Bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird der Permafrostboden in der sich rasch erwärmenden Arktis wahrscheinlich so viel Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre emittieren wie eine große Industrienation. Dieses „Land des Permafrosts“ hat dann möglicherweise sogar mehr der Treibhausgase emittiert als die USA seit Beginn der industriellen Revolution. Das ist eines der Ergebnisse einer internationalen Studie unter Beteiligung des Alfred-Wegener-Instituts, die jetzt in der Zeitschrift Annual Review of Environment and Resources veröffentlicht wurde.
Aber das ist nur eine mögliche Zukunft für die riesigen Kohlenstoffvorräte, die in den ehemals ewig gefrorenen, jetzt aber auftauenden Böden der Arktis gebunden sind. Die neue Studie unter der Leitung der Northern Arizona University und des internationalen Permafrost Carbon Network, prognostiziert auf der Grundlage von mehr als einem Jahrzehnt wissenschaftlicher Untersuchungen und regionaler Modelle die kumulativen Emissionen aus diesem "Land des Permafrosts" bis zum Jahr 2100 unter Berücksichtigung niedriger, mittlerer und hoher Erwärmungsszenarien.
„Wir hoffen, dass diese Prognosen über die künftigen Kohlenstoffemissionen der Arktis nicht nur das wissenschaftliche Bild aktualisieren, sondern auch als neue Orientierungshilfe für politische Entscheidungsträger dienen, die sich für die Stabilisierung des Klimas und die Vermeidung der Überschreitung von Temperaturzielen einsetzen“, sagte Ted Schuur, Regents' Professor im Fachbereich Biologie und im Center for Ecosystem Science and Society an der NAU und Hauptautor der Studie.
Das Team schätzt, dass der Permafrost in einem Szenario mit geringer Erwärmung - das erreicht werden könnte, wenn die Weltgemeinschaft die Erwärmung durch die Verringerung der Emissionen fossiler Brennstoffe auf 2 °C oder weniger begrenzt - bis zum Ende des Jahrhunderts 55 Petagramm (Pg) Kohlenstoff (C) in Kohlendioxid-Äquivalenten (C-CO2) freisetzen würde, die in Form der Treibhausgase Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4) in die Atmosphäre entweichen. Wenn nichts zur Eindämmung der Klimaerwärmung unternommen wird, könnte die Arktis der Studie zufolge bis zum Ende des Jahrhunderts 232 Pg C-CO2, also die vierfache Menge in der Form von CO2 und CH4, freisetzen.
Die Projektionen des Teams gehen über frühere internationale Prognosen hinaus, da sie die hydrologische und biogeochemische Dynamik und die für die Permafrostzone typischen lokalen Kipppunkte berücksichtigen. So beobachten Forschende in vielen Permafrostregionen ein abruptes Auftauen, bei dem das rasche Schmelzen des Bodeneises im Permafrost die Landoberfläche zum Einsinken bringt und Seen oder andere Veränderungen der Oberflächenhydrologie entstehen. Sobald der ehemals gefrorene Boden erodiert oder nachgibt, kann der dort gespeicherte Kohlenstoff über mikrobielle Zersetzung als Kohlendioxid oder Methan in die Atmosphäre gelangen. Solche raschen, nicht-linearen Prozesse verändern schnell und dauerhaft die Fähigkeit des Permafrosts, Kohlenstoff zu speichern, und könnten große Teile der arktischen Region von Kohlenstoffsenken zu Kohlenstoffquellen werden lassen. Jüngste Schätzungen gehen davon aus, dass ein Fünftel des derzeitigen Permafrostgebiets durch abruptes Auftauen gefährdet ist.
„Sobald die Kohlenstoffemissionen aus Permafrostböden als Reaktion auf die Klimaerwärmung zunehmen, wie einige Modelle vorhersagen, werden wir diesen Prozess nicht mehr aufhalten können“, so Roisin Commane, Assistenzprofessorin für Erd- und Umweltwissenschaften an der Columbia University und Mitautorin der neuen Studie. „Wir müssen unsere Emissionen aus fossilen Brennstoffen möglicherweise viel früher reduzieren, als derzeit von vielen Regierungen geplant, um zu vermeiden, dass wir mögliche Kipppunkte im Erdklima auslösen.“
Das Potenzial, sowohl regionale als auch systemweite Kipppunkte zu überschreiten, ist ein Grund dafür, dass die Geschichte des arktischen Kohlenstoffs und seiner zukünftigen Sicherheit nur teilweise geschrieben ist. Die neue Studie schildert neun verschiedene Zukunftsszenarien für die Emissionen aus der Permafrostregion, die davon abhängen, wie die Klimaerwärmung voranschreitet und welche Maßnahmen die führenden Politiker der Welt ergreifen, um die Emissionen fossiler Brennstoffe zu reduzieren.
