05. August 2021
Online-Meldung

Atmosphärenforschung in Deutschland wird deutlich ausgebaut

Nationaler Beitrag zur EU-Forschungsinfrastruktur ACTRIS wird künftig bessere Vorhersagen für Luftqualität, Wetter und Klima ermöglichen
Sicht auf Lidar-System KARL, der deutsch-französischen Forschungsbasis AWIPEV, Ny Alesund Spitzbergen (Foto: Rene Buergi)

Deutschland bekommt eine neue Infrastruktur zur Erforschung von Feinstaubpartikeln, Wolken und Spurengasen. Verteilt auf elf Einrichtungen wird dieser deutsche Beitrag zur EU-Forschungsinfrastruktur ACTRIS künftig bessere Vorhersagen für Luftqualität, Wetter und Klima ermöglichen. Der Aufbau dieser Infrastruktur wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in den kommenden acht Jahren mit insgesamt 86 Millionen Euro gefördert. In ACTRIS-D arbeiten viele Akteur:innen der deutschen Atmosphärenforschung zusammen – darunter Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Behörden. Koordiniert wird der deutsche Teil durch das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig, auch die Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts ist beteiligt. ACTRIS wird Daten zu den kurzlebigen Bestandteilen der Atmosphäre vom Boden bis in die Stratosphäre liefern und so helfen, die Unsicherheiten in der Vorhersage des zukünftigen Klimas zu reduzieren, das Wissen über Klima-Rückkopplungsmechanismen zu verbessern sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität und deren Auswirkungen auf Gesundheit und Ökosysteme zu bewerten.

ACTRIS ist die grundlegende europäische Forschungsinfrastruktur für kurzlebige Atmosphärenbestandteile, die die Erdsystembeobachtung und -forschung ausbaut und der Gesellschaft das Wissen zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen bereitstellt. Das Kürzel ACTRIS steht für Aerosol, Clouds and Trace Gases Research Infrastructure – also eine Forschungsinfrastruktur für Aerosole (u.a. Feinstaubpartikel), Wolken und Spurengase. Diese kurzlebigen Bestandteile der Atmosphäre haben großen Einfluss auf die Luftqualität und das Klima.

Die kurzlebigen Klimatreiber sind in der Regel nur wenige Stunden bis Wochen in der Atmosphäre unterwegs – im Gegensatz zu den langlebigen Treibhausgasen wie Kohlendioxid oder Methan, die viele Jahre bis Jahrzehnte in der Atmosphäre verbleiben. Deshalb ist über die Wirkung der langlebigen Treibhausgase deutlich mehr bekannt als über die kurzlebigen Bestandteile, obwohl auch diese das Klima deutlich beeinflussen. So reflektieren winzige Schwebeteilchen beispielsweise Sonnenlicht und Wärmestrahlung oder dienen als Keime für die Bildung von Wolkentropfen und Eiskristallen, was die Niederschlagsbildung beeinflusst. Der Mensch nimmt durch Landnutzung, Verkehr und Energieerzeugung Einfluss auf die kurzlebigen Klimatreiber, die sehr unterschiedlich wirken können: zum Beispiel tragen Rußpartikel zur Erwärmung bei, Sulfat- und Nitratpartikel wirken dagegen abkühlend. Klar ist, alle diese Faktoren wirken sich auf das Klima aus und müssen in den Vorhersagen berücksichtigt werden. Wie groß die zum Teil sehr unterschiedlichen Effekte aber letztlich jeweils sind, ist noch nicht ausreichend erforscht.

Neben den Wirkungen auf das Klima haben kurzlebige Bestandteile der Atmosphäre auch einen starken Einfluss auf die Luftqualität und damit auf die menschliche Gesundheit. Schwebeteilchen, umgangssprachlich Feinstaub genannt, und kurzlebige Spurengase wie Stickoxide führen zu Erkrankungen der Atemwege und reduzieren die Lebenserwartung aufgrund von Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen.

Die Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf die Atmosphäre vom einzelnen Auto bis hin zu riesigen Waldbränden können jedoch nur dann abgeschätzt werden, wenn Messungen kontinuierlich und großflächig an vielen Punkten erfolgen, denn die Atmosphäre kennt keine nationalen Grenzen. Deshalb wurde 2016 die paneuropäische Initiative ACTRIS auf die europäische Roadmap für Forschungsinfrastrukturen aufgenommen. Ab 2022 soll ACTRIS in der Rechtsform eines ERIC (European Research Infrastructure Consortium) seine langfristige Arbeit starten. Mit der Aufnahme des deutschen Beitrags ACTRIS-D auf die Nationale Roadmap für Forschungsinfrastrukturen hatte sich Deutschland 2019 zur Mitarbeit an der europäischen Forschungsinfrastruktur bekannt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert diese Initiative im Rahmen der Strategie „Forschung für Nachhaltigkeit" (FONA). Das BMBF hat nun die Förderung des Aufbaus von ACTRIS-D mit zunächst insgesamt ca. 75 Millionen Euro begonnen. Mit diesen Mitteln werden in den nächsten fünf Jahren zahlreiche feste und mobile Messstationen sowie Labore und Simulationskammern ausgebaut oder neu errichtet. Eine zweite Förderphase zum vollständigen Aufbau von ACTRIS-D ist für den Zeitraum 2026 bis 2029 geplant. Zusätzlich wird das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) einen wichtigen Beitrag leisten, indem es langfristig den Betrieb von Serviceeinrichtungen wie den ACTRIS-Kalibrierzentren finanziert.

