26. September 2017
Online-Meldung

Eisberg bricht von Pine Island Gletscher ab

Gletscherrückzug im Amundsenmeer schreitet voran
Pine Island Gletscher Frühjahr 2017 (Foto: Thomas Ronge)

Aktuelle Satellitenaufnahmen aus der Antarktis zeigen, dass vom Pine Island Gletscher ein großer Eisberg von etwa 265 Quadratkilometern Größe abgebrochen ist. Anders als im Larsen-Schelfeisgebiet, wo im Juli 2017 ein riesiger Eisberg abgebrochen war, beobachten Wissenschaftler hier zusätzlich, dass der Gletscher schon seit einiger Zeit ausdünnt, sein Abfluss sich beschleunigt und die Aufsetzlinie sich zurückzieht. Somit verliert er mehr und mehr Masse und trägt zum Anstieg des Meeresspiegels bei.

Im Amundsenmeer im pazifischen Sektor der Antarktis ist vom Pine Island Gletscher (PIG) ein etwa 265 Quadratkilometer großer Eisberg abgebrochen. Damit verliert die Westantarktis ein weiteres Stück Schelfeis. Während die Auswirkungen des Abbruchs am Larsen-C-Schelfeis im Juli 2017 auf den dahinterliegenden Gletscher noch nicht eindeutig sind, sind Veränderungen hier deutlich: „Der Pine Island Gletscher ist im Zeitraum von 1992 bis 2000 rund zwei Meter pro Jahr dünner geworden. Im Jahr 2006 haben britische Wissenschaftler einen Dickenverlust von zehn Metern pro Jahr im Bereich der Aufsetzlinie beobachtet“, sagt Dr. Daniela Jansen vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Die Aufsetzlinie des Pine Island Gletschers hat sich zwischen 1996 und 2009 jährlich um 1,5 Kilometer zurückgezogen“, berichtet die AWI-Glaziologin weiter. Die Aufsetzlinie bezeichnet die Stelle, wo ein Gletscher landseitig auf festem Untergrund aufliegt. Weiter Richtung Ozean befindet sich das sogenannte Schelfeis, das zwar noch mit dem Gletscher verbunden ist, jedoch auf dem Ozean aufschwimmt.

Verlor der Pine Island Gletscher (PIG) von 1992 bis 1999 jährlich 3,9 ± 0,9 Gigatonnen Eis pro Jahr (im Jahr 1995 2,6 ± 0,3), so stieg dieser Wert im Jahr 2007 auf 46 ± 5 Gigatonnen pro Jahr an (Turner et al. Reviews on Geophysics 2017, doi: 10.1002/2016RG000532). Das bedeutet einen globalen Meeresspiegelanstieg von 0,13 Millimeter pro Jahr. Bereits im Jahr 2013 war ein riesiger Eisberg vom PIG abgebrochen (s. AWI-Pressemitteilung). Bei dem Gletscherabbruch im Jahr 2013 hatte AWI-Glaziologin Prof. Angelika Humbert darauf hingewiesen, dass das westantarktische Inlandeis auf Land gründet, das tiefer liegt als der Meeresspiegel. Sein „Bett“ neigt sich zudem landeinwärts. Es besteht also die Gefahr, dass diese großen Eismassen instabil werden. Durch den jetzt abgebrochenen Eisberg steigt der Meeresspiegel aktuell nicht, denn dieser Teil des Eisschildes schwamm schon vorher im Wasser. Der Rückhalt des PIG könnte aber weiterhin abnehmen und ein schnelleres Nachfließen der im Hinterland befindlichen Eismassen begünstigen. Würde der gesamte westantarktische Eisschild in den Ozean fließen, hätte dies einen weltweiten Meeresspiegelanstieg in Höhe von 3,4 bis 4,3 Metern zur Folge.

Auch im August 2015 brach ein großer Eisberg vom Pine Island Gletscher ab, der 580 Quadratkilometer maß (Jeong et al., 2016, DOI: 10.1002/2016GL071360). „Bei diesem Event hat sich erstmals die Kalbungslinie verlagert, welches auf ein sich änderndes Abbruchverhalten schließen lässt“, berichtet AWI-Geologe Dr. Johann Klages. Damit ist ein großer Teil des PIG-Schelfeises abgebrochen. Der Gletscher zieht sich zurück und fließt schneller als bisher beobachtet. Dieser Prozess zieht sich über Jahrzehnte hin und macht sich mittlerweile in seinem gesamten Einzugsbereich bemerkbar. Seit den ersten Messungen der Kalbungslinie variierte diese zwischen 1947-2013 im Bereich von etwa 15 Kilometern und ihre Orientierung blieb weitestgehend beständig. „Dies geschah, obwohl speziell in den letzten Dekaden bereits starkes Ausdünnen beobachtet wurde. Durch das Kalben im Jahr 2015 drehte sich die Kalbungslinie erstmals um 25-45° und zog sich im nördlichen Teil des Gletschers um über 20 Kilometer zurück. Dieser Trend wurde nun durch das erneute Kalben 2017 bestätigt“, sagt AWI-Geowissenschaftler Dr. Jan-Erik Arndt, der gerade die Daten einer Polarstern-Expedition analysiert.

Gemeinsam mit Kollegen hatte er den unter dem abgebrochenen Eis neu zugänglichen Ozeanbereich im Frühjahr 2017 mit dem AWI-Forschungsschiff erstmalig kartieren können. Die Wissenschaftler waren im Amundsenmeer, um die Vereisungsgeschichte dieser Region näher zu untersuchen. Damals hatten die Forscher viele Eisberge in der Pine Island Bucht beobachtet. Für Probennahmen waren sie auch per Helikopter auf den Pine Island Gletscher geflogen. Dabei konnten sie einen langen Riss im Gletscher beobachten, der den aktuellen Eisberg-Abbruch angekündigt hat. „Damals war der Riss etwa 50 Meter breit, 20 bis 40 Meter tief und mindestens 25 Kilometer lang. Wir haben während des Fluges deutlich gesehen und dokumentiert, wie von unten schon Meerwasser in den Riss eindringt“, erzählt Dr. Thomas Ronge von den Eindrücken der Polarstern-Expedition vor Ort.

Im Juli 2017 haben AWI-Geologen in der Fachzeitschrift Nature publiziert, dass in der Erdgeschichte vor 7500 Jahren Wind und warmes Wasser für den Gletscherrückzug in der Westantarktis sorgten (<link nc ueber-uns service presse-detailansicht presse wind-und-warmes-wasser-treiben-rueckzug-des-westantarktischen-eisschildes-voran.html>www.awi.de/nc/ueber-uns/service/presse-detailansicht/presse/wind-und-warmes-wasser-treiben-rueckzug-des-westantarktischen-eisschildes-voran.html). Diese Ergebnisse seien auf die aktuellen Begebenheiten übertragbar. „Wir können mit unseren Daten belegen, dass es damals wie heute warmes Tiefenwasser ist, welches auf den Kontinentalschelf strömt und die Eismassen von unten schmilzt“, sagt Dr. Johann Klages, AWI-Geologe und Co-Autor der Nature-Studie (DOI:10.1038/nature22995).

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