„Permafrost-Emissionen werden einen großen und wesentlichen Beitrag zu den atmosphärischen Treibhausgasen leisten, unabhängig davon, welches der möglichen Szenarien Realität wird“, sagte Guido Grosse, Leiter der Permafrostforschung am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Potsdam und Mitautor der Studie. „Aber es wird große Unterschiede zwischen den einzelnen Szenarien geben, die sich auf das globale Kohlenstoffbudget insgesamt auswirken. Die Eindämmung der vom Menschen verursachten Emissionen wird dazu beitragen, dass der Permafrost einen geringeren Beitrag zur globalen Klimaerwärmung leistet, während ein ‚Weiter so‘ garantieren wird, dass das ‚Land des Permafrosts‘ eine beträchtliche Rolle bei der Erwärmung spielt und eine höhere Hürde für die Bemühungen zur Eindämmung darstellt.
Da die Arktis nicht von einem Staat reguliert wird und ihre Abgeschiedenheit eine umfassende Überwachung des Geländes erschwert, betonen die Autorinnen und Autoren, dass internationale Bemühungen zur Emissionsreduzierung dieses „Lands des Permafrosts“ bei künftigen Klimazielen und Maßnahmen berücksichtigen müssen, da sonst die gesteckten Emissionsziele nicht erreichbar sind. Die Studie unterstreicht auch, wie wichtig es ist, diese sich schnell verändernde Region mithilfe von Kooperationsnetzwerken wie dem Permafrost Carbon Network und wissenschaftlichen Instrumenten wie der Fernerkundung zu überwachen.
„Fernerkundung kann uns wirklich dabei helfen, zu sehen und zu verfolgen, was mit dem Permafrost physikalisch geschieht“, so Commane. „Hochauflösende Sensoren können Anzeichen für den Zusammenbruch von Thermokarstböden erkennen, wie sich Wasserkörper verändern und sogar wie nass oder gefroren die Böden sind. Aber Satelliten, die uns sagen, wie viel Kohlenstoff aus dem Permafrost in die Atmosphäre gelangt, sind bisher begrenzt, und die Raumfahrtbehörden müssen so bald wie möglich in diese Fähigkeiten investieren.“
Laut Schuur sieht sein Forschungsteam auch vor Ort Anzeichen für rasche Veränderungen. „Die Veränderungen, die wir in der Praxis beobachten, zeigen, wie dringend notwendig es ist, die Emissionen zu begrenzen und den Permafrostkohlenstoff im Boden zu halten. In diesem Sommer haben wir an meinem Studienstandort in Eight Mile Lake, Alaska, nach einem Winter mit Rekordschneefällen ein weit verbreitetes Auftauen des Permafrostbodens und einen Kohlenstoffverlust beobachtet, der viermal so hoch war wie im Durchschnitt der letzten Jahrzehnte“, sagte er. „Diese Beobachtungen stimmen mit den vorhergesagten Kipppunkten bei Permafrost und Kohlenstoff überein, die wir erwarten, wenn die vom Menschen verursachten Emissionen aus anderen Teilen der Erde die Arktis rasch erwärmen.“
Die Studie wurde von einem internationalen Team von Forschenden der NAU, des Alfred-Wegener-Instituts, der Columbia University, der Brigham Young University, der University of New Hampshire, der University of Alaska - Fairbanks, der Stockholm University, des U.S. Geological Survey, des Lawrence Berkeley National Laboratory, des National Center for Atmospheric Research, der Colgate University, der University of Texas - El Paso, der University of Alberta, des Woodwell Climate Research Center, des Oak Ridge National Laboratory und der University of Colorado - Boulder verfasst. Die Synthesearbeit des Permafrost Carbon Network wird durch einen Zuschuss der National Science Foundation unterstützt.
Das Original dieser Meldung gibt es auf dieser Seite der Northern Arizona University.
Originalpublikation:
Edward A.G. Schuur, Benjamin W. Abbott, Roisin Commane, Jessica Ernakovich, Eugenie Euskirchen, Gustaf Hugelius, Guido Grosse, Miriam Jones, Charlie Koven, Victor Leshyk, David Lawrence, Michael M. Loranty, Marguerite Mauritz, David Olefeldt, Susan Natali, Heidi Rodenhizer, Verity Salmon, Christina Schädel, Jens Strauss, Claire Treat, and Merritt Turetsky: Permafrost and Climate Change: Carbon Cycle Feedbacks From the Warming Arctic, Annual Review of Environment and Resources (2022). DOI: https://doi.org/10.1146/annurev-environ-012220-011847