05. Juni 2024
Pressemitteilung

25 Jahre Tiefseeobservatorium AWI-HAUSGARTEN

Forschungsschiff Polarstern startet zu Jubiläums-Expedition in die Arktis
Blick auf die Polarstern (Foto: Mario Hoppmann)

Seit 25 Jahren betreibt das Alfred-Wegener-Institut in der arktischen Tiefsee ein Langzeit-Observatorium: den HAUSGARTEN. Zwischen Grönland und Spitzbergen untersuchen Forschende hier die natürlichen und durch den Klimawandel erzeugten Veränderungen in einem polaren, marinen Ökosystem – von der Meeresoberfläche bis zum Meeresboden in 5500 Metern Tiefe. Viele der Stationen befinden sich unter dem Meereis und die autonomen Systeme messen ganzjährig, also auch dann, wenn niemand vor Ort ist. 

Einen Hausgarten, der vor den kritischen Blicken der Nachbarschaft geschützt ist, wünschen sich vermutlich viele Menschen. Dass die Schönheit des Gartens nur mit aufwändiger Technik sichtbar wird, ist die Herausforderung, der man sich stellen muss, wenn die arktische Tiefsee der Sehnsuchtsort ist. Eben dieser Aufgabe nahmen sich vor 25 Jahren Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) an. Sie errichteten ein Observatorium in der Meerespassage zwischen Grönland und Spitzbergen, das seitdem HAUSGARTEN heißt. Ende der Woche startet das Forschungsschiff Polarstern die nächste Expedition dorthin. 

„Wir hatten im Jahr 1999 während einer Polarstern-Expedition den Tiefseeroboter Victor 6000 des Ifremer (Institut Francaise de Recherche pour l´Exploitation de la Mer) mit an Bord, mit dessen Hilfe wir den Meeresboden kartieren und den Standort für die heutige zentrale Station auswählen konnten,“ erinnern sich die AWI-Biologen Dr. Thomas Soltwedel und Dr. Michael Klages an die Anfänge. „Auf einer Fahrt zu den Kooperationspartnern nach Frankreich kamen wir auf den Namen HAUSGARTEN, der unterstreichen sollte, dass es uns um einen langfristig angelegten Forschungsplan handelt.“ Dass seitdem Biologen, Ozeanografinnen, Geochemiker oder Technikerinnen jährlich zu „Gartenarbeiten“ aufbrechen zeigt, wie gut ihre Namenswahl war. 

Im Expeditionsbericht der Polarstern-Expedition ARK-XV/1 aus dem Jahr 1999 ist folgendes nachzulesen: „Im Rahmen der projektierten Etablierung einer Tiefsee-Langzeitstation im tiefen Arktischen Ozean soll auf den ersten beiden Stationen primär eine großflächige Foto/Video-Observation durchgeführt werden. Darüber hinaus soll das ROV genutzt werden, um gezielt Organismen und Sedimentproben aufzusammeln. Wissenschaftlicher Hintergrund für die geplanten multidisziplinären Untersuchungen ist die Erfassung von saisonalen und interannuellen Variationen physikalischer, geologischer/geochemischer und biologischer Gradienten auf verschiedenen zeitlichen und örtlichen Skalen.“ 

Im Laufe der Zeit wurden 21 Stationen in Tiefen zwischen 250 und 5500 Metern etabliert, die die Polarstern regelmäßig ansteuert. Heute ist der HAUSGARTEN auch Teil der FRAM-Infrastruktur, die Daten zur Erdsystemdynamik, der Klimavariabilität und damit verbundener Veränderungen im marinen Ökosystem zur Verfügung stellt. Ganzjährig erfassen autonome Messgeräte auch unter dem Meereis wichtige Daten wie Temperatur, Salzgehalt und Strömung, aber auch die Aktivität von Mikroorganismen, Plankton und Benthos. Von Beginn an spielte der Export organischen Materials von der Wasseroberfläche in die Tiefsee eine wichtige Rolle. Die dortigen Lebewesen sind auf herabsinkende Nahrung angewiesen, da kein Licht in die Tiefsee vordringt, das Pflanzenwachstum durch Fotosynthese und damit Primärproduktion erlauben würde. Die zentrale HAUSGARTEN-Station in 2500 Metern Wassertiefe in der östlichen Framstraße dient als Versuchsgebiet für einzigartige biologische In-situ-Experimente am Meeresboden, bei denen verschiedene Szenarien unter wechselnden Umweltbedingungen simuliert werden. 

