Das Klima an Land scheint viel variabler zu sein als Klimamodelle derzeit simulieren. Grund dafür ist der ozeanische Einfluss, der die Schwankungen der Landtemperatur auf langen Zeitskalen prägt, wie eine neue Studie nahelegt, die Forschende des Alfred-Wegener-Instituts in Potsdam in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht haben. Aus Tausenden von Pollenfunden haben sie erstmals eine Karte erstellt, welche die Stärke regionaler Temperaturschwankungen in den letzten 8000 Jahren zeigt. Sie zeigt: Neben der anthropogenen Erwärmung sind zusätzliche Veränderungen des regionalen Klimas durch natürliche Schwankungen zu erwarten.
Die Erforschung des Klimas der Vergangenheit ist von entscheidender Bedeutung, um zu verstehen, wie es sich im Laufe der Zeit auf natürliche Weise verändert und vor welchem Hintergrund die vom Menschen verursachte globale Erwärmung stattfindet. Um langfristige Temperaturschwankungen aus weit zurückliegenden Zeiten zu untersuchen, werden indirekte Aufzeichnungen vergangener Klimaschwankungen, so genannte „Klima-Proxy Daten“, verwendet. Pflanzen hinterlassen in Seesedimenten Spuren ihrer Anwesenheit in Form von Pollenkörnern, die, wenn sie einmal gesammelt sind, Momentaufnahmen vergangener ökologischer Zusammensetzungen liefern. So können Forschende Vegetationsveränderungen zusammen mit Klimaveränderungen nachvollziehen.
„Tausende von Pollendaten wurden weltweit gesammelt, und wir haben sie in einer einzigen Datenbank zusammengefasst“, erklärt Prof. Ulrike Herzschuh Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Wenn man die langfristige Variabilität über Land untersuchen will, sind Pollendaten unerlässlich. Sie bieten eine umfassende räumliche Abdeckung vergangener terrestrischer Vegetations- und Klimaveränderungen, da sie überall dort zu finden sind, wo Vegetation wächst oder in der Vergangenheit gewachsen ist.“ Hauptautor Dr. Raphaël Hébert und seine Kollegen analysierten diese Datenbank zusammen mit Temperaturmessungen und rekonstruierten, wie stark die regionale Temperatur über Jahre bis Jahrtausende hinweg zeitlich variiert.
„Wenn wir als Grundlage für die natürliche Variabilität die globalen Klimamodelle nehmen, die im Allgemeinen für Zukunftsprognosen verwendet werden, sollten die regionalen Temperaturen über die Zeit sehr stabil sein. Während eines beliebigen Jahrhunderts sollten die Temperaturen innerhalb eines halben Grades schwanken und über ein Jahrtausend in einer Spanne von 0,1 bis 0,3 Grad“, sagt Hébert in Bezug auf das Studiengebiet, das Standorte über dem Land in der nördlichen Hemisphäre umfasst. „Während die Temperatur in Klimamodellen immer kleinere Schwankungen für immer längere Zeiträume aufweist, zeigen unsere pollenbasierten Temperaturrekonstruktionen Temperaturschwankungen von etwa einem Grad Celsius, unabhängig von der Dauer des Mittelungszeitraums. So hat eine typische Jahrhundertschwankung eine ähnliche Größenordnung wie eine Jahrtausendschwankung.“ Dies deute auf die Existenz von Mechanismen hin, welche die langfristige Variabilität antreiben und die in den Klimamodellen fehlen oder nicht angemessen dargestellt werden.
In der Studie wurde nicht nur das mittlere Verhalten charakterisiert, sondern es wurden auch detaillierte Karten der Variabilität auf einer Jahrtausendskala erstellt. Dabei zeigten sich Muster, die eng mit der Ausbreitung des ozeanischen Einflusses im Landesinneren zusammenhängen. „Als wir gesehen hatten, dass die Muster der tausendjährigen Variabilität nicht nur räumlich zusammenhingen, sondern auch einen klaren Zusammenhang mit den unabhängigen modernen Temperaturmessungen zeigen, ahnten wir, dass dies für ein tieferes Verständnis der langfristigen Variabilität ein wichtiger Schritt sein könnte“, erklärt Hébert.
Denn diese Beziehung spricht für eine doppelte Rolle der Ozeane bei der Beeinflussung der Temperaturschwankungen. „Wir wissen, dass das ozeanische Klima im Allgemeinen stabiler ist, zumindest auf jährlichen bis dekadischen Zeitskalen. Überraschend war jedoch, dass dieselben Regionen auf tausendjährigen Zeitskalen die größte Variabilität aufweisen. Der ozeanische Einfluss stabilisiert zwar das kurzfristige Klima, scheint aber der Hauptfaktor für die langfristige Variabilität zu sein.“
Die Studie ergänzt frühere Ergebnisse zu Temperaturvariationen im Ozean von Prof. Thomas Laepple, der eine interdisziplinäre Forschergruppe leitet, die von einem Research Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) speziell zu diesem Thema finanziert wird. Er fügt hinzu: „Aus unserer früheren Studie mit Korallen und Meeressedimenten wussten wir bereits, dass im Ozean große regionale Schwankungen zu erwarten waren, aber dies wurde nie für das Land bestätigt, das man für stabiler hielt. Das bedeutet, dass wir unvorhergesehene Verschiebungen des lokalen Klimas sehen könnten, die möglicherweise bereits im Ozean verborgen sind. Dies vergrößert die Ungewissheit über den Klimawandel im kommenden Jahrhundert, da diese Veränderungen zu der erwarteten globalen Erwärmung hinzukommen.“
Originalpublikation
Hébert, R., Herzschuh, U. & Laepple, T. Millennial-scale climate variability over land overprinted by ocean temperature fluctuations. Nature Geoscience. (2022). https://doi.org/10.1038/s41561-022-01056-4.