Tiefsee
Die Tiefsee ist das größte Ökosystem auf unserem Planeten. Rund 65 Prozent der Erdoberfläche sind von dieser Unterwasserwelt bedeckt. Doch sie steckt noch voller Rätsel. Denn sie zu erkunden, ist schwierig, aufwändig und teuer. Wer die Geheimnisse im Untergeschoss der Weltmeere ergründen will, muss ausgeklügelte Geräte und Roboter dorthin schicken oder in speziellen Unterwasserfahrzeugen selbst hinab tauchen. Wegen des großen Aufwandes konnten in 150 Jahren Tiefseeforschung nur winzige Teile dieses Ökosystems genauer unter die Lupe genommen werden. Über die Rückseite des Mondes wissen wir deshalb heute mehr als über den Grund der Ozeane. Doch die Tiefsee ist kein von der Oberfläche abgekoppelter Lebensraum, sondern verändert sich bereits drastisch durch wärmeres Wasser, Ozeanversauerung und Umweltverschmutzung. Deshalb ist es für geeignete Schutzmaßnahmen unabdingbar, mehr über die Ökosysteme der Tiefe und ihre Reaktion auf menschliches Handeln an der Oberfläche zu erfahren.
Die Landschaft der Tiefsee
Am Grund der Weltmeere verbergen sich ganz unterschiedliche Landschaften. Es gibt weite, auf den ersten Blick eintönig wirkende Ebenen, aber auch spektakuläre Gräben, die etliche Kilometer weit in die Tiefe reichen. Das Gegenstück zu diesen Tälern sind die sogenannten Mittelozeanischen Rücken. Das sind vulkanisch aktive Gebirgszüge, die meist zwischen einem und drei Kilometer über den Meeresboden ragen und sich durch alle Weltmeere ziehen. Insgesamt haben sie eine Länge von mehr als 60.000 Kilometern und bilden damit das längste Gebirgssystem der Erde. Diese Rücken entstehen an der Grenze zwischen auseinanderdriftenden Erdplatten, wo sich durch aufsteigende Magma ständig neuer Ozeanboden bildet. Der Vulkanismus lässt an den Unterwassergebirgen heiße Quellen austreten, die durch gelöste Stoffe dunkel oder hell gefärbt sind. Diese Schwarzen und Weißen Raucher bieten Lebensräume für eine speziell angepasste Lebensgemeinschaft.
Die Tiefsee der Polargebiete
Gerade in der Arktis stellt das Leben im Keller des Meeres die Organismen vor besondere Herausforderungen. Denn zum einen ist das Wasser dort mit Temperaturen von bis zu minus 1 °C selbst für Tiefseeverhältnisse besonders kalt. Zum anderen ist die Nahrung noch knapper als anderenorts. Der zentrale Arktische Ozean ist weitgehend eisbedeckt und – anders als das antarktische Südpolarmeer – von Landmassen umgeben. Ein Austausch mit dem Atlantik und dem Pazifik kann nur über zwei vergleichsweise schmale Passagen stattfinden. In der Folge ist der Arktische Ozean ein extrem nährstoffarmes Meer, in dem weniger Algen wachsen als im Ozean der gemäßigten Breiten – und dementsprechend auch weniger der grünen Leckerbissen als Nahrung in die Tiefsee rieseln. Deshalb gibt es am Grund des Nordpolarmeeres weniger Leben als in anderen Tiefseeregionen. Selbst in dieser unwirtlichen Umgebung aber haben sich Überlebenskünstler angesiedelt, die den widrigen Umständen mit speziellen Strategien trotzen.
Zahlen und Fakten
11.000
Meter
Die tiefste Stelle der Weltmeere liegt etwa 11.000 Meter unter dem Meeresspiegel im Marianengraben des Pazifiks.
65
Prozent
Tiefseebereiche bedecken rund 65 Prozent der gesamten Erdoberfläche.