Ozeane gehören zu den größten Kohlenstoffsenken unseres Planeten. Dazu trägt auch die biologische Kohlenstoffpumpe bei: Dicht unter der Wasseroberfläche nehmen Mikroorganismen wie Bakterien oder Phytoplankton Kohlendioxid aus der Atmosphäre durch Fotosynthese auf. Sinken sie auf den Meeresboden, kann dieser den enthaltenen Kohlenstoff für mehrere tausend Jahre speichern. Wie Schmelzwasser aus driftendem Meereis die Effektivität der biologischen Kohlenstoffpumpe verändert und wann Kohlenstoff aus der Atmosphäre aufgenommen und gespeichert wird, entschlüsselten AWI-Forschende anhand von Daten aus dem HAUSGARTEN.

Eine weitere Studie untersuchte die Beziehungen zwischen Biodiversität und Ökosystemfunktionen sowie ihre Verbindung zu Umweltfaktoren anhand der Analyse biologischer Merkmale von Meeresboden-Gemeinschaften, dem sogenannten Benthos. Insgesamt folgte die funktionelle Struktur der Lebensgemeinschaften in der Framstraße einem von der Nahrungsverfügbarkeit abhängigen Gradienten und die Forschenden schlossen: „Ausgehend von der Beziehung zwischen Meereis, Primärproduktion im Oberflächenwasser und Nahrungsverfügbarkeit am Meeresboden deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass das Benthos empfindlich auf die vorhergesagten anthropogenen Umweltschwankungen in den Polarregionen reagiert. Es ist zu erwarten, dass sich die Funktionen des benthischen Ökosystems ändern, wenn sich die Umweltbedingungen ändern.“ 

Außerdem sind atlantische Einflüsse auf den Arktischen Ozean im Fokus der Wissenschaft, denn die Arktis erwärmt sich im Zuge des Klimawandels viel stärker als andere Regionen. Polare Zooplanktonarten müssen mit steigenden Wassertemperaturen zurechtkommen, während sie gleichzeitig einer zunehmenden Konkurrenz durch boreal-atlantische Schwesterarten ausgesetzt sind, die durch einen stärkeren atlantischen Zustrom in den Arktischen Ozean gelangen. Temperaturexperimente an Bord der Polarstern auf HAUSGARTEN-Expeditionen zeigten, dass einige arktische Kleinkrebsarten (Copepoden) physiologisch toleranter gegenüber der Erwärmung der Ozeane sind als erwartet. Jedoch könnten sie in Gebieten mit starker Überlappung der Verbreitungsgebiete von ihren atlantischen Verwandten ab einer bestimmten Temperaturschwelle verdrängt werden. Die „Atlantifzierung“ der arktischen Zooplankton-Gemeinschaft scheint also mehr durch ökologische Wechselwirkungen als durch physiologische Einschränkungen bedingt zu sein.

Auch die Erforschung von Müll im Meer spielt mittlerweile schon seit über zehn Jahren eine wichtige Rolle. So filmt und fotografiert das am AWI entwickelte Ozeanboden-Beobachtungssystem OFOBS regelmäßig den Meeresboden. Die Auswertungen des Bildmaterials zeigen, dass sich menschliche Hinterlassenschaften in steigendem Maße sogar bis in die arktische Tiefsee nachweisen lassen. 

Die Polarstern verlässt ihren Heimathafen Bremerhaven voraussichtlich am Freitag, den 7. Juni 2024, in den frühen Morgenstunden. Zwei jeweils etwa vierwöchige Expeditionen in den HAUSGARTEN werden von einem Hafenanlauf im norwegischen Tromsø unterbrochen, wo es einen Teamwechsel gibt. Anfang August fährt der Eisbrecher dann in die Zentralarktis und wird Mitte Oktober in Bremerhaven zurückerwartet. 

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