06. Januar 2025
Pressemitteilung

Deutlicher Rückgang von Presseisrücken in der Arktis

Auswertung von Messflügen aus drei Jahrzehnten zeigt starke Veränderungen
Bildung eines neuen Presseisrückens in der zentralen Arktis. (Foto: Alfred-Wegener-Institut)

In der Arktis schmilzt das alte, mehrjährige Eis und in der Folge haben Häufigkeit und Höhe von Presseisrücken drastisch abgenommen. Presseisrücken entstehen, wenn sich Eisschollen gegeneinander schieben und auftürmen und sind ein charakteristisches Merkmal des arktischen Meereises, ein Hindernis für die Schifffahrt, aber auch essentiell für das Ökosystem. Über den Rückgang berichten Forschende des Alfred-Wegener-Instituts in einer aktuellen Studie, in der sie Messdaten von Forschungsflugzeugen der letzten 30 Jahre auswerteten und jetzt in der Fachzeitschrift Nature Climate Change veröffentlichen.

Satellitendaten der letzten drei Jahrzehnte dokumentieren die starken Veränderungen des arktischen Meereises als Folge des Klimawandels: Die im Sommer mit Eis bedeckte Fläche nimmt kontinuierlich ab, die Eisschollen werden dünner und bewegen sich schneller. Unklar war bisher, wie sich die charakteristischen Presseisrücken verändert haben, da sie erst seit wenigen Jahren zuverlässig aus dem Weltraum erfasst werden können.

Presseisrücken entstehen durch seitlichen Druck auf das Meereis. Wind oder Meeresströmungen schieben Eisschollen zu meterdicken Gebilden übereinander. Die über dem Wasser liegenden Teile, die alle paar hundert Meter die sonst ebene Eisfläche durchbrechen, nennt man Segel; sie sind ein bis zwei Meter hoch. Noch mächtiger sind die Kiele unterhalb der Wasserlinie, die bis zu 30 Meter in die Tiefe ragen und ein unüberwindbares Hindernis für die Schifffahrt darstellen können. Presseisrücken beeinflussen sowohl die Energie- und Massenbilanz des Meereises als auch den biogeochemischen Stoffkreislauf und das Ökosystem: Wind setzt über die Segel die Eisschollen in Bewegung und treibt sie quer durch die Arktis. Eisbären nutzen Presseisrücken, um in ihrem Schutz zu überwintern und ihre Jungen zur Welt zu bringen. Zudem bieten die Strukturen eisassoziierten Organismen verschiedener trophischer Ebenen Schutz und fördern die turbulente Durchmischung des Wasserkörpers, was die Verfügbarkeit von Nährstoffen erhöht. 

Ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI), hat jetzt Lasermessungen, die seit 30 Jahren mit Forschungsflugzeugen über dem arktischen Eis durchgeführt werden, neu aufbereitet und ausgewertet. Die Messflüge decken eine Strecke von rund 76.000 Kilometern ab und zeigen erstmals, dass die Häufigkeit von Presseisrücken nördlich von Grönland und in der Framstrasse um 12,2 % und ihre Höhe um 5 % pro Jahrzehnt abnimmt. Ein ähnliches Bild ergeben Messungen in der Lincolnsee, einem Gebiet wo sich besonders altes Eis sammelt: Hier nimmt die Häufigkeit um 14,9 % und die Höhe um 10,4 % pro Jahrzehnt ab.

„Bisher war unklar, wie sich Presseisrücken verändern“, sagt Dr. Thomas Krumpen, Meereisforscher am AWI und Hauptautor der Studie. „Ein immer größerer Teil der Arktis besteht aus Eis, das im Sommer schmilzt und nicht älter als ein Jahr wird. Dieses junge, dünne Eis verformt sich leichter und bildet schneller neue Presseisrücken. Man könnte also erwarten, dass deren Häufigkeit eher zunimmt. Dass die Presseisrücken dennoch insgesamt weniger werden, liegt am drastischen Schmelzen alter Eisschollen. Eis, das mehrere Sommer überdauert, weist besonders viele Presseisrücken auf, da es über einen längeren Zeitraum starken Drücken ausgesetzt war. Der Verlust dieses mehrjährigen Eises ist so gravierend, dass wir insgesamt eine Abnahme der Häufigkeit von Presseisrücken in der Arktis beobachten, selbst wenn sich das dünne und junge Eis leichter verformen lässt“.