2 bis 4
Grad Celsius
Zwischen 2 und 4 Grad Celsius liegt die durchschnittliche Wassertemperatur in der Tiefsee.
FAQ
Wo beginnt die Tiefsee?
Es gibt verschiedene Ansichten darüber, welche Meeresbereiche zur Tiefsee gehören. Nach einer gängigen Definition beginnt sie dort, wo der vergleichsweise flache Meeresgrund der Küstengebiete in tiefere und steilere Bereiche abknickt. Je nach Region kann das in sehr unterschiedlichen Wassertiefen sein. In der Antarktis zum Beispiel drücken die schweren Eismassen den Kontinent weit nach unten. Sein Rand, der auch „Schelf“ genannte Festlandsockel, reicht bis 500 Meter unter die Wasseroberfläche. Erst jenseits davon beginnt also die Tiefsee. In den allermeisten anderen Regionen findet sich dieser Übergang dagegen schon 200 Meter unter dem Meeresspiegel.
Eine andere gängige Definition bezeichnet alle Meeresbereiche als Tiefsee, in die kein Licht mehr von der Oberfläche vordringt. Diese lichtlose Tiefsee erstreckt sich auf rund 88 Prozent der globalen Ozeanfläche und beginnt unterhalb von 200 Metern Wassertiefe. Beide Definitionen haben also große Überschneidungen.
Wie viel vom Grund der Tiefsee ist schon erforscht?
Von der Topografie des Meeresgrundes mit ihren Ebenen, Rücken und Gräben gibt es schon eine recht gute Vorstellung. Denn mithilfe des Echolots haben Fachleute das Tiefenprofil der Ozeane vermessen und entsprechende Karten erstellt. Nur ein verschwindend geringer Anteil von nicht einmal einem Prozent des Meeresbodens ist bisher aber genauer untersucht worden – zum Beispiel im Hinblick auf die Tiere, die dort unten leben. Deshalb stoßen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Tiefsee immer wieder auf neue Arten und Überraschungen. So hat ein AWI-Team im Februar 2021 im Weddellmeer der Antarktis das größte bisher bekannte Fischbrutgebiet der Welt entdeckt. Auf den Bildern eines vom Forschungseisbrecher Polarstern geschleppten Kamerasystems tauchten am Meeresgrund in 535 bis 420 Metern Tiefe unzählige Nester des Eisfisches Neopagetopsis ionah auf. Schätzungsweise 60 Millionen dieser Brutstätten finden sich dort auf einer Fläche, die mit 240 Quadratkilometern ungefähr so groß ist wie 36.000 Fußballfelder.
Welche Lebensräume gibt es in der Tiefsee?
Große Bereiche des Meeresgrundes bestehen aus eintönig wirkendem, nährstoffarmem Weichboden. Doch verteilt in dieser wüstenähnlichen Landschaft liegen Oasen des Lebens. Dazu gehören zum Beispiel heiße und kalte Quellen. Von den daraus aufsteigenden chemischen Verbindungen ernähren sich spezielle Mikroorganismen, die ihrerseits von anderen Lebewesen gefressen werden. So entstehen im Umfeld dieser Quellen ganz eigene Lebensgemeinschaften. Doch nicht nur an Stellen mit üppigem Nahrungsangebot finden sich viele Arten ein. Attraktiv sind auch die relativ wenigen Bereiche der Tiefsee, die einen harten Untergrund bieten. Dazu gehören zum Beispiel Stellen, an denen nach Hangrutschungen anstehendes Gestein zu Tage tritt. Oder auch die sogenannten Dropstones in den Polargebieten. An diesen Steinen, die unter anderem von Gletschern ins Meer transportiert wurden, siedeln sich oft zahlreiche sesshafte Tiere wie Schwämme, Moostierchen, Seescheiden und kleine Korallen an.
Wie groß schätzt man die Artenvielfalt in der Tiefsee?
