresregionen Probleme haben, zu überleben und in diesen Gebieten werden sich zunehmend Archaeen, Bakterien, sowie tierische Einzeller ausbreiten. Es gibt bereits Studien, die zeigen, dass in den wärmsten Ozeangebieten die einzelligen Algen durch andere Einzeller ersetzt werden“, sagt Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner.

Für einen nächsten Schritt stellen die Autoren die Frage, welche Rolle die Komplexität von Arten für die Toleranz und Anpassung an den dritten Klimafaktor im Ozean spielt, die Ozeanversauerung, die durch den steigenden Kohlendioxidausstoß und Eintrag des Treibhausgases ins Meerwasser verursacht wird.

 

 

Glossar

 

Toleranzgrenzen:

 

Über Generationen haben sich Meeresbewohner an die Gegebenheiten in ihren Heimatgewässern angepasst: An die vorherrschende Temperatur, an den Sauerstoffgehalt und an den Säuregrad des Wassers. Bei diesen Lebensbedingungen wachsen sie am besten und leben am längsten. Aber nicht alle Lebewesen, die in einem Ökosystem zusammenleben, haben die gleichen Präferenzen. Die antarktische Aalmutter lebt beispielsweise an ihrer unteren Temperaturgrenze und muss sich in wärmeren Wasserschichten des Südpolarmeeres aufhalten. Gerät sie in kaltes Wasser, wird es ihr schnell zu kalt. Der Kabeljau in der Nordsee dagegen würde sich über kälteres Wasser freuen, denn bei Temperaturen über zehn Grad Celsius fühlen sich große Exemplare nicht mehr richtig wohl. Wissenschaftler sprechen bei diesen Schwellenwerten von einem Temperaturfenster: Jeder wechselwarme Meeresbewohner verfügt über eine Temperaturober- und eine Untergrenze, bei der er noch leben und wachsen kann. Diese „Fenster“ sind unterschiedlich weit gefasst. Arten aus den gemäßigten Breiten wie der Nordsee haben generell ein breiteres Temperaturfenster. Grund dafür sind die stark ausgeprägten Jahreszeiten in diesen Gebieten. Das heißt, die Tiere müssen sowohl warme Sommer als auch kalte Winter aushalten.

Das Temperaturfenster der Lebewesen in den Tropen oder Polargebieten dagegen ist zwei- bis viermal schmaler als jenes der Nordseebewohner. Dafür haben sie sich auf extreme Lebensbedingungen eingestellt. Antarktische Eisfisch-Arten etwa können in bis zu minus 1,8 Grad Celsius kaltem Wasser leben. Ihr Blut enthält Gefrierschutzproteine. Zudem verzichten sie auf den roten Blutfarbstoff Hämoglobin, weil ihr Stoffwechsel niedrig und Sauerstoff im Überfluss vorhanden ist. Aus diesem Grund ist ihr Blut dünnflüssiger und die Fische benötigen weniger Energie, um es durch den Körper zu pumpen - eine perfekte Überlebensstrategie. Aber: Die Eisfische leben am Limit. Steigt die Temperatur um wenige Grad Celsius, stoßen die Tiere schnell an ihre Grenzen.

 

Hinweise für Redaktionen:

Das Paper mit dem Originaltitel „Climate sensitivity across marine domains of life: Limits to evolutionary adaptation shape species interaction“ wurde am 26. Juni im Fachmagazin Global Change Biology veröffentlicht. DOI: 10.1111/gcb.12645.

Ihre Ansprechpartnerin am Alfred-Wegener-Institut ist Dr. Daniela Storch (Tel.: 0471/4831-1934, E-Mail: Daniela.Storch@awi.de). Ihre Ansprechpartnerin in der AWI-Pressestelle ist Kristina Bär (Tel.: 0471/ 4831-2139; E-Mail: medien@awi.de)

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Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.