25. Januar 2019
Pressemitteilung

Tiefenbohrungen sollen Klarheit über die Stabilität des Antarktischen Eisschildes bringen

AWI-Geowissenschaftler leiten internationale IODP-Schiffsexpeditionen in das Südpolarmeer
Pine Island Gletscher (Foto: Thomas Ronge)

Geophysiker und Geologen des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung werden in den kommenden Monaten im Rahmen des International Ocean Discovery Program (IODP) einmalige Einblicke in die Klimageschichte der Antarktischen Eisschilde erhalten. Die Wissenschaftler nehmen an drei Antarktis-Expeditionen des IODP-Bohrschiffes „JOIDES Resolution“ teil und werden zwei der Fahrtabschnitte selbst leiten. Bei den Bohrungen suchen die Forscher nach Hinweisen darauf, wie die Eismassen der Antarktis in zurückliegenden Warmzeiten auf Temperatursprünge reagiert haben. Diese Informationen werden dringend benötigt, um den zukünftigen Anstieg des Meeresspiegels genauer vorhersagen zu können. Bei dessen Berechnung gilt das Verhalten der Antarktischen Eisschilde immer noch als große Unbekannte.

Wie werden die Eismassen der Antarktis auf den Klimawandel reagieren und zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen? Auf diese Frage haben Klimaforscher bislang noch keine hinreichende Antwort, denn es fehlen Informationen darüber, wie sich die Eisschilde in zurückliegenden Warmzeiten verhalten haben. Geophysiker und Geologen des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven wollen diese Wissenslücken jetzt schließen. Sie nehmen in den kommenden sieben Monaten an drei internationalen Expeditionen des US-amerikanischen Bohrschiffes „JOIDES Resolution“ in das Südpolarmeer teil und werden zwei der Fahrtabschnitte auch wissenschaftlich leiten. Die Forschungsfahrten finden im Rahmen des International Ocean Discovery Program (IODP) statt, welches sich der Erforschung der Erd- und Klimageschichte mithilfe von Tiefenbohrungen verschrieben hat.    

Die erste Expedition (IODP 379) Begann am 23. Januar 2019 in Punta Arenas (Chile) und führt das 29-köpfige internationale Forscherteam gemeinsam mit Technikern, Bohrfachleuten und Besatzung (insgesamt 125 Menschen) in das Amundsenmeer. Das ist jene Region, die als Achillesferse des Westantarktischen Eisschildes gilt. „Große Teile des Westantarktischen Eisschildes liegen auf Land, das sich unterhalb der Meeresoberfläche befindet. Das heißt, diese Eismassen sind für warme Meeresströmungen leicht zu erreichen und reagieren deshalb besonders empfindlich auf den Klimawandel“, sagt Dr. Karsten Gohl, AWI-Geophysiker und einer der zwei wissenschaftlichen Fahrtleiter der Expedition.

Belege für den Zerfall des Westantarktischen Eisschildes gesucht

Die in das Amundsenmeer mündenden Gletscher verlieren derzeit schneller Eis als alle anderen Eisströme der Antarktis und Grönlands. Außerdem deuten Eisschild-Modellierungen und Sedimentproben aus dem Rossmeer darauf hin, dass sich die westantarktischen Eismassen in vergangenen Warmzeiten sehr weit zurückgezogen haben – so zum Beispiel vor 3 Millionen Jahren als im mittleren Pliozän die Durchschnittstemperatur der Erde etwa 3 Grad Celsius wärmer war als heute. Sie entsprach somit jener Temperatur, wie sie bei gleichbleibenden Treibhausgas-Emissionen für das Jahr 2100 vorhergesagt wird.

Damals, so glauben die Wissenschaftler, zerfiel der Westantarktische Eisschild nahezu vollständig. Beweise für diese Hypothese aber fehlen bislang. Sie sollen nun bei den geplanten Tiefenbohrungen im Amundsenmeer geborgen werden. „Wir hoffen in einer Tiefe von bis zu 1000 Metern [Korrektur: In der früheren Fassung stand eine falsche Tiefenangabe] unter dem Meeresboden auf Sedimentablagerungen aus dem Pliozän und anderen warmen Zeitaltern zu stoßen, in denen wir die Überreste von Algen, Foraminiferen und anderen typischen Freiwasser-Organismen finden. Sie würden belegen, dass es in diesen Zeiten nur wenig oder kaum Eis in der Westantarktis gab“, sagt AWI-Geologe und Expeditionsteilnehmer Dr. Johann Klages.  

Funde solcher Mikrofossilien würden den Forschern auch erlauben, die damaligen Wassertemperaturen zu rekonstruieren und im Zuge dessen zu untersuchen, welche Umweltveränderungen zum Rückzug oder Zerfall des Westantarktischen Eisschildes geführt haben. Dringend benötigt werden zum Beispiel Erkenntnisse darüber, wie warm die tiefen Ozeanströmungen damals waren. Die Wissenschaftler wollen diese historischen Werte mit den aktuell beobachteten Tiefenwasserströmungen im Amundsenmeer vergleichen, um herauszufinden, ob diese als Vorläufer eines möglichen zukünftigen Zusammenbruchs betrachtet werden könnten.

