23. März 2018
Online-Meldung

Erstbeobachtung in der Tiefsee

Schwimmverhalten eines selbstleuchtenden Fächerflossen-Seeteufels
Fächerflossen-Seeteufel (Foto: Rebikoff Foundation)

Zum ersten Mal überhaupt konnte ein Tiefsee-Anglerfisch der Familie Caulophrynidae lebend beobachtet werden. Über diese ausschließlich in der Tiefsee vorkommenden, auch Fächerflossen-Seeteufel  genannten Fische ist bislang sehr wenig bekannt. Die Beobachtung gelang Kirsten und Joachim Jakobsen mit ihrem bemannten Tauchboot LULA1000 der Rebikoff-Niggeler Stiftung. Antje Boetius, Tiefseeforscherin und Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, ist begeistert von den erstaunlichen Videoaufzeichnungen.

Die Aufnahmen des Anglerfisches entstanden in 800 Metern Tiefe während einer Tauchmission südlich der Azoreninsel São Jorge. Während 25 Minuten konnten spektakuläre Videoaufnahmen und Fotografien eines Paares des Fächerflossen-Seeteufels gemacht werden, die nun in Science veröffentlicht wurden. Es handelt sich um ein offenbar trächtiges Weibchen mit einem angewachsenen Zwergmännchen. Die Tiefsee-Anglerfische, zu denen das beobachtete Exemplar gehört, zeigen einen extremen Sexualdimorphismus. Die Weibchen sind oft zehnmal so groß wie die Männchen. Hat das Männchen ein Weibchen gefunden, beißt es sich zunächst an ihrem Bauch fest und verwächst dann dauerhaft mit dem Weibchen. Das Weibchen ernährt das Männchen über seinen Blutkreislauf. Wenn die Befruchtung erfolgt ist, oder Nahrungsmangel auftritt, kann das Männchen offenbar von den Körpersäften des Weibchens auch schon einmal verdaut werden.

Theodore W. Pietsch von der University of Washington in Seattle, Experte für diese Fischgruppe, hat den Anglerfisch als zu der Art Caulophryne jordani zugehörig identifiziert. Er schreibt: „Das beobachtete Exemplar der Art Caulophryne jordani ist extrem selten, bekannt nur durch 14 weibliche Exemplare in naturhistorischen Sammlungen weltweit. Männchen dieser Art waren bislang komplett unbekannt und wurden noch nie vorher gesehen, von der gesamten Fischfamilie gibt es jetzt nur 4 bekanntgewordene männliche Exemplare, drei davon in Sammlungen. Es gibt derzeit 160 beschriebenen Arten von Tiefseeanglerfischen, doch dies ist die erste Lebendbeobachtung eines weiblichen Tiefseeanglerfisches im natürlichen Habitat, die ein parasitäres Zwergmännchen trägt. Neu ist auch die Dokumentation selbstleuchtender Flossenstrahlen des Fisches und die eigenartige Ruheposition des Fischpaares. Schärfe und Auflösung der Aufnahmen lassen feinste Strukturdetails erkennen. Das Video zeigt ein nie vorher dokumentiertes Verhalten, das die Funktion der charakteristischen verlängerten Flossenstrahlen und Tentakel nahelegt. Die enorm langen, von Nerven durchzogenen Flossenstrahlen der Rücken- und Afterflosse bilden ein Netzwerk von sensorischen Antennen, ähnlich der Tasthaare einer Katze. Der Fisch kann dadurch auf geringste Strömungsunterschiede, zum Beispiel durch die Bewegung von Beute oder Räubern reagieren. Besonders ungewöhnlich sind die kleinen bioluminiszenten Leuchtpunkte, die von den Spitzen der Brustflossen und Schwanzflossenstrahlen sowie in Abständen entlang der Rücken- und Afterflossenstrahlen auftreten.“

Antje Boetius, Tiefseeforscherin am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven sagt: „Ich habe bereits Hunderte von Stunden mit Beobachtungen in der Tiefsee zugebracht, aber dies gehört zu den erstaunlichsten Videoaufnahmen überhaupt. Das Video zeigt beeindruckend die Andersartigkeit des Lebens in der Tiefsee, und wie wichtig es ist, diese Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten, um ihr Verhalten und ihre Anpassung an die dortigen Bedingungen zu verstehen. Die von der Rebikoff-Stiftung unterstützten Entdecker Kirsten und Joachim Jakobsen widmen ihre Arbeit der Entdeckung und Dokumentation des Lebens in der Tiefsee, in der es wahrscheinlich noch mehr als eine Million unbekannte Arten zu entdecken gilt. Die Tiefsee rund um die Azoren, auf die sich die Arbeit der Rebikoff-Stiftung konzentriert, ist ein Hotspot marinen Lebens und eine der größten Meeresschutzzonen überhaupt. Wir benötigen unbedingt mehr Beobachtungen aus dem Seegebiet der Azoren und dem Mittelatlantischen Rücken, zumal diese Gebiete nun auch für den Bergbau in der Tiefsee in Betracht gezogen werden."

Peter Bartsch, Kurator der Fischsammlung am Museum für Naturkunde in Berlin stellt fest: „Wir beherbergen am Naturkundemuseum die Sammlung der ersten Deutschen Tiefsee-Expedition „Valdivia“ 1898 bis 1899. Daher verstehen wir sehr gut den wissenschaftlichen Wert dieser direkten Beobachtung und Video-Dokumentationen. Hier befindet sich auch das ursprüngliche Belegexemplar einer weiteren Art der Fächerflossen-Tiefseeangler, Caulophryne pelagica. Diese war von August Brauer 1902 auf der Basis nur eines kleinen Exemplars aus dem Indischen Ozean beschrieben worden. Sammlungen sind wichtig für die Übersicht von Verbreitungsnachweisen, die Biogeografie, für Artbeschreibungen und Morphologie. Aber immer wenn irgend möglich, müssen diese ergänzt werden durch direkte Beobachtung. Dies ist notwendig, um Hypothesen zu Funktionen und biologischen Rollen von Organsystemen zu testen und die Ökologie von Arten aufzuklären. Nur jetzt, durch die mühevolle Arbeit von Kirsten und Joachim Jakobsen und der Rebikoff-Niggeler-Stiftung auf den Azoren ist es möglich, zum ersten Mal ein Paar von Caulophryne jordani lebend in ihrem natürlichen Habitat zu dokumentieren. Solche Bilder sind nicht nur für Spezialisten interessant. Sie belegen die Notwendigkeit der Erforschung der Tiefsee und den dringenden Schutz des noch weitgehend unbekannten Lebens im Meer.“  

Video

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peter.bartsch@mfn.berlin

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Theodore W. Pietsch
twp@uw.edu