Die Arktis ist eine Schlüsselregion für globale Umweltveränderungen und sicherheitspolitische Entwicklungen, die auch Deutschland betreffen. Dr. Volker Rachold, Leiter des Arktisbüros am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) erklärt, warum die Bundesregierung angesichts der rasanten Klimaerwärmung und geopolitischer Veränderungen wie dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ihre Arktis-Leitlinien aktualisiert hat. Am 18. Oktober werden diese überarbeiteten Leitlinien auf der Arctic Circle Assembly in Reykjavik vorgestellt, zu denen auch das Arktisbüro beigetragen hat.
Welche Bedeutung hat die Arktis für Deutschland und warum ist es so wichtig, dass die Bundesregierung Leitlinien für diese Region entwickelt?
Veränderungen in der Arktis haben globale Konsequenzen, die sich direkt auf Deutschland auswirken. Die rasante Erwärmung dieser Region beeinflusst unser Wetter und trägt zum Anstieg des Meeresspiegels bei. Gleichzeitig ändert sich das geoökonomische Umfeld, da durch das Tauen des Meereises neue Schifffahrtswege befahrbar und Rohstoffe leichter zugänglich werden. Die größte Veränderung in der Arktis hat sich allerdings durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ergeben.
Die neuen Arktis-Leitlinien heben daher hervor, dass die sicherheitspolitische Bedeutung der Region stark zugenommen hat und dass die Folgen des Krieges die Zusammenarbeit gegen die Klimakrise erschweren. Vor diesem Hintergrund wurden die 2019 veröffentlichten Arktis-Leitlinien aktualisiert. Dabei blieben Umwelt- und Klimaschutz sowie nachhaltige Entwicklung als wesentliche Themen erhalten, aber gerade die Sicherheitspolitik wurde zu einem zentralen Thema.
Was sind die zentralen Ziele?
Mehrere übergeordnete Ziele werden in den neuen Richtlinien verfolgt: Im Mittelpunkt steht die Wahrung von Stabilität und Sicherheit in der Arktis und ein verstärktes sicherheitspolitisches Engagement Deutschlands im Rahmen von NATO und EU. Weiterhin betonen die Leitlinien die Verteidigung der internationalen, regelbasierten Ordnung sowie die Stärkung der Resilienz der Region.
Konsequenter Klima- und Umweltschutz im Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens bildet einen weiteren Schwerpunkt. Der Forschung kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Die Bundesregierung will sicherstellen, dass verantwortungsvolle wissenschaftliche Arbeit als Grundlage für politisches Handeln erhalten und ausgebaut wird.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Leitlinien ist die nachhaltige Entwicklung der Arktis unter Berücksichtigung des Vorsorge- und Verursacherprinzips. Einerseits soll verhindert werden, dass Umweltschäden überhaupt entstehen. Zum anderen soll der Verursacher von Umweltschäden zur Verantwortung gezogen werden. Darüber hinaus betonen die Leitlinien die konsequente Einbeziehung der indigenen Bevölkerung und die Wahrung ihrer Rechte auf Freiheit, Gesundheit und Selbstbestimmung in ihrem Lebensraum.
Welche Erfahrungen aus der Arktisforschung sind in die Leitlinien eingeflossen?
Deutschland ist vor allem durch seine starke Polarforschung ein internationaler Akteur in der Arktis. Die Leitlinien unterstreichen, dass Spitzenforschung der Grundpfeiler des deutschen Engagements in der Arktis ist. Dementsprechend setzt sich die Bundesregierung für freie und verantwortungsvolle Forschung als Grundlage politischer Entscheidungen ein. Von besonderer Bedeutung ist dabei der halbjährlich stattfindende Arktisdialog, der vom Arktisbüro organisiert wird und aktiv zur wissenschaftsbasierten Arktispolitik Deutschlands beiträgt.
Welche Auswirkungen haben die neuen Arktis-Leitlinien auf die Arbeit des AWI in den nächsten Jahren?
Die Bundesregierung stellt darin klar, dass eine Kooperation mit Russland derzeit nicht möglich ist. Stattdessen sollen Forschungskooperationen mit Wertepartnern intensiviert werden, unter anderem durch die geographische Verlagerung von Forschungsvorhaben, die zuvor in oder mit Russland durchgeführt wurden.
In den Leitlinien wird auch darauf hingewiesen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zum Beispiel für die Ausweisung von Schutzgebieten oder die Prüfung der Umweltverträglichkeit des Tiefseebergbaus notwendig sind. Hier setzt sich die Bundesregierung für strenge rechtsverbindliche Regelungen ein.
Darüber hinaus sollen insbesondere die Rechte der indigenen Bevölkerung in die Forschungsaktivitäten einbezogen werden. Besonderer Wert wird auf einen partizipativen Ansatz gelegt, der das Wissen der indigenen Bevölkerung von Anfang an einbindet.
Und auch die Forschung am AWI soll verantwortungsvoll und nach höchsten Umweltstandards durchgeführt werden, was das AWI bereits praktiziert und auch in Zukunft konsequent umsetzen wird.