Die zweite Antarktis-Saison des Eiskern-Bohrprojekts Beyond EPICA - Oldest Ice wurde erfolgreich abgeschlossen. Das internationale Forschungsprojekt wird von der Europäischen Kommission mit elf Millionen Euro gefördert und vom Institut für Polarwissenschaften des Nationalen Forschungsrats Italiens (CNR-ISP) koordiniert, fünf Fachleute vom Alfred-Wegener-Institut bildeten den Großteil des Bohrteams. Von November 2022 bis Januar 2023 konnte das 15-köpfige internationale Team aus Wissenschaft und Technik mithilfe eines komplexen Tiefeisbohrsystems Kerne aus über 800 Metern Tiefe bergen.
Die zweite Bohrsaison des Projekts Beyond EPICA – Oldest Ice am Bohrcamp Little Dome C in der Antarktis wurde erfolgreich beendet. Das ambitionierte Projekt ist eine bislang beispiellose Herausforderung für Paläoklimatologie. Das Ziel: Die Forschenden wollen 1,5 Millionen Jahre zurück in die Vergangenheit reisen und durch die Analyse eines kontinuierlichen Eisbohrkerns aus den Tiefen des antarktischen Eisschilds die Entwicklung der Temperaturen und Treibhausgaskonzentrationen von damals bis heute rekonstruieren.
Little Dome C in der Antarktis liegt an einem der extremsten Orte der Erde und ist ein 10 Quadratkilometer großes Gebiet auf 3.233 Metern Höhe über dem Meeresspiegel, 34 Kilometer von der französisch-italienischen Forschungsstation Concordia entfernt. Nachdem das dafür nötige komplexe Tiefeisbohrsystem dort Anfang Dezember 2022 erfolgreich installiert wurde, konnten die Bohrungen rasch beginnen. In der benachbarten antarktischen Forschungsstation Concordia Station schnitten die Forschenden die ersten 217 Meter des extrahierten Eiskerns auf und begannen mit den Analysen. Bis Ende Januar 2023 erreichte das internationale Bohrteam in fast sieben Wochen Arbeit das wichtige Etappenziel von 808,47 Metern. Bis zu dieser Tiefe enthält das Eis Informationen über das Klima und die Atmosphäre der letzten 49.300 Jahre. Dabei hatte das Team einige Rückschläge und Verzögerungen – unter anderem durch Reparaturen am Bohrsystem – zu meistern. Auch das schlechte Wetter am Little Dome C erschwerte zunächst die Wiedereröffnung der Bohrstelle und verzögerte die Ankunft des Teams. Durch Arbeit in zwei Schichten und kontinuierliches Bohren für 16 Stunden pro Tag konnten diese Probleme aber ausgeglichen werden.
Das endgültige Ziel des Projekts ist es, eine Tiefe von etwa 2.700 Metern zu erreichen, was der Dicke der gesamten Eisdecke an Little Dome C entspricht. Projektkoordinator Carlo Barbante, Direktor des Instituts für Polarwissenschaften des Nationalen Forschungsrates (CNR-ISP) und Professor an der Universität Ca' Foscari in Venedig, berichtet: „Sobald das Team im Bohrcamp angekommen war, konzentrierte es sich darauf, das Tiefeisbohrsystem aufzubauen und so feinabzustimmen, dass die in der vorherigen Kampagne begonnenen Bohrarbeiten fortgesetzt werden konnten. Das Bohrsystem des Alfred-Wegener-Instituts wurde optimal an die Eisbedingungen angepasst, eingesetzt wurden zunächst 3,5 Meter lange Bohrrohre. In den letzten Arbeitstagen wurden 4,5 Meter lange Bohrrohre getestet und das Ergebnis war unerwartet erfolgreich: Ein 4,52 Meter langer Eiskern konnte geborgen werden, der längste, der jemals im Rahmen eines europäischen Projekts gebohrt wurde.“
Frank Wilhelms, Glaziologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) war auf der Expedition verantwortlich für das Bohrteam. Er erklärt: „In diesem Jahr wurden auch die ersten 217 Meter des Eiskerns von Beyond EPICA im Eislabor der benachbarten Concordia Station bearbeitet. Dabei konnten wir unter anderem Leitfähigkeitsparameter messen und erste Schnitte der Kerne anfertigen. Ein Teil dieser Eisbohrkerne wird bald zur Analyse in europäische Labors geschickt.“
Wertvolle Eiskerne
Wie ein Archiv speichert Eis Informationen über das Klima und die Umweltgeschichte unseres Planeten. Forschende können deshalb durch die Analyse von Eisbohrkernen die Entwicklung der Temperatur und der Zusammensetzung der Atmosphäre (unter anderem Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan) im Laufe der vergangenen hunderttausenden von Jahren rekonstruieren. „Wir sind überzeugt, dass uns dieser Eisbohrkern Informationen über das vergangene Klima und die Treibhausgase in der Atmosphäre während des mittleren pleistozänen Übergangs (MPT) liefern wird, der vor 900.000 bis 1,2 Millionen Jahren stattfand“, sagt Carlo Barbante. „Während dieses Übergangs änderte sich die Periodizität des Klimas zwischen den Eiszeiten von 41.000 auf 100.000 Jahre. Der Grund dafür ist ein wissenschaftliches Rätsel, das wir so zu lösen hoffen.“
Das mit 11 Millionen Euro von der Europäischen Kommission und weiteren finanziellen Mitteln der teilnehmenden Nationen geförderte Projekt startete 2019, ist für eine Dauer von sieben Jahre angelegt und wird von Carlo Barbante, Direktor des Instituts für Polarwissenschaften des Nationalen Forschungsrates Italiens (CNR- ISP) und Professor an der Universität Ca' Foscari in Venedig, koordiniert. Am Projekt beteiligt sind zwölf Forschungszentren aus zehn europäischen und außereuropäischen Ländern. Aus Italien ist neben dem CNR und der Universität Ca' Foscari auch die Nationale Agentur für neue Technologien, Energie und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung (ENEA) Projektpartner und zusammen mit dem französischen Polarinstitut (IPEV) für das Logistik-Arbeitsmodul zuständig.
Das Team der 22/23-Borhrkampagne:
Frank Wilhelms, Matthias Hüther, Gunther Lawer, Martin Leonhardt und Johannes Lemburg (Alfred-Wegener-Institut, Deutschland), Robert Mulvaney (British Antarctic Survey, Großbritannien), Julien Westhoff (Universität Kopenhagen, Dänemark), Romain Duphil (Universität Grenoble-Alpes, Frankreich), Romilly Harris Stuart (Laboratoire des Sciences du Climat et de l'Environnement und EU-DEEPICE-Doktorandin, Frankreich), Giuditta Celli (CNR – Institut für Polarforschung und Doktorandin an der Ca’ Foscari Universität Venedig, Italien), Saverio Panichi, Michele Scalet und Andrea De Vito (ENEA – Nationale Agentur für neue Technologien, Energie und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Italien). Markus Grimmer und Florian Krauss (Universität Bern, Schweiz) liefern Unterstützung seitens der Concordia-Forschungsstation.