Ein internationales Forscherteam unter der Leitung vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und dem Helmholtz Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB) hat mit Hilfe einer neuartigen genetischen Uhr die älteste bisher bekannte Meerespflanze entdeckt. Es handelt sich um einen 1400 Jahre alten Seegras-Klon aus der Ostsee, der aus der Zeit der Völkerwanderung stammt. Das Forschungsprojekt ist ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis und zum Schutz mariner Ökosysteme. Die Studie mit den Ergebnissen erscheint in der Fachzeitschrift Nature Ecology and Evolution.
„Die vegetative Vermehrung als alternative Fortpflanzungsart ist in der Tier-, Pilz- und Pflanzenwelt weit verbreitet“, erklärt Projektleiter Dr. Thorsten Reusch, Professor für Marine Ökologie am GEOMAR. Diese so genannten „klonalen Arten“ produzieren durch Verzweigung oder Knospenbildung genetisch ähnliche Nachkommen und erreichen oft die Größe eines Fußballfeldes oder mehr. Diese Nachkommen sind jedoch genetisch nicht völlig identisch. Forschende aus Kiel, London, Oldenburg und Davis, Kalifornien, nutzten diesen Mutations-Akkumulationsprozess, um daraus eine neuartige molekulare Uhr zu entwickeln, die das Alter eines jeden Klons mit hoher Präzision bestimmen kann. Diese wandten sie auf einen weltweiten Datensatz des weit verbreiteten Seegrases Zostera marina (Großes Seegras) an, der vom Pazifik bis zum Atlantik und Mittelmeer reicht. Besonders in Nordeuropa fand das Team Klone mit einem Alter von mehreren hundert Jahren, vergleichbar mit dem Alter großer Eichen. Der älteste identifizierte Klon war 1402 Jahre alt und stammte aus der Ostsee, aus der Zeit der Völkerwanderung. Dieser Klon erreichte dieses hohe Alter trotz einer rauen und wechselhaften Umwelt.
Diese neuen Schätzungen des Alters und der Langlebigkeit klonaler Arten schließen eine wichtige Wissenslücke. „Solche Daten sind wiederum Voraussetzung, um eines der langjährigen Rätsel der Evolutionsbiologie zu lösen, nämlich warum solche großen Klone trotz variabler und dynamischer Umgebungen überhaupt existieren können“, sagt Thorsten Reusch. Die neu entwickelte Uhr kann auf viele andere Arten angewendet werden, von Korallen über Algen bis hin zu Pflanzen wie Schilf oder Himbeeren. Prof. Iliana Baums, Molekularökologin am HIFMB fügt hinzu: „Wir können diese Ansätze nun auf gefährdete Korallen anwenden, um effektivere Schutzmaßnahmen zu entwickeln, die wir angesichts der beispiellosen Hitzewellen, die die Korallenriffe bedrohen, dringend benötigen.“
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Originalpublikation:
Yu, L., Renton, J., Burian, A. et al. A somatic genetic clock for clonal species. Nat Ecol Evol (2024). DOI: 10.1038/s41559-024-02439-z