Antarktischen Arten im Wandel

Kälte und Eis, Stürme und monatelange Dunkelheit: Für solche Herausforderungen haben die Tiere und Pflanzen der Antarktis im Laufe ihrer Evolution sehr wirksame Strategien entwickelt. Viele werden es allerdings schwer haben, sich an veränderte Bedingungen durch den Klimawandel flexibel anzupassen. So gelten zahlreiche Meeresbewohner als ausgesprochene Kältefans, die mit Schwankungen in der Wassertemperatur nicht gut zurechtkommen. Zudem haben viele von ihnen ihre Lebensrhythmen eng an das jahreszeitliche Wachsen und Schrumpfen des Meereises gebunden. Sie sind nicht nur an die Kälte angepasst, sondern nutzen das Eis als Ruheplattform, Kinderstube oder Schutzburg. In einem eisfreien Ozean dürften sie deshalb schlechtere Überlebenschancen haben als bisher. Ob Arten ganz verschwinden, in andere Regionen abwandern oder sich an die neuen Bedingungen anpassen werden, ist allerdings schwer zu prognostizieren. Denn nur über einen winzigen Bruchteil der Antarktis-Bewohner weiß die Wissenschaft genug, um ihre Ansprüche und Zukunftschancen abschätzen zu können. 

Antarktis und Südpolarmeer

Die Antarktis steckt voller Superlative. So liegt im tiefen Süden des Planeten nicht nur der kälteste, sondern auch der trockenste, stürmischste und einsamste Kontinent der Erde. Im Winter, wenn die Sonne monatelang nicht über den Horizont klettert, zeigt das Thermometer dort mitunter Werte unter minus 60 Grad Celsius. Rings um die mit einem dicken Eisschild bedeckte Landmasse erstreckt sich das ebenfalls extrem kalte und stürmische Südpolarmeer. Im Winter bildet sich darauf eine bis zu 1,5 Meter dicke Eisdecke, über der die Luft leicht auf Temperaturen unter minus 30 Grad Celsius abkühlen kann. Das Wasser gefriert wegen des hohen Salzgehaltes erst bei Werten unter minus zwei Grad, so dass Meerestiere darin nur mit besonderen Kälteanpassungen überleben können. Mit dem Antarktischen Zirkumpolarstrom, der um den Eiskontinent fließt, besitzt das Südpolarmeer die mächtigste Meeresströmung der Erde.

Die besondere Tierwelt der Antarktis

Vom Kaiserpinguin über den antarktischen Seeigel bis zum Antarktischen Krill: Im tiefen Süden des Planeten leben viele endemische Arten, die nirgendwo sonst auf der Erde vorkommen. Diese Kälte-Spezialisten unterscheiden sich oft in ein paar typischen Eigenschaften von ihren Verwandten in anderen Teilen der Welt. Am Meeresgrund leben zum Beispiel viele Organismen, die ihren Stoffwechsel auf Sparflamme geschaltet haben: Sie werden häufig größer, wachsen aber auch langsamer, werden später geschlechtsreif und erreichen ein höheres Alter als Arten in wärmeren Regionen. Während zum Beispiel antarktische Seeigel durchaus 70 Jahre alt werden können, bringen es ihre Verwandten in wärmeren Meeren nur auf etwa fünf bis zehn Jahre. Auch Muscheln, Asseln und etliche andere Wirbellose erreichen ein geradezu biblisches Alter. Und einige Schwämme in den eiskalten Gewässern des Südozeans scheinen sogar mehr als 500 Jahre zu leben.

Zahlen und Fakten

18,3

Grad

18,3 Grad Celsius zeigten die Thermometer an der Esperanza-Station auf der Antarktischen Halbinsel am 6. Februar 2020. Damit hatte die Weltorganisation für Meteorologie einen neuen Wärmerekord für die Antarktis zu vermelden.

2,6

Grad

Um 2,6 Grad Celsius sind die mittleren Jahrestemperaturen an der Antarktischen Halbinsel in den vergangenen 50 Jahren gestiegen.

