23. September 2024
Online-Meldung

Düstere Aussichten für den antarktischen Thwaites-Gletscher

Vibroseis-Messungen auf dem Thwaites-Gletscher (Foto: Ole Zeising)

Vergangene Woche stellten Forschende in Cambridge einen neuen wissenschaftlichen Bericht zu antarktischen Thwaites-Gletscher vor. Er fasst die Ergebnisse einer ehrgeizigen internationalen Zusammenarbeit zur Untersuchung des bedrohlichsten Gletschers der Antarktis zusammen. Ein großes Gebiet des antarktischen Eisschilds zieht sich weiter zurück, während ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Alfred-Wegener-Instituts neue Erkenntnisse darüber veröffentlicht, wie und wann es möglicherweise zu einem beschleunigten Kollaps kommen könnte.

Seit 2018 untersuchen die Forschende die komplexe und sich rasch verändernde Umgebung des abgelegenen Thwaites-Gletschers in der Westantarktis. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Großbritannien, den USA, Deutschland und Schweden trafen sich vergangene Woche (16. bis 20. September) beim British Antarctic Survey (BAS) in Cambridge, um ihre Beobachtungen und Studienergebnisse zu diskutieren. Vor Beginn des Projekts, das den Namen International Thwaites Glacier Collaboration (ITGC) trägt, war wenig über die Mechanismen bekannt, die den Rückzug dieses riesigen Gletschers steuern – eines der größten und sich am schnellsten verändernden Gletscher der Welt. Sollte der Gletscher vollständig kollabieren, würde der Meeresspiegel um 65 Zentimeter ansteigen.

Der Thwaites-Gletscher erstreckt sich über eine Fläche, die der Größe von Großbritannien oder dem US-Bundesstaat Florida entspricht, und ist an einigen Stellen über 2000 Meter dick. Das Volumen des Eises, das vom Thwaites-Gletscher und seinen benachbarten Gletschern ins Meer fließt, hat sich von den 1990er- bis zu den 2010er-Jahren mehr als verdoppelt, und die gesamte Region, die als Amundsensee-Becken bezeichnet wird, trägt 8 % zum derzeitigen globalen Meeresspiegelanstieg von 4,6 Millimetern pro Jahr bei. Ziel der ITGC ist es, die entscheidenden physikalischen Prozesse zu verstehen, die den Gletscher im aktuellen Klima und in den letzten Jahrtausenden beeinflusst haben, und eine verlässlichere Vorhersage darüber zu treffen, wie sich der Gletscher in Zukunft verändern wird und warum.

„Der Thwaites zieht sich seit mehr als 80 Jahren zurück, wobei sich dieser Prozess in den letzten 30 Jahren erheblich beschleunigt hat. Unsere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass er sich weiter und schneller zurückziehen wird“, erklärt Dr. Rob Larter von der Wissenschaftlichen Koordination der ITGC und Meeresgeophysiker am BAS. Die Arbeit der ITGC zielt darauf ab, die Geschwindigkeit und das Ausmaß des weiteren Meeresspiegelanstiegs vorherzusagen, der enorme Auswirkungen auf Hunderte Millionen Menschen in Küstengebieten haben wird – von Bangladesch bis zu den pazifischen Inseln, von New York bis London. „Es besteht Einigkeit darüber, dass sich der Rückzug des Thwaites-Gletschers innerhalb des nächsten Jahrhunderts beschleunigen wird. Es gibt jedoch auch Bedenken, dass durch jüngste Studien aufgedeckte zusätzliche Prozesse, die noch nicht ausreichend erforscht sind, um in groß angelegte Modelle einbezogen zu werden, den Rückzug früher beschleunigen könnten.“

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Thwaites-Gletscher und große Teile des westantarktischen Eisschilds bis zum 23. Jahrhundert verloren gehen könnten. Der Gletscher ist besonders anfällig, da sein Eis auf einem Bett liegt, das weit unter dem Meeresspiegel liegt und zum Inneren der Westantarktis hin abfällt. Mit fortschrittlicher Technologie wie Unterwasserrobotern, neuen Vermessungstechniken auf und über dem Eis und innovativen Ansätzen zur Modellierung des Eisflusses und der Eisfrakturen hat das Wissenschaftsteam neue Einblicke in diese Prozesse gewonnen. Dies hat die Leistung der Vorhersagemodelle verbessert, aber es gibt noch viel, das über die Zukunft des Gletschers verstanden werden muss.

Fachleute aus Wisseschaft und Technik des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zetrum für Polar- und Meeresforschung (AW) waren in den letzten beiden Feldsaisons jeweils mehrere Monate auf dem Thwaites-Gletscher unterwegs und haben mit einem einzigartigen seismischen Messystem des AWI Daten von der Unterseite des Eises erhoben, die Aufschlüsse über die Zusammensetzung des Gletscherbettes liefern sollen. „Wir konnten zeigen, dass die Eigenschaften des Untergrunds über hunderte von Kilometern sehr abwechslungsreich sind. Hartes, rauhes Gestein wechselt sich mit alten Sedimenten und wassergefülltem weichen Material ab,“ sagt Olaf Eisen, Professor für Glaziologie am AWI und der Universität Bremen und deutscher Projektleiter. „Im Rahmen der ITGC konnte aber auch mittels Computermodellen nachgewiesen werden, dass genau diese Mischung von Materialien unter dem Gletscher einen schnelleren Rückzug wahrscheinlicher macht, als wenn der Untergrund nur aus weichem oder nur aus hartem Material bestünde, eine Erkenntnis, die für alle Vorhersagen des Meeresspiegelanstiegs von großer Bedeutung sind.“ 

Der gewaltige Thwaites-Gletscher, der etwa 120 Kilometer breit ist, ist der größte Gletscher der Welt. Er ist auch ein Schlüsselstück des westantarktischen Eisschilds, von dem große Teile auf einem Bett unterhalb des Meeresspiegels liegen und bei vollständigem Schmelzen den Meeresspiegel um 3,3 Meter ansteigen lassen würden. „Es ist besorgniserregend, dass die neuesten Computermodelle einen fortlaufenden Eisverlust vorhersagen, der sich im Laufe des 22. Jahrhunderts beschleunigen und im 23. Jahrhundert zum großflächigen Kollaps des westantarktischen Eisschilds führen könnte“, sagt Dr. Ted Scambos, US-Wissenschaftskoordinator der ITGC und Glaziologe an der Universität von Colorado. Er fügt hinzu: „Sofortige und nachhaltige Maßnahmen gegen den Klimawandel werden positive Auswirkungen haben, aber erst verzögert, insbesondere bei der Abschwächung des Zustroms von warmem Tiefenwasser, das den Rückzug maßgeblich vorantreibt.“

Die Logistik der ITGC wird hauptsächlich von der US-amerikanischen National Science Foundation und dem britischen Natural Environment Research Council finanziert, mit internationaler Zusammenarbeit von Deutschland, Schweden und der Republik Korea.

Der Originaltext stammt vom British Antarctic Survey.

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