21. Juli 2023
Online-Meldung

Mikroplastik hat auch die Arktis längst erreicht

Wie Touristen und Touristinnen dabei helfen, Mikroplastik an arktischen Stränden aufzuspüren
Mikroplastikpartikel (Foto: Svenja Mintenig / Ivo Int-Veen)

Den Grad der Verschmutzung an arktischen Stränden und die Herkunft des Mikroplastiks zu bestimmen, ist bislang schwierig. Forschende baten deshalb Touristinnen und Touristen auf Arktis-Schiffsreisen um Hilfe. An den Stränden Spitzbergens sammelten sie Proben, in denen später Mikroplastik identifizierte werden konnte, das wahrscheinlich von Schiffen und Fischernetzen stammt.

Touristinnen und Touristen haben sich als sogenannte Citizen Scientists (Bürgerwissenschaftler:innen) engagiert und einem Forschungsteam dabei geholfen, Mikroplastik an abgelegenen arktischen Stränden aufzuspüren. Die globale Produktion von Plastik hat dazu geführt, dass winzige Plastikteilchen heute praktisch allgegenwärtig sind. Forschende gehen deshalb davon aus, dass sich Plastik wegen bestimmter Ozeanströmungen in der Arktis akkumuliert und dort die Ökosysteme schädigt. Das Wissen über die wahren Ausmaße dieser Verschmutzung in der Arktis ist jedoch noch sehr begrenzt. Forschende baten deshalb Urlauberinnen und Urlauber darum, während ihrer Arktisreise Proben zu nehmen, damit die Wissenslücke noch schneller gefüllt werden kann.

„Die Plastikverschmutzung ist längst ein globales Phänomen. Plastik findet sich an Land, in Böden und Flüssen auf der ganzen Welt“, sagt Dr. Bruno Walther vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) – Autor der nun im Fachmagazin Frontiers in Environmental Science erschienenen Studie. „Auch in den Ozeanen findet es sich praktisch überall – sogar in den Polarmeeren und den tiefsten Ozeangräben.“

Plastik überall

Die Inselgruppe Spitzbergen ist die nördlichste Landmasse Europas – wunderschön, abgelegen und dennoch auch von Mikroplastik bedroht, das durch Ozeanströmungen hierher transportiert wird. Vier Touristengruppen waren 2016, 2017, 2021 und 2022 vor Ort und sammelten Sedimentproben. Alle Gruppen bis auf 2022 sammelten auch größere Plastikteile (zwischen 2.5 und 10 Zentimetern groß) für eine andere Studie ein. In den ersten Jahren wurden die Proben noch mit einfachen Metall-Utensilien genommen und zusammen mit weiteren Infos (Metadaten, Fotos) der Sammelorte an die Forschenden geschickt. Später wurden komplette Strände mit einem Gitternetz in Felder eingeteilt und systematisch abgesucht und beprobt. 

“Citizen Science ist tatsächlich auch an abgelegenen arktischen Stränden möglich“, sagt Bruno Walther. „Das hilft nicht nur dabei, Reisezeit, CO2-Emissionen und Kosten für Forschende zu senken, sondern auch dabei, Bürgerinnen und Bürger für globale Umweltfragen zu interessieren.“ 

Die Proben wurden später getrocknet, gewogen und analysiert. Jede Probe wurde dabei so gefiltert, dass alle Partikel größer als 1 Millimeter gesammelt wurden. Um jede Verunreinigung der Proben im Labor auszuschließen, nutzten die Forschenden eine Luftreinigungsanlage. Zudem trugen sie Baumwollkittel ohne synthetische Bestandteile und bedeckten die Proben mit Aluminium-Deckeln. So konnten sie ausschließen, dass über die Luft Mikroplastikpartikel in die Proben gelangten. Um dies zur überprüfen, bewahrte das Team im Labor eine große Schale mit gereinigtem Wasser auf, das nach der Filterung keine Kontaminationen zeigte. Die gewählte Partikelgröße von 1 Millimeter und mehr stellte eine zusätzliche Sicherheit dar, weil Plastikfragmente größer als 1 Millimeter in der Regel nicht so leicht über die Luft transportiert werden. Die aus den Proben isolierten Plastikpartikel wurden schließlich unter dem Mikroskop untersucht und spektroskopisch analysiert.

Warnsignale

Die Forschenden konnten feststellen, dass arktische Strände ähnlich stark mit Mikroplastik belastet sind, wie Strände in den dicht besiedelten Regionen in unseren Breiten. Dabei stammten die Partikel vor allem aus zwei Quellen: Polypropylen-Fasern, die mit großer Wahrscheinlichkeit einmal Bestandteil von Fischnetzen waren, und Polyester-Epoxid-Partikel, die vermutlich aus der Beschichtung von Schiffsrümpfen und anderem Schiffsequipment stammen.

“Plastikmüll aus der Fischerei ist der direkteste Weg von Plastik in den Ozean und spielt besonders in abgelegenen Regionen eine große Rolle“, sagt Autorin Dr. Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut. „In den Gewässern um Spitzbergen ist eine Fischereiflotte aktiv, die auch in der Nordsee und im Nordatlantik operiert. Ein Teil des Mülls, der dort über Bord geht oder sonst wie verloren wird, driftet an die Strände Spitzbergens.“

Die verlorenen Fischernetze scheinen dabei angesichts der harschen Umweltbedingungen sehr schnell in kleine Teile fragmentiert zu sein – etwa durch wiederholte Gefriervorgänge, hohe Luftfeuchtigkeit bei Nebel and einer Sonneneinstrahlung von bis zu 24 Stunden pro Tag im Sommer. Bei diesem Prozess können so relativ schnell auch flüchtige Mikroplastikpartikel in die Umwelt gelangen.

„In der Arktis brauchen wir noch deutlich mehr Beprobungskampagnen, an mehr Orten und in regelmäßigen Zeitintervallen“, sagt Bruno Walther. „Nur so können wir die Situation als Ganzes einschätzen und überwachen.“

“Bei unserer Studie muss beachtet werden, dass wir nur Mikroplastikpartikel größer als 1 Millimeter analysiert haben“, gibt Melanie Bergmann zu Bedenken. „Grund dafür war zum einen der Citizen Science Ansatz sowie die Tatsache, dass wir so Kontaminationen über die Luft vermeiden konnten. Unsere früheren Studien zeigen aber, dass in arktischem Wasser, im Eis und in den Sedimenten mehr als 80 Prozent der Partikel kleiner als 1 Millimeter waren. Daher ist anzunehmen, dass auch in den nun analysierten Proben die wahre Menge der Mikroplastikpartikel noch deutlich höher ist.“

 

Originalpublikation:

Pasolini F, Walther BA and Bergmann M (2023), Citizen scientists reveal small but concentrated amounts of fragmented microplastic on Arctic beaches. Front. Environ. Sci. 11:1210019. doi: 10.3389/fenvs.2023.1210019

Kontakt

Wissenschaft

Bruno Andreas Walther
+49(471)4831-1727

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