Nach einer fünfmonatigen Corona-bedingten Zwangspause starteten die beiden deutschen Polarforschungsflugzeuge Polar 5 und Polar 6 am Sonntag, den 30. August von Spitzbergen aus zu ihren ersten Arktis-Messkampagnen des Jahres. Die wissenschaftlichen Messflüge bis weit in die zentrale Arktis hinein dienen der Erforschung von Atmosphäre und Meereis und ergänzen das umfangreiche Forschungsprogramm der MOSAiC-Expedition. Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen die Wolkenbildung über dem Arktischen Ozean sowie die Frage, ob das im Rahmen der MOSAiC-Expedition untersuchte Meereis eher dicker oder dünner war als in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten und wie sich die überdurchschnittlich hohen Sommertemperaturen auf die arktische Eisdecke ausgewirkt haben.
Ursprünglich sollten im Rahmen der MOSAiC-Expedition vier Flugkampagnen stattfinden – zwei im Frühling und zwei im Sommer. Aufgrund der Corona-Pandemie aber mussten die Messflüge im Frühling ausfallen. Umso größer ist jetzt die Vorfreude der 26 beteiligten Wissenschaftler und Techniker. „Wir sind sehr erleichtert, dass unsere beiden Sommer-Kampagnen trotz der Corona-Pandemie stattfinden können und wir danken sowohl der Regierung Norwegens als auch der Gouverneurin von Spitzbergen für die gute Zusammenarbeit im Vorfeld. Ohne ihre Unterstützung wäre ein Forschungsvorhaben dieser Größe unter den gegebenen Bedingungen nicht möglich gewesen“, sagt Atmosphärenforscher und Kampagnenleiter Dr. Andreas Herber vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven (AWI).
Auf welche Weise entstehen Wolken in der Arktis?
Die deutschen Forschungsflugzeuge Polar 5 und Polar 6 sind die ersten beiden ausländischen Flugzeuge auf Spitzbergen seit dem Lockdown. Sie werden vom Flughafen Longyearbyen aus in die zentrale Arktis starten und bei jedem Flug etwa vier bis fünf Stunden in der Luft verbringen. Die dabei durchgeführten Messungen konzentrieren sich auf zwei wissenschaftliche Kernfragen. Die beteiligten Atmosphärenforscher wollen herausfinden, auf welche Weise sich Wolken über dem Arktischen Ozean bilden und welche Rolle Aerosolpartikel und Luftwirbel dabei spielen. Dazu haben die Wissenschaftler Polar 5 mit verschiedenen meteorologischen Messinstrumenten wie einem Lichtradar, einem Photometer und mehreren Radiometern ausgestattet.
Von vorhergehenden Untersuchungen weiß man, dass Wolken maßgeblich zur rasanten Erwärmung der Arktis beitragen. Moderne Atmosphärenmodelle aber unterschätzen bislang den Einfluss der Wolken und simulieren ihn noch nicht richtig. Aus diesem Grund wird das Team aus Forschenden des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), der Universitäten Leipzig, Bremen und Köln sowie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Luftmassen über dem Arktischen Ozean großräumig vermessen und alle für die Wolkenbildung relevanten Faktoren im Detail untersuchen. Geplant ist zudem, dass das Flugzeug jener Route folgt, die zuvor der Forschungseisbrecher Polarstern genommen hat. Auf diese Weise können die in der Luft erhobenen Messdaten die MOSAiC-Forschung auf dem Schiff und auf dem Meereis ergänzen und vervollständigen.
Mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse sollen im Anschluss die Atmosphärenmodelle verbessert werden. Die Messdaten laufen außerdem in das Sonderforschungsprojekt „Arktische Verstärkung (AC)3“ ein. In ihm untersuchen Forscher unter der Leitung des Leipziger Wissenschaftlers Prof. Manfred Wendisch seit vier Jahren Klimaveränderungen in der Arktis.
War das MOSAiC-Eis besonders dick oder dünn?
Während Polar 5 die Atmosphäre vermisst, konzentrieren sich die Meereisphysiker an Bord von Polar 6 auf die Meereisdecke des Arktischen Ozeans. Ihr Kampagnenziel lautet, die Mächtigkeit und Oberflächeneigenschaften des Meereises in der Framstraße sowie im zentralen Arktischen Ozean zu dokumentieren. Zum Einsatz kommt dabei vor allem der sogenannte EM-Bird – ein elektromagnetisches Messsystem, welches vom Flugzeug in 15 Metern Höhe über die Eisoberfläche geschleppt wird.
Die Eisdickenmessungen sind Teil des IceBird-Langzeitdatenprogrammes, in welchem AWI-Meereisphysiker seit fast 20 Jahren zweimal jährlich die Meereisdecke in der Arktis untersuchen – einmal zum Ende des Winters, wenn das Eis seine maximale Ausdehnung erreicht hat und einmal im Sommer, wenn es auf sein Jahresminimum zusammenschrumpft. „In diesem Sommer stellt sich uns außerdem die spannende Frage, ob der Zustand der Meereisflächen, welche im Rahmen der MOSAiC-Expedition untersucht wurden, im Vergleich zu unseren Langzeitdaten irgendwie hervorstechen. Sprich: Ob das Eis im Vergleich zu früher eher dünner oder dicker war; ob ihm die hohen Sommertemperaturen in einem besonderen Maße zugesetzt haben oder aber ob sich aufgrund seiner schnellen Drift auffallend viele Eisrücken gebildet haben“, sagt AWI-Meereisphysiker und IceBird-Kampagnenleiter Dr. Thomas Krumpen.
Wenn das Wetter mitspielt, werden beide Flugzeuge am Sonntag, den 30. August 2020, das erste Mal zu Messflügen in die zentrale Arktis abheben. Die Rückkehr der Wissenschaftler ist für die dritte Septemberwoche geplant.
Hintergrundinformationen zu MOSAiC
Während der MOSAiC-Expedition erforschen Wissenschaftler aus 20 Nationen die Arktis im Jahresverlauf. Von Herbst 2019 bis Herbst 2020 driftet der deutsche Eisbrecher Polarstern dazu eingefroren im Eis durch das Nordpolarmeer. MOSAiC wird unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) realisiert. Damit dieses einzigartige Projekt gelingt und möglichst wertvolle Daten gewonnen werden, arbeiten über 80 Institute in einem Forschungskonsortium zusammen. Das Budget der Expedition beträgt über 140 Millionen Euro.
Neuigkeiten direkt aus der Arktis gibt es über die MOSAiC-Kanäle auf Twitter (@MOSAiCArctic) und Instagram (@mosaic_expedition) über die Hashtags #MOSAiCexpedition, #Arctic und #icedrift.
Weitere Informationen zur Expedition auf der MOSAiC-Website
In der MOSAiC-Web-App können die Driftroute der Polarstern und die Ereignisse vor Ort zudem live verfolgt werden.