Lange hatte man die Tiefsee für eine lebensfeindliche Wüste gehalten, in der nur wenige Arten überleben können. Inzwischen ist aber klar, dass die Biodiversität dort unten sehr hoch ist. Manche Fachleute halten sie stellenweise sogar für ähnlich groß wie im tropischen Regenwald. Allerdings muss man sehr genau hinschauen, um diese Vielfalt zu entdecken. So wimmelt es im Untergrund von winzigen Fadenwürmern, die mit bloßem Auge kaum zu sehen sind. Daher ist bisher nur ein Bruchteil der in der Tiefsee lebenden Arten bekannt, mit so gut wie jeder Probe kommen neue Spezies ans Tageslicht.
Welche Tiere leben dort unten?
Alle höheren Tierklassen sind in der Tiefsee vertreten. Im Sediment stellen die Fadenwürmer (Nematoden) rund 90 Prozent aller Organismen, deutlich seltener kommen dort Krebse und Borstenwürmer (Polychaeten) vor. Auf dem Meeresgrund leben zum Beispiel Schwämme, Seelilien, Schlangen- und Haarsterne, Seeigel, Seesterne und Seegurken. Zu den beweglicheren Bewohnern des Ökosystems gehören Fische und Tintenfische. Je nach Wassertiefe findet man unterschiedliche Lebensgemeinschaften, deren Vorkommen vor allem von der zur Verfügung stehenden Nahrung bestimmt wird.
Bis in welche Tiefe gibt es Fische?
Fische kommen in allen Wassertiefen vor, allerdings sind sie in den unteren Etagen der Meere in sehr geringen Dichten vertreten. Im offenen Ozean sind zum Beispiel die bizarren Tiefsee-Anglerfische unterwegs, die in Tiefen unter etwa 300 Metern leben. Die Weibchen dieser Tiere tragen eine körpereigene „Angel“ samt Köder auf dem Kopf, die bei vielen Arten auch noch mit einem Leuchtorgan ausgerüstet ist. Mit diesem Hilfsmittel locken sie Männchen und vor allem Beutetiere an.
Doch auch am Meeresboden gibt es Fische. Diese leben vor allem von aasfressenden Flohkrebsen, die an entsprechenden Nahrungsquellen in riesigen Mengen vorkommen können. Experimente zeigen, wie schnell und effektiv auf dem Meeresgrund abgesunkene Nahrungsbrocken von diesen Interessenten genutzt werden. Als ein AWI-Team in einem experimentellen Ansatz einen Wal-Kadaver in der Tiefsee der Arktis mit Kameras beobachtete, gesellten sich schon nach wenigen Minuten große Mengen von Flohkrebsen und später auch Fische aus der Verwandtschaft der Aalmuttern dazu, die dort eine wahre Fressorgie veranstalteten.
Welche Säugetiere kommen bis in die Tiefsee?
Zu den bekanntesten Tieftauchern unter den Säugetieren gehören die Pottwale, die häufig zwischen 300 und 800 Metern unter der Wasseroberfläche Jagd auf Tintenfische machen. Manchmal erreichen sie aber auch Tiefen von mehr als 2500 Metern. Den Tauch-Rekord halten bisher allerdings die Cuvier-Schnabelwale, die in Ausnahmefällen mehr als dreieinhalb Stunden unter Wasser bleiben und dabei in Tiefen von 3000 Metern vordringen können. Doch auch die Leistungen von Robben können sich sehen lassen: Südliche See-Elefanten sind mitunter mehr als 2000 Meter unter der Oberfläche unterwegs.
Welche typischen Anpassungen finden sich bei Tiefseebewohnern?
