15. Dezember 2021
Online-Meldung

Antarktisches Eis anfälliger für Erwärmung?

Erkenntnisse darüber, wie der Westantarktische Eisschild auf ein wärmeres Klima vor Millionen von Jahren reagierte, helfen die Vorhersagen für seine Zukunft zu verbessern
Pine Island Gletscher Frühjahr 2017 (Foto: Thomas Ronge)

Ein Forschungsteam unter der Leitung des Imperial College London hat den Zustand der antarktischen Eisschilde während des frühen Miozäns (vor etwa 18-16 Millionen Jahren) untersucht. In diesem Erdzeitalter gab es sowohl Warm- als auch Kaltzeiten. Die Studie mit Beteiligung des Alfred-Wegener-Instituts zeigt, dass der Westantarktische Eisschild (WAIS) mehr zum Anstieg des Meeresspiegels vor Millionen von Jahren beigetragen hat, als bisher erwartet. Die Ergebnisse veröffentlichte das Team in der Fachzeitschrift Nature.

In den wärmeren Perioden des Miozäns stieg der Meeresspiegel um bis zu 60 Meter an – das entspricht dem Schmelzen des gesamten heutigen Eises auf dem antarktischen Kontinent. Bisher war ungewiss, welchen Beitrag der Ostantarktische (EAIS) und der Westantarktische Eisschild zu diesem Anstieg lieferten. Ein internationales Forschungsteam hat herausgefunden, dass sich der WAIS während der Kaltzeiten im Miozän stärker ausgedehnt hat als gedacht. Dadurch könnte er in wärmeren Perioden mehr als erwartet zum Anstieg des Meeresspiegels vor Millionen von Jahren beigetragen haben.

 

Bisher ging man davon aus, dass der WAIS vor etwa 10 Millionen Jahren relativ klein war und der größere EAIS die Hauptursache für den starken Meeresspiegelanstieg sei – obwohl Eisschildmodelle darauf hindeuten, dass Teile des EAIS auch während der wärmsten Perioden des Miozäns gefroren blieben.

Das Forschungsteam bohrte im Rossmeer in der Antarktis, um Sedimente aus den kältesten und wärmsten Perioden des Miozäns zu bergen. Dr. Gerhard Kuhn, Meeresgeologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Mitautor der Studie hat an den früheren Bohrungen von 2006 bis 2008 teilgenommen, die vom Eis aus erfolgten: „Damals wurden deutliche Hinweise gefunden, dass der WAIS während früherer Warmzeiten zusammenbrach. Die nun nachgewiesene sehr viel größere Ausdehnung des WAIS in den Kaltzeiten führte zusammen mit dem Abtauen größerer Teile des EAIS und des kompletten WAIS in den Warmzeiten zu Meeresspiegelschwankungen von 40 bis 60 Metern zwischen damaligen Warm- und Kaltzeiten.“

In den Bohrkernen fanden die Forschenden Spuren des WAIS weit draußen auf dem Meer, die darauf hindeuten, dass sich der Eisschild während der Kaltzeit bis dorthin ausgedehnt hat, bevor er sich in der Warmzeit wieder zurückzog. „Der Westantarktische Eisschild gilt heute als besonders anfällig für einen raschen Verlust an Eismasse. Unsere Beobachtungen aus der Vergangenheit helfen dabei, Vorhersagen darüber zu treffen, wie er unter verschiedenen zukünftigen Erwärmungsszenarien reagieren wird“, sagt Jim Marschalek, Hauptautor der Studie vom Department of Earth Science and Engineering am Imperial College.

Die neuen Erkenntnisse können Prognosen verbessern, die zeigen, wie die Eisschilde der Antarktis auf Veränderungen sowohl kurzfristig als auch über mehrere hundert bis tausend Jahre hinweg reagieren.

Die Studie verdeutlicht auch, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf die Eisschilde der Antarktis anhalten werden, wenn jetzt keine wesentlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Treibhausgasemissionen ergriffen werden.

Originalpublikation

Marschalek, J.W., Zurli, L., Talarico, F. et al. A large West Antarctic Ice Sheet explains early Neogene sea-level amplitude. Nature 600, 450–455 (2021). DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-021-04148-0