Um auch Aussagen über arktisweite Veränderungen treffen zu können, haben die Forschenden aus allen Messdaten eine Metrik entwickelt und diese mit Hilfe von Satellitendaten auf die gesamte Arktis übertragen: „Den größten Verlust an Presseisrücken sehen wir vor allem dort, wo das Eisalter besonders stark abgenommen hat“, fasst Prof. Dr. Christian Haas, Leiter der Meereisphysik am AWI, zusammen. „Die Beaufortsee, aber auch die zentrale Arktis zeigen starke Veränderungen. Beides sind Regionen, die heute im Sommer teilweise eisfrei sind, früher aber von Eis dominiert wurden, das fünf Jahre und älter war.“

Für die Studie wurden einzelne Presseisrücken und deren Höhe auf Messflügen exakt bestimmt und ausgewertet. Möglich wurde dies durch die geringe Flughöhe von weniger als 100 Metern und die hohe Abtastrate der Lasersensoren, mit denen Geländemodelle erstellt werden können. Die ersten wissenschaftlichen Flüge über Meereis führte das AWI Anfang der 1990er Jahre von Spitzbergen aus durch. Damals standen zwei Dornier DO228, Polar 2 und Polar 4, im Dienst des Instituts. Heute sind zwei Maschinen vom Typ Basler BT-67, Polar 5 und Polar 6, für das Institut im Einsatz. Sie sind für Flüge unter den extremen Bedingungen der Polargebiete ausgerüstet und können mehr Messsensoren aufnehmen. Mit ihnen vermessen Forschende zweimal im Jahr das Eis nördlich von Grönland, Spitzbergen und Kanada. Aber auch die Hubschrauber an Bord des Eisbrechers Polarstern sind in das Messprogramm eingebunden.

Um die direkten Auswirkungen der beobachteten Veränderungen auf das Ökosystem der Arktis abschätzen zu können, müssen Modelle entwickelt werden, die sowohl die physikalischen als auch die biologischen Prozesse im Meereis unterschiedlichen Alters abbilden. Obwohl bekannt ist, dass Presseisrücken eine Vielzahl von Organismen beherbergen, fehlt ein besseres Verständnis dafür, welche Rolle das Alter von Presseisrücken spielt. Dies ist jedoch besonders wichtig, da der Anteil der Presseisrücken zunimmt, die ihren ersten Sommer nicht überleben. Ein weiteres Rätsel: Obwohl die Segel kleiner und weniger geworden sind, hat die Driftgeschwindigkeit des arktischen Eises insgesamt zugenommen. AWI-Meereisphysikerin Dr. Luisa von Albedyll, beteiligt an der Studie, erklärt: „Eigentlich sollte das Eis langsamer durch die Arktis driften, wenn die Segelfläche kleiner wird, weil die Impulsübertragung abnimmt. Das weist darauf hin, dass es noch andere Veränderungen gibt, die in die entgegengesetzte Richtung wirken. Stärkere Meeresströmungen oder eine Glättung der Eisunterseite durch verstärkte Schmelzprozesse könnten eine Rolle spielen. Um diese offenen Fragen zu klären und die komplexen Zusammenhänge besser zu verstehen, haben wir den gesamten Datensatz in einem öffentlichen Archiv zugänglich gemacht, damit andere Forschende sie nutzen und in ihre Studien einbeziehen können.“

Für den kommenden Sommer ist eine Expedition mit dem Forschungsschiff Polarstern geplant, bei der biologische und biogeochemische Unterschiede von Eisschollen und Presseisrücken unterschiedlichen Alters und Herkunft untersucht werden soll. Zeitgleich sollen umfangreiche Messflüge mit den Forschungsflugzeugen stattfinden. Dazu sagt Thomas Krumpen: „Durch die Kombination von Schiffs- und Flugzeugmessungen erhoffen wir uns einen besseren Einblick in die komplexen Wechselwirkungen zwischen Meereis, Klima und Ökosystem. Denn nur wenn wir das Umweltsystem Arktis besser verstehen, können wir wirksame Strategien zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Arktis entwickeln.“

Originalpublikation

Thomas Krumpen, Luisa von Albedyll, H. Jakob Bünger, Giulia Castellani, Jörg Hartmann, Veit Helm, Stefan Hendricks, Nils Hutter, Jack C. Landy, Simeon Lisovski, Christof Lüpkes, Jan Rohde, Mira Suhrhoff, Christian Haas: Smoother ice with fewer pressure ridges in a more dynamic Arctic, Nature Climate Change (2024). DOI: 10.1038/s41558-024-02199-5

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