Wer in diesen Lebensräumen zurechtkommen will, muss mit einer ganzen Reihe von Herausforderungen fertig werden. Die Palette reicht von Nährstoffmangel über Kälte und ewige Finsternis bis zu einem Druck, der beispielsweise in 2000 Metern Tiefe 200-mal so hoch ist wie über Wasser. Doch mit speziellen Anpassungen können die Tiefseebewohner all diesen Problemen trotzen. Wegen des hohen Drucks besitzen sie zum Beispiel keine Schwimmblase und auch keine sonstigen Gaseinschlüsse im Körper. Da Nahrung in diesen Lebensräumen oft nur sporadisch zur Verfügung steht, sind viele Arten zudem auf längere Hungerperioden eingerichtet. Die überstehen sie zum Beispiel, indem sie für Notzeiten Fett einlagern. Als Anpassung an die Dunkelheit haben viele Tiere zudem ausgeprägte Sinnesorgane entwickelt. So verlassen sie sich auf biochemische Sensoren, um Geruchsreize aufzufangen. Fische nutzen zudem ihr Seitenlinienorgan, mit dem sie feinste Strömungsunterschiede und Druckwellen wahrnehmen und so Hindernisse oder vorbeischwimmende andere Tiere orten können. Und schließlich haben etliche Tiefseebewohner große Augen, um das wenige Restlicht oder die von anderen Organismen ausgesendeten Leuchtsignale auffangen zu können.
Was ist Biolumineszenz?
Etliche Tiefseebewohner sind in der Lage, selbst oder mit Unterstützung von Bakterien Licht zu erzeugen. Dahinter stecken biochemische Reaktionen, in denen „Luciferine“ genannte Verbindungen unter dem Einfluss des Enzyms Luciferase mit Sauerstoff reagieren. Dabei verändern sich die Moleküle so, dass sie Energie in Form von Licht abgeben. Viele Quallen, aber auch Fische, Tintenfische und andere Tiefseebewohner können auf diese Weise ein blaues oder grünliches, manche auch ein rotes Leuchten aussenden. Genutzt wird dieser Effekt beispielsweise, um Partner zu finden, Beute anzulocken oder wie mit Scheinwerfern sein eigenes Gesichtsfeld auszuleuchten. Manche Arten stoßen auch leuchtende Substanzen aus, um Feinde abzuschrecken.
Wovon ernähren sich die Bewohner der Tiefsee?
Die wichtigste Nahrungsquelle für Tiefseebewohner ist partikuläres organisches Material, das von der Oberfläche zum Meeresgrund sinkt, der sogenannte „Marine snow“. Von einzelnen toten Planktonzellen über zusammengeballte Algenklumpen bis hin zu ganzen Walkadavern – die nicht zum Marine Snow zählen, sondern als „Large Foodfalls“ bezeichnet werden – gibt es Mahlzeiten in den unterschiedlichsten Größen. Sogar die Ausscheidungen des Zooplanktons enthalten noch genügend Nährstoffe, um andere Organismen am Leben zu erhalten. Eine andere Strategie verfolgen jene Arten, die sich im Umfeld von heißen oder kalten Quellen ansiedeln. Dort leben speziell angepasste Mikroorganismen, die aus den dort ins Wasser strömenden chemischen Verbindungen Energie gewinnen können. Von diesen Bakterien leben dann direkt oder indirekt viele andere Organismen, manche gehen auch eine Symbiose mit ihnen ein. Solche Oasen der Tiefsee können selbst nach Jahrtausenden noch Leben hervorbringen. So hat ein Forschungsteam unter Beteiligung des AWI im zentralen Arktischen Ozean überraschend üppige Schwammgärten entdeckt, die auf erloschenen Unterwasservulkanen wachsen. Zahlreiche Vulkanbewohner, die hier vor Jahrtausenden lebten, sind inzwischen ausgestorben. Doch ihre Überreste sind noch da. Und dank symbiontischer Bakterien können die Schwämme dieses Erbe der Vergangenheit heute noch verwerten.
Welche Schwierigkeiten hat man beim Erforschen der Tiefsee?
