Europäische Austern sollen – mehr als 80 Jahre nach ihrem Verschwinden – in der deutschen Nordsee wieder heimisch werden. Dafür braucht es gezielte Unterstützung durch den Menschen, basierend auf wissenschaftlicher Forschung und Tests in der Praxis. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) haben heute in Hamburg gemeinsam einen Einblick in Inhalte und Ziele eines dreijährigen Erprobungs- und Entwicklungs-(E+E-)Vorhabens gegeben. In dem Projekt werden erstmalig die Möglichkeiten der Wiederherstellung von Beständen der einheimischen Europäischen Auster (Ostrea edulis) in der deutschen Nordsee eingehend im Freiland erforscht.
Gemeinsame Pressemitteilung mit dem Bundesamt für Naturschutz (BfN)
„Die Bestände der Europäischen Auster werden in ganz Europa als stark gefährdet eingestuft. Seit etwa 1930 gilt die Europäische Auster in der deutschen Nordsee als ausgestorben, nur seltene Einzelfunde sind belegt“, sagt Prof. Beate Jessel, Präsidentin das BfN. „Austern können jedoch im ökologischen Gesamtgefüge der Nordsee eine wichtige Rolle spielen, da sie nicht nur große Wassermengen filtrieren, sondern auch Riffe bilden können. Solch biogene, das heißt von Lebewesen aufgebaute Riffe, sind in der Nordsee sehr selten. Austern-bänke und Austernriffe weisen außerdem eine besonders hohe biologische Vielfalt auf, ste-hen daher im Fokus des Meeresnaturschutzes“, erläutert Prof. Jessel das Engagement des BfN.
Das im April 2016 gestartete E+E-Vorhaben basiert auf einer 2014 erstellten Machbarkeits-studie des BfN zur potentiellen Wiederansiedlung der Europäischen Auster in der Deutschen Bucht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des AWI entwickeln in Kooperation mit der Abteilung Meeresnaturschutz des BfN Methoden und Verfahren zum nachhaltigen Wieder-aufbau eines Austernbestandes in der deutschen Nordsee und setzen diese modellhaft in die Praxis um.
In einem ersten Schritt hat die für das Projekt verantwortliche Wissenschaftlerin des AWI, Dr. Bernadette Pogoda, kürzlich internationale Forschungseinrichtungen und Zuchtbetriebe in Großbritannien, Irland und den USA besucht. Ziel ist es, aus den Erfahrungen von Austern-zuchten und anderen Restaurationsvorhaben zu lernen und geeignete Methoden und Technologien auf die Situation in der deutschen Nordsee zu übertragen. „Wir planen darüber hin-aus den gemeinsamen Aufbau eines internationalen Netzwerks zur Austernrestauration“, betont Prof. Beate Jessel. „Denn wir möchten diese Initiativen zur Austern-Wiederansiedlung auch über die deutsche Nordsee hinaus zusammenbringen, Erfahrungen austauschen und gegenseitig von den Ergebnissen der Forschungsprojekte profitieren.“
Parallel dazu wird ermittelt, aus welchen Zuchtbetrieben geeignete Austern bezogen werden können. Es werden strenge Richtlinien eingehalten, um eine Einführung gebietsfremder Arten auszuschließen. Geplant ist zunächst die Ausbringung von Austernsaat verschiedener Größenklassen und langfristig auch von adulten Austern. Dieser Test-Besatz erfolgt vorerst in speziellen Käfigstrukturen, um ein Verdriften oder Versanden der Austern zu vermeiden. „Für eine nachhaltige Wiederherstellung von Austernbänken sind jedoch umfangreiche Besatz- und Monitoringkonzepte notwendig“, erläutert Prof. Karen Wiltshire, stellvertretende Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts. „Diese werden in unserem Vorhaben erarbeitet und getestet. Neben der Populationsdynamik wird unser Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dabei vor allem die Fitness, den Gesundheitszustand und das Wachstum der jungen Austern im Laufe des Projektes untersuchen.“
Auch Fragestellungen zum Ansiedlungssubstrat werden bearbeitet. Austern siedeln sich bevorzugt auf Schalenmaterial der eigenen Art an, nutzen jedoch auch anderes Hartmaterial wie Schalen anderer Muschelarten, aber auch künstliche oder natürliche Hartstrukturen wie große Steine. Die Suche nach geeigneten Wiederansiedlungsflächen in der Deutschen Bucht hat bereits begonnen. Eine grundsätzliche Voraussetzung für die Eignung eines Meeresgebietes ist der Ausschluss jeglicher Boden verändernder Aktivitäten, wie zum Beispiel bodenberührende Fanggeräte der Fischerei oder der Abbau von Sand und Kies.
Ziel des E+E-Vorhabens ist es, unter Berücksichtigung der rechtlichen Vorgaben die Grundvoraussetzungen für ein langfristig angelegtes Restaurationsprogramm zu schaffen, damit in Zukunft Europäische Austern wieder in der Deutschen Bucht heimisch werden können.
Weiterführende Informationen:
Hintergrundinformationen des BfN zur Europäischen Auster.
Weitere Fotos von einer Ausfahrt im RESTORE-Projekt mit dem Forschungsschiff Heincke finden Sie in unserer Mediathek. Im Rahmen der Expedition wurde eine Unterwasser-Installation in der Nähe eines Windparks vor Helgoland ausgebracht. An dieser Installation befinden sich derzeit leere Austernschalen, um zu untersuchen, welche Pflanzen und Tiere sich darauf ansiedeln. Zukünftig sollen Taucher hier auch Netze mit Jungaustern für Wachstumsuntersuchungen anbringen. Hier geht es zur Mediathek...