Hintergrund

An ACTRIS beteiligen sich europaweit weit über 100 Forschungseinrichtungen aus 22 Ländern. Sie haben über Europa ein Netz aus mehr als 70 Observatorien gespannt, das durch Stationen in den Polarregionen, den Tropen und in Asien ergänzt wird. Dazu kommen 18 Simulationskammern und Labore in Europa, in denen Prozesse in der Atmosphäre im Experiment nachgestellt werden, sowie 17 mobile Messplattformen, die an unterschiedlichen Standorten eingesetzt werden können. ACTRIS soll einer breiten Nutzergemeinschaft effektiven Zugang zu seinen Daten, Ressourcen und Diensten bieten, um eine qualitativ hochwertige Erdsystemforschung zu ermöglichen. Vom freien und offenen Zugang werden nicht nur der Technologie- und Wissenschaftsstandort Europa, sondern auch Umweltbehörden und Entscheidungsträger und damit letztlich Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa profitieren.

ACTRIS-D-Partner Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI):

Das AWI beteiligt sich an ACTRIS durch den Bau eines scannenden Lidar an der Forschungsstation AWIPEV auf Spitzbergen. Ein Lidar ist dabei ein optisches Verfahren zur Fernmessung. Durch Laufzeitmessung mittels eines gepulsten Lasers lassen sich höhenaufgelöste Profile von Aerosoleigenschaften messen. Das ist wichtig, weil in den Polargebieten durch die im Jahresverlauf niedrige Sonneneinstrahlung und die hohe Oberflächenalbedo Aerosole, die in den niedrigen Breiten abkühlend wirken, die Atmosphäre erwärmen können. Deswegen stellen Aerosole eine wichtige Komponente im arktischen Klimasystem dar, auch wenn ihre Konzentration geringer ist als in Europa.

Aerosole werden in dem Ort Ny-Alesund, in dem sich die AWIPEV Station befindet, auf zwei unterschiedliche Arten gemessen. Im in-situ Verfahren wird Außenluft, die Aerosole enthält, angesaugt und die Aerosole auf Filtern deponiert, von denen sie weiter untersucht werden können (z.B. Trennung in chemische Bestandteile oder Ableitung einer Größenverteilung). Diese in-situ Verfahren sind ziemlich genau, liegen aber nur am Boden vor. Dies ist für eine realistische Abschätzung der Klimawirkung nicht ausreichend. Diese in-situ Messungen werden von unseren Forschungspartnern aus Italien, Schweden, Norwegen und Korea durchgeführt. Weiterhin werden Aerosole vom AWI durch die optische Fernerkundung gemessen, bei der ausgenutzt wird, dass die Aerosole einen Teil des Lichts streuen. Entsprechend gewinnt man aus Lidar-Daten Höhenprofile der optischen Eigenschaften der Aerosole.

Die beiden unterschiedlichen Messverfahren, in-situ und optische Fernerkundung, lassen sich in der Regel nicht einfach vergleichen. Aerosole können ganz unterschiedliche Formen, Größen und chemischen Zusammensetzungen haben. Entsprechend ist der Zusammenhang zwischen den in-situ Daten und den Lidar-Daten hochkomplex. Das neue, scannende Lidar wird die Möglichkeit bieten, die optischen Eigenschaften der Aerosole genau aus dem gleichen Luftvolumen zu bestimmen, aus dem auch die in-situ Messungen gewonnen werden. Damit wird eine Datenbasis geschaffen, die einen systematischen Vergleich zwischen den unterschiedlichen Instrumenten erlaubt. Auch Fragen, wie das Aerosol in der arktischen Grenzschicht vertikal gemischt wird, werden sich mit diesem neuen Lidar beantworten lassen.

Insgesamt soll durch dieses Instrument die Aerosolforschung in Ny-Alesund gebündelt und zusammengefasst werden. Wenn es gelingt, die Lidardaten am Boden durch die in-situ Instrumente zu kalibrieren und dann ein gesichertes Höhenprofil der Aerosolverteilung abzuleiten, können die Forschenden daraus die Klimawirkung der Aerosole genauer erfassen und Klimamodelle testen, die Aerosolparameter enthalten.

 

Beteiligte Forschungseinrichtungen:

• Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), Leipzig (federführend) > https://www.tropos.de/
• Alfred-Wegener-Institut (AWI) – Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung > https://www.awi.de/
• Bergische Universität Wuppertal (BUW) > https://www.uni-wuppertal.de/
• Deutscher Wetterdienst (DWD), Offenbach > https://www.dwd.de/
• Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ) > https://fz-juelich.de/
• Goethe-Universität Frankfurt am Main > https://www.uni-frankfurt.de
• Karlsruher Institut für Technologie (KIT) > https://www.kit.edu/
• Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) > https://www.lmu.de/
• Umweltbundesamt (UBA), Dessau > https://www.umweltbundesamt.de/
• Universität Bremen > https://www.uni-bremen.de
• Universität zu Köln > https://www.uni-koeln.de/

Links

ACTRIS - the European Research Infrastructure for the observation of Aerosol, Clouds, and Trace Gases:
https://www.actris.eu/

Forschung für Nachhaltigkeit (FONA):
https://www.fona.de/de/

BMBF- Roadmap Forschungsinfrastrukturen:
https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/das-wissenschaftssystem/roadmap-fuer-forschungsinfrastrukturen/roadmap-fuer-forschungsinfrastrukturen.html

Kontakt

Pressestelle

Folke Mehrtens
+49(0)471 4831-2007

Links