Mit technischen Tricks lassen sich viele Messgeräte so an den hohen Druck der Tiefsee anpassen, dass sie selbst im Marianengraben gut funktionieren. Ein viel größeres Problem für die Forschung besteht darin, die gewünschten Untersuchungsgebiete überhaupt zu erreichen. Das gilt besonders für eisbedeckte Meeresregionen. Denn das Eis ist ständig in Bewegung. Da wird es schon zur Herausforderung, das Schiff an der gewünschten Position zu halten. Geschweige denn, dass man hochtechnischen Geräte weit unter die gefrorene Eisdecke schicken könnte. Zwar lässt sich ein autonomes Unterwasserfahrzeug durchaus so programmieren, dass es eine solche Erkundungsfahrt unternimmt und dann an einer vorher festgelegten Stelle wieder auftaucht. Doch Gebiete, die eben noch offen waren, können durch die Eisdrift schon im nächsten Moment eisbedeckt sein. Wenn das passiert, kann das Messgerät verloren sein.
Kann man Tauchroboter in die Tiefsee schicken?
Das ist inzwischen eine gängige Methode, um das Leben und die Vorgänge in den unteren Stockwerken der Meere zu erforschen. Das AWI setzt zu diesem Zweck PAUL und seine kleine Schwester SARI ein. Beide sind sogenannte autonome Unterwasserfahrzeuge (Autonomous Underwater Vehicles, AUV), denen man eine Mission einprogrammieren kann. Sie werden vom Forschungsschiff aus abgesetzt, fahren dann selbständig eine bestimmte Strecke ab und führen dort in gewissen Abständen Messungen durch, bis sie schließlich an einer ebenfalls vorgegebenen Stelle wieder aufgenommen werden. Je nach Fragestellung können die Fahrzeuge in unterschiedlichen Tiefen operieren und mit den verschiedensten Messgeräten ausgerüstet werden. PAUL kann dabei Tiefen von bis zu 3000 Metern erreichen, für die kleinere SARI ist bei 200 Metern Schluss.
Daneben gibt es noch ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge (Remotely Operated Vehicles, ROV). Diese sind im Meer nicht auf sich allein gestellt, sondern bleiben über spezielle Tiefseekabel mit dem Schiff verbunden. Über diese bekommen sie zum einen ihre Energie und ihre Befehle, zum anderen senden sie auf dem gleichen Weg Bilder und Daten zum Schiff zurück. ROVs ermöglichen uns nicht nur gezielte Beobachtungen und zentimetergenaue Probennahmen, sondern erlauben uns auch komplexe experimentelle Arbeiten in der Tiefsee durchzuführen.
Gibt es auch Roboter, die auf dem Meeresgrund herumfahren können?
Diese Aufgabe übernehmen die sogenannten Crawler. Das sind autonome Raupenfahrzeuge, die man frei-fallend oder mit einem kabelgebundenen Rahmen punktgenau auf den Meeresgrund hinunterlassen kann. Dort fahren sie dann mithilfe von Antriebsketten zu festgelegten Stellen, um dort zum Beispiel die Sauerstoffgehalte in verschiedenen Tiefen des Sediments zu messen. Neben Messgeräten haben sie auch eine hochauflösende Kamera an Bord, mit der sie Bilder vom jeweiligen Untersuchungsgebiet machen. Das vom AWI eingesetzte Kettenfahrzeug TRAMPER kann in bis zu 6000 Metern Wassertiefe arbeiten und bis zu einem Jahr dort unten bleiben. Ein weiterentwickeltes Modell namens NOMAD ist größer, dank konsequenter Leichtbauweise aber nicht schwerer als der 1,5 Meter lange TRAMPER und kann viermal so viel Gewicht an Messgeräten tragen. Künftig wird auch ein noch größerer Crawler zur Verfügung stehen, der die Dimensionen eines Kleinbusses erreicht und nicht nur messen, sondern auch Proben nehmen kann.