Außerdem hoffen die Forscher, Spuren eines erhöhten Eisberg-Aufkommens zu finden. „Eisberge verlieren auf ihrer Wanderung Sande, Kiese und Steine, die in ihrem Eis eingeschlossen sind“, erklärt Johann Klages. „Sollten wir bei unseren Bohrungen auf grobe Sand- und Kiesablagerungen stoßen, wüssten wir, dass in vorherigen Warmzeiten große Mengen Eis vom Eisschild abgebrochen und durch das Südpolarmeer getrieben sind“, so der Wissenschaftler. Der geochemische Fingerabdruck der Gesteine würde die Forschenden zudem in die Lage versetzen, die Ursprungsregion der Eismassen zu identifizieren und zu rekonstruieren, welche Gletscher in der entsprechenden Warmzeit am meisten Eis verloren haben.

Bohrungen auf dem Wanderpfad der Eisberge

Auf dasselbe Forschungsprinzip setzen die Teilnehmer der zweiten Expedition (IODP 382), welche vom 20. März bis 20. Mai in das Scotiameer führt. Die Meeresregion zwischen der Antarktischen Halbinsel und den Falklandinseln gilt als Hauptwanderroute und Friedhof großer Eisberge. Sollte die Antarktis in den Warmzeiten des Pliozäns und Pleistozäns viel Eis verloren haben, müssten in diesem Gebiet entsprechende Ablagerungen zu finden sein – aus der Westantarktis ebenso wie aus dem Ostteil. Allerdings liegen sie in der Tiefsee: „Das Meer ist an den geplanten Bohrstellen etwa 4000 Meter tief. Wir werden mehrere Tage lang bohren müssen, um unsere Zieltiefe von 600 Meter unter dem Meeresboden zu erreichen. Wichtig wird außerdem sein, dass uns in dieser Zeit kein Eisberg in die Quere kommt“, sagt AWI-Geologe und Expeditionsteilnehmer Dr. Thomas Ronge.

Bei jedem anderen Forschungsschiff wäre die Bohrung im Falle eines sich nähernden Eisberges verloren – nicht so bei der „JOIDES Resolution“. Sollte das 143 Meter lange Bohrschiff einem Eisberg ausweichen müssen, wird das Bohrloch am Meeresgrund rechtzeitig mit einem speziellen Falltrichter verschlossen. Dieser lässt sich jederzeit wieder orten, sodass das Schiff dem Eisberg ausweichen und die Wissenschaftler ihre Bohrung im Anschluss problemlos fortsetzen können.

Im größten Meeresstrom der Welt

 

Der dritte Fahrtabschnitt (IODP 383) unter Leitung des AWI-Geologen Dr. Frank Lamy und der deutschen Klimawissenschaftlerin Gisela Winckler von der Columbia University (USA) führt das Schiff ab Ende Mai in die Meeresregion westlich der Drake-Passage. Dort, im südostpazifischen Teil des Antarktischen Zirkumpolarstroms, dem mächtigsten Meeresstrom der Welt, müssen die Forscher bis zu 500 Meter tief in das Klimaarchiv Meeresboden bohren, um Sedimentablagerungen aus dem Pliozän und Pleistozän zu bergen. „Bei unseren Untersuchungen wird es in erster Linie um die Fragen gehen, wie die Wind- und Meeresströmungen der Südhalbkugel in der Vergangenheit auf globale Erwärmungstrends reagiert haben und welche folgenschweren Wechselwirkungen es zwischen der Atmosphäre, dem Ozean und den Eismassen der Antarktis gab“, erläutert Frank Lamy.

Die Ergebnisse aller drei Expeditionen zusammengenommen sollen die Wissenschaftler dann in die Lage versetzen, das Verhalten der Antarktischen Eismassen während der vergangenen Warmzeiten genau zu rekonstruieren. Auf diese Weise würden sie dann nicht nur einen der größten, bislang unbekannten Prozesse im Klimasystem der Erde viel besser verstehen – sie könnten auch die zukünftige Entwicklung des west- und ostantarktischen Eisschildes besser vorhersagen. Beide Eispanzer speichern ausreichend Süßwasser, um den globalen Meeresspiegel um rund 58 Meter steigen zu lassen.

IODP ist ein internationales Forschungsprogramm, an dem sich die USA, Japan, China, Korea, Indien, Brasilien, Neuseeland, Australien und 15 europäische Länder beteiligen, darunter auch Deutschland. Das US-amerikanische IODP-Schiff „JOIDES Resolution“ kann bis zu 50 Wissenschaftler und 65 Crew-Mitglieder beherbergen. Sein Einsatz wird durch die US-amerikanische National Science Foundation sowie durch die Förderorganisationen aller anderen IODP-Mitgliedsländer finanziert.

Das unten verlinkte Video stammt von Pixelmoversandmakers.com

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