05. Mai 2021
Online-Meldung

Wie stark wird der Meeresspiegel ansteigen?

Modellrechnungen zeigen: Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5° C halbiert den Beitrag des Landeises zum Meeresspiegel in diesem Jahrhundert
Ein Schmelzwasserbach auf dem Russell-Gletscher in Westgrönland (Foto: Alfred-Wegener-Institut / Coen Hofstede)

Neue wissenschaftliche Ergebnisse einer großen internationalen Gemeinschaft von Forschenden sagen voraus, dass der Anstieg des Meeresspiegels durch das Abschmelzen von Gletschern und Eisschilden in diesem Jahrhundert halbiert werden könnte, wenn wir das Ziel des Pariser Klimaabkommens erreichen, die Erwärmung auf 1,5° C zu begrenzen.

Eine neue Studie in der Fachzeitschrift Nature untersucht den Beitrag des Landeises zum Meeresspiegelanstieg im 21. Jahrhundert. Das Landeis setzt sich aus den Gletschern der Welt und dem grönländischen und antarktischen Eisschild zusammen. Dr. Tamsin Edwards vom King's College London ist Hauptautorin der Studie und arbeitete mit mehr als 80 internationalen Fachleuten zusammen, darunter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).

Die Studie verwendet eine große Anzahl von Computermodellen in Kombination mit statistischen Techniken. Das Forschungsteam trifft damit Vorhersagen für die neuesten sozioökonomischen Szenarien, um den sechsten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zu informieren, der später im Jahr veröffentlicht wird. Die Berechnungen ergänzen eine Nature-Studie vom 28. April 2021 (Hugonnet, R. et al., Nature 592, DOI: 10.1038/s41586-021-03436-z), die anhand von Satellitendaten die Schmelze von Gletschern beschreibt, die großen Eisschilde Grönlands und der Antarktis jedoch nicht betrachtet hat.

Die Forschung sagt für eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5° C voraus, dass die Verluste des grönländischen Eisschildes um 70% und die der Gletscher um die Hälfte reduziert würden, verglichen mit den derzeitigen Emissionszusagen der Staaten für das Pariser Klimaabkommen. Für die Antarktis ist momentan unklar, ob der Schnee, der im kalten Inneren des Eisschildes fällt, den Massenverlust an den Küsten ausgleicht. Daher unterscheiden sich die Vorhersagen für den antarktischen Kontinent nicht für die verschiedenen modellierten Emissionsszenarien.

Erstautorin Dr. Tamsin Edwards, Direktorin des King's Climate Hub, sagte: „Im Vorfeld der Weltklimakonferenz COP26 im November dieses Jahres aktualisieren viele Nationen ihre Zusagen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Rahmen des Pariser Abkommens. Der globale Meeresspiegel wird weiter ansteigen, selbst wenn wir jetzt alle Emissionen stoppen, aber unsere Forschung legt nahe, dass wir den Schaden begrenzen könnten: Wenn die Zusagen weitaus ehrgeiziger wären, würden die zentralen Vorhersagen für den Anstieg des Meeresspiegels durch schmelzendes Eis von 25 cm auf 13 cm im Jahr 2100 reduziert werden.“ Die Wissenschaftlerin ergänzt die statistischen Abweichungen und Unsicherheiten der Modelle: „Die Chance, weniger als 28 cm zu betragen, anstatt des derzeitigen oberen Endes von 40 cm beträgt 95 Prozent. Dies würde einen weniger starken Anstieg der Überschwemmungen an den Küsten bedeuten.“

Gletscher und Eisschilde sind derzeit für etwa die Hälfte des globalen Meeresspiegelanstiegs verantwortlich, die andere Hälfte entsteht durch die physikalische Ausdehnung des Wassers, wenn die Ozeane sich erwärmen. Frühere Vorhersagen mit älteren Emissionsszenarien konnten aufgrund der begrenzten Anzahl von Simulationen die Unsicherheit über die Zukunft nicht so gründlich untersuchen. Die neue, statistisch basierte Studie aktualisiert die Szenarien und kombiniert alle Quellen des Landeises zu einem vollständigeren Bild, das somit die Wahrscheinlichkeit verschiedener Stufen des Meeresspiegelanstiegs vorhersagt.

Für die Studie haben die Forschenden ein größeres und ausgefeilteres Set von Klima- und Eismodellen verwendet als je zuvor. Dies geschah, indem sie fast 900 Simulationen von 38 internationalen Gruppen mit statistischen Techniken kombiniert haben, um das Verständnis der Unsicherheit über die Zukunft zu verbessern. Prof. Angelika Humbert, Dr. Martin Rückamp und Dr. Thomas Kleiner vom AWI steuerten 27 Simulationen von Grönland sowie 21 aus der Antarktis zu der umfassenden Analyse bei. Die Antarktis ist in der Studie „die große Unbekannte“ des Meeresspiegelanstiegs: schwer vorherzusagen und kritisch für das obere Ende der Projektionen. In einem pessimistischen Szenario, in dem die Antarktis sehr empfindlich auf den Klimawandel reagiert, gebe es eine fünfprozentige Chance, dass der Beitrag des Landeises zum Meeresspiegelanstieg 56 cm im Jahr 2100 übersteigt, selbst wenn die Erwärmung auf 1,5°C begrenzt würde, so die Autorinnen und Autoren. Ihre Empfehlung: Das Hochwassermanagement an den Küsten muss flexibel genug sein, um eine große Bandbreite des möglichen Meeresspiegelanstiegs zu berücksichtigen, bis neue Beobachtungen und Modellierungen mehr Klarheit über die Zukunft der Antarktis schaffen können.

Original-Publikation

Edwards, T. et al.: Projected land ice contributions to 21st century sea level rise. Nature (2021), DOI: 10.1038/s41586-021-03302-y

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