Welche technischen Gerätschaften kann man zur Erforschung der Tiefsee sonst noch nutzen?
Für Beobachtungen, Experimente und Messungen direkt am Meeresboden eignen sich sogenannte „Bottom Lander“. Diese Geräte lässt man ohne Kabelverbindung auf den Grund sinken, wo sie dann Bilder machen und vorprogrammierte Untersuchungen durchführen. Je nach Ausrüstung können sie beispielsweise die Richtung und Geschwindigkeit der Strömung, den Sauerstoffgehalt des Wassers oder die Menge der von der Oberfläche in die Tiefe rieselnden Partikel messen. Will man solche Daten nicht nur am Meeresgrund, sondern in verschiedenen Wassertiefen erfassen, kommen sogenannte Verankerungsketten zum Einsatz. Das sind senkrecht im Wasser hängende, sehr stabile Leinen, die mehrere Kilometer lang sein können und an denen man in bestimmten Abständen Mess- und Probennahmegeräte befestigen kann.
Für Fotos und Videoaufnahmen aus der Tiefe eigenen sich Kamerasysteme, die mit einem speziellen Glasfaser- und Stromkabel mit dem Schiff verbunden sind und während der Fahrt knapp über dem Grund durchs Wasser geschleppt werden. Das „Ocean Floor Observation and Bathymetry System“ (OFOBS) des AWI besteht zum Beispiel aus einem Metallrahmen mit nach unten schauender Kamera und Blitz sowie einem Sonarsystem, das die Bodentopographie links und rechts des Geräts erfasst.
Wo untersucht das AWI die Vorgänge in der Tiefsee?
Der Schwerpunkt der AWI-Tiefseeforschung liegt seit nunmehr 25 Jahren in der Arktis. Dort hat das Institut schon 1999 ein Langzeit-Observatorium in der Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen eingerichtet. Mittlerweile besteht dieser sogenannte HAUSGARTEN aus 21 Messstationen, die zwischen 250 und 5500 Metern unter der Wasseroberfläche liegen. Dort führen Forscherinnen und Forscher jedes Jahr im Sommer Untersuchungen durch. Zusätzlich sind das ganze Jahr hindurch am Meeresboden verankerte Instrumente im Einsatz, und auch autonome Unterwasserfahrzeuge können dort inzwischen zu winterlichen Erkundungsfahrten ausrücken.
So ist ein wertvoller Datensatz entstanden, der langfristige Trends und Veränderungen in diesem arktischen Ökosystem dokumentiert. Nur mit solchen Langzeitstudien lässt sich beispielsweise herausfinden, welche Folgen der Klimawandel für die Meeresökosysteme der Arktis hat. Weltweit gibt es nur eine Handvoll solcher Observatorien, von denen nur der HAUSGARTEN in einer Polarregion liegt.
Hat der Klimawandel einen Einfluss auf die Tiefsee?
Indirekt auf jeden Fall. Vor allem auf steigende Wassertemperaturen regiert das Ökosystem Tiefsee sehr rasch. In der Framstraße zwischen Spitzbergen und Grönland kann man das bereits beobachten. So hat sich dort die Zusammensetzung des Phytoplanktons verändert. Wo im kälteren Wasser früherer Jahrzehnte mehr Kieselalgen wuchsen, finden sich heute mehr Schaumalgen. Letztere aber sind für andere Organismen nicht so nahrhaft. Das Futterangebot, das von der Meeresoberfläche in die Tiefsee rieselt, ist daher in den letzten 20 Jahren dürftiger geworden. Das aber verändert auch das Leben am Meeresgrund. So finden sich heute nur noch etwa halb so viele Fadenwürmer im Tiefseeboden wie früher. Und wo die kleinen Tierchen fehlen, werden irgendwann auch die größeren weniger. Es kann also durchaus sein, dass der Klimawandel zu einer Verarmung der Lebensgemeinschaften in der Framstraße führen wird.
