25. November 2021
Online-Meldung

Die Erwärmung des Arktischen Ozeans begann Jahrzehnte früher als bisher bekannt

Temperatur und Salzgehalt steigen bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts
Polarstern-Expedition ARK-XXVII/1 (Foto: Sebastian Menze, Alfred-Wegener-Institut)

Der Arktische Ozean ist bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts immer wärmer geworden – einige Jahrzehnte früher als bisher durch instrumentelle Messungen belegt. Diese Erwärmung wurde durch warmes atlantisches Wasser hervorgerufen, das nordwärts in das empfindliche Ökosystem des Arktischen Ozeans vordringt. Eine internationale Gruppe von Forschenden unter Beteiligung des Alfred-Wegener-Instituts konnte nun die jüngste Entwicklung der arktischen Ozeanerwärmung in der Framstraße, der Verbindung zwischen Atlantik und Arktischem Ozean, durch die Analyse eines Sedimentkerns rekonstruieren. Ihre Ergebnisse publizieren sie jetzt in der Fachzeitschrift Science Advances.

Alle Weltmeere erwärmen sich unter den Bedingungen das gegenwärtigen Klimawandels, aber im Arktischen Ozean - dem kleinsten und flachsten Ozean auf der Erde - steigen die Temperaturen noch schneller als alle anderen Regionen. Die Rate des Temperaturanstiegs ist mehr als doppelt so hoch wie im globalen Mittel, und dies wird auf diverse Rückkopplungsmechanismen zurückgeführt. Die Atlantifizierung ist einer der Gründe für die Erwärmung der Arktis, und das Phänomen ist für die letzten 20 bis 40 Jahre sehr gut beschrieben, weil für diesen Zeitraum Satelliten-Daten zur Verfügung stehen.

In der aktuellen Studie konnten die Forschenden anhand von biologischen und geochemischen Signalen in einem marinen Sedimentkern jetzt nachweisen, dass die Arktis zu Beginn des letzten Jahrhunderts plötzlich wärmer wurde, als warme und salzreiche atlantische Wassermassen verstärkt in die Arktis zu fließen begannen. Dieses Phänomen wird „Atlantifizierung“ genannt, und die nun entdeckte Verstärkung fand deutlich früher statt als bisher angenommen und durch instrumentelle Daten belegt werden konnte: Seit dem Jahr 1900 stieg die Ozeantemperatur um ganze zwei Grad Celsius, während sich das Meereis zurückzog und der Salzgehalt anstieg.

Ozeanerwärmung in der Arktis führt zum Rückgang des Meereises und zum Schmelzen der Eismassen an Land; letzteres lässt den Meeresspiegel ansteigen. Die neuen offenen Ozeanregionen nehmen einen größeren Teil der Sonnenwärme auf und setzen Wärme frei, was zur Erhöhung der Lufttemperaturen führt.

Für die nun im Fachmagazin Science Advances publizierte Studie hat das internationale Forschungsteam unter Leitung von Dr. Tommaso Tesi vom italienischen Polarforschungsinstitut geochemische und ökologische Daten erhoben, um Veränderungen in Wassertemperatur, Salinität und Meereisausdehnung innerhalb der letzten 800 Jahre zu rekonstruieren. Die Sedimente wurde mit einer Kombination verschiedener Methoden genauestens datiert und nach Anzeichen der Atlantifizierung untersucht, insbesondere im Hinblick auf Temperatur- und Salzgehaltsveränderungen. Beide Parameter blieben während der letzten acht Jahrhunderte weitgehend konstant; zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch begann eine plötzliche und sehr deutliche Veränderung hin zu höheren Temperaturen und Salzgehalten. Diese neuen Daten stellen die heutigen Beobachtungen der Atlantifizierung in den historischen Kontext und deuten darauf hin, dass die Verbindung zwischen Arktis und Nordatlantik stärker ist als bisher vermutet.

Ein Vergleich mit Zeitreihen zur Ozeanzirkulation im Nordatlantik zeigt, dass möglicherweise eine Verlangsamung der Tiefenwasserbildung vermehrt warme subpolare Wassermassen in den nördlichen Nordatlantik fließen lässt. Eine weitere Verlangsamung der Tiefenwasserbildung des Atlantiks als Konsequenz von vermehrtem Schmelzwassereintrag aus Grönland wird für die nähere Zukunft vorhergesagt. Die Ergebnisse dieser Studie legen daher nahe, dass auch mit einer weiter fortschreitenden Atlantifizierung der Arktis zu rechnen ist.

Bisherige Klimamodelle zeigen noch keine Anzeichen für den frühen Beginn der Atlantifizierung. Um dies zukünftig abbilden zu können, ist ein besseres Verständnis nötig, welche Mechanismen zur Atlantifizierung führen, denn so lassen sich verlässlichere Klimavorhersagen treffen. Die Verbindung zwischen Nordatlantik und Arktischem Ozean hat starke Auswirkungen auf die Meereisausdehnung und den globalen Meeresspiegel als Folge schmelzender Landeismassen.

Die hier vorgelegte Studie ist ein Kooperationsprojekt von Forschenden des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) mit Kolleginnen und Kollegen des italienischen Polarfoschungsinstituts (CNR-ISP). Seit Oktober 2021 fördert die Helmholtz-Gemeinschaft ein „European Partnering Project“ zwischen AWI und ISP mit dem Ziel, die Zusammenarbeit beider Institute auf dem Gebiet der Paläoklimaforschung sowie in anderen Disziplinen der Polarforschung noch weiter zu fördern.

Originalpublikation

Tesi. T., F. Muschitiello, G. Mollenhauer, S. Miserocchi, L. Langone, C. Ceccarelli,  G. Panieri, J. Chiggiato, A. Nogarotto, J. Hefter, G. Ingrosso, F. Giglio, P. Giordano, L. Capotondi: ‘Rapid Atlantification along the Fram Strait at the beginning of the 20th century.’ Science Advances (2021). DOI: 10.1126/sciadv.abj2946

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Wissenschaft

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