252.000.000.000

Tonnen

252 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr hat der antarktische Eisschild zwischen 2009 und 2017 verloren. In den 1980er Jahren waren es noch rund 40 Milliarden Tonnen pro Jahr.

FAQ

Wie können Fische im eiskalten Wasser des Südpolarmeers überleben?

Wegen seines hohen Salzgehaltes gefriert das Meer rund um die Antarktis nicht bei null Grad, die Wassertemperatur sinkt oft bis zu zwei Grad unter den Gefrierpunkt. Die meisten Fische können dort nicht überleben. Einige Arten von Eisfischen aber verhindern mit speziellen Anti-Frost-Proteinen, dass sich in ihren Körperflüssigkeiten Eiskristalle bilden. Zudem verzichten sie als einzige Wirbeltiere komplett auf rote Blutkörperchen und den roten Blutfarbstoff Hämoglobin. So ein farbloses Blut ist dünnflüssiger und gefriert weniger leicht. Es hat aber auch einen gravierenden Nachteil. Denn ohne rote Blutkörperchen funktioniert der Sauerstofftransport im Körper viel weniger effektiv. Deshalb haben sich die Tiere im Laufe ihrer Evolution ein besonders großes Herz und weite Adern, eine große Menge Blut und einen hohen Blutdruck zugelegt. Diese Anpassungen machen die Eisfische zu extrem erfolgreichen und häufigen Antarktis-Bewohnern.

Welche Überlebenstricks beherrschen Pinguine?

Pinguine gehören zu den Energiesparwundern der Tierwelt. Sie besitzen ein extrem dichtes Gefieder, in dem bis zu zwölf Federn auf einem einzigen Quadratzentimeter wachsen. Unter den Deckfedern verbergen sich feine Daunen, zwischen denen sich eine isolierende Luftschicht verfängt. Diese gesamte Wärmeschutzhülle ist wasserdicht, weil die Vögel sie ständig mit einem in speziellen Drüsen produzierten Öl einreiben. Unter der Haut haben sie dann auch noch eine isolierende Fettschicht eingelagert. Ein raffiniertes Wärmetauschverfahren zwischen Arterien und Venen sorgt zudem dafür, dass kühleres Blut in die Füße und Flügel und wärmeres ins Körperinnere fließt. So lässt sich der Wärmeverlust an den Extremitäten eindämmen. Und wenn sich Kaiserpinguine beim winterlichen Brüten eng aneinander kuscheln, steigt die Temperatur an der Körperoberfläche allein durch den Körperkontakt um 0,6 Grad Celsius. 

Wie stark ändert sich das Klima in den Lebensräumen der Antarktis?

Die Antarktis bietet in Sachen Klimawandel ein zweigeteiltes Bild. So steht die Antarktische Halbinsel nach der Arktis weltweit auf Platz zwei der am stärksten erwärmten Gebiete: In den vergangenen 50 Jahren sind die mittleren Jahrestemperaturen dort um 2,6 Grad Celsius angestiegen – im Winter noch stärker als im Sommer. Fachleute vermuten, dass die Temperaturerhöhung mit einer Verschiebung der Windsysteme zusammenhängt, durch die heute mehr warme Luft in Richtung Antarktische Halbinsel getragen wird als früher. Damit schwindet dort das Meereis, die vom Land ins Meer ragenden Schelfeise zerfallen, und die Gletscher ziehen sich zurück. Im Osten der Antarktis sind Verluste und Zugewinne der Schelfeise hingegen ausbalanciert. 

Welche Tiere sind auf das Meereis angewiesen?

Ähnlich wie in der Arktis gibt es auch in der Antarktis zahlreiche Arten, die sich an ein Leben im, auf und unter dem Eis angepasst haben. Von den sechs Robbenarten, die im Südpolarmeer zu Hause sind, pflanzen sich zum Beispiel nur die Antarktische Pelzrobbe und der Südliche See-Elefant an Land fort. Krabbenfresser-Robben, Rossrobben, Seeleoparden und Weddellrobben dagegen haben ihre Kinderstuben unmittelbar auf dem