Was bedeutet es für die Tiefsee der Arktis, wenn das Meereis schmilzt?
Im Jahr 2012 hat ein AWI-Team zum ersten Mal beobachtet, dass eine dünner werdende Eisdecke für die Bewohner der Tiefsee zumindest vorübergehend einen echten Futterregen bedeuten kann. Wo der gefrorene Panzer statt bis zu vier Meter nur noch rund 90 Zentimeter dick ist, fällt mehr Licht hindurch. Dadurch können an seiner Unterseite mehr Eis-Algen wachsen. Schmilzt das Eis dann im Laufe des Sommers ganz, sinken diese Algen als dicke Klumpen in die Tiefsee. Für Bodenbewohner wie Seegurken und Haarsterne ist der Tisch dann so reich gedeckt, dass sie größer werden und früher die Geschlechtsreife erreichen. Allerdings kann das durchaus ein vorübergehender Effekt sein. Wenn es den Eis-Algen zu warm wird oder sie durch das komplette Schmelzen der Eisdecke ihren Lebensraum verlieren, bleibt auch der Futternachschub von der Oberfläche aus.
Kann man in der Tiefsee Rohstoffe gewinnen?
In der Tiefsee gibt es Bodenschätze, die schon in den 1970er Jahren Interesse geweckt haben. Dazu gehören die Manganknollen, die in mehr als 4000 Metern vor allem auf dem Grund des Pazifiks liegen. Diese Klumpen enthalten neben Mangan und Eisen auch wertvolle Metalle wie Kupfer, Nickel und Kobalt. Sie zu fördern, ist allerdings ein technisch anspruchsvolles und entsprechend teures Unterfangen. Daher ist es bisher bei Pilotversuchen geblieben, ein kommerzielles Meeresbergwerk gibt es noch nicht. Etliche Staaten und Privatfirmen haben aber schon Explorations-Lizenzen bei der Internationalen Meeresbodenbehörde der Vereinten Nationen beantragt.
Allerdings kann ein solcher Bergbau in den empfindlichen Ökosystemen der Tiefsee langfristige Schäden anrichten. Das hat ein Experiment namens DISCOL („Disturbance and Recolonization“ – Störung und Wiederbesiedlung) gezeigt, an dem das AWI und zahlreiche weitere europäische Forschungsinstitutionen mitgearbeitet haben. Um die Gewinnung von Manganknollen zu simulieren, wurden 1989 etwa 650 Kilometer südöstlich der Galapagos-Inseln elf Quadratkilometer Pazifikboden umgepflügt. Seither sind mehrere Expeditionen wieder dort gewesen und haben untersucht, wie sich die Fläche entwickelt. Die Spuren des Eingriffs sind auch nach Jahrzehnten noch deutlich zu sehen, und auch die Lebensgemeinschaft hat sich langfristig verändert.
Hat die Tiefsee ein Müllproblem?
Tatsächlich finden sich in der Tiefsee inzwischen erhebliche Mengen Zivilisationsmüll. Die Palette reicht von Plastiktüten und –fragmenten, über Glasflaschen und Netzreste bis zu Farbeimern. Es wurden schon Verpackungen und Tüten entdeckt, die vermutlich bereits Jahrzehnte lang nahezu unversehrt am Meeresgrund gelegen hatten. Selbst in entlegenen Regionen wie auf dem Grund der Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen hat die Zahl dieser größeren Müllstücke in den letzten Jahren stark zugenommen. Dazu kommt noch das sogenannte Mikroplastik. Diese winzigen Partikel lassen sich sogar in der Arktis in der Schneeauflage auf den Eisschollen nachweisen. Schmilzt das Eis, rieselt das Material in die Tiefsee und kann dort von Organismen aufgenommen werden. Welche ökologischen Folgen das hat, ist noch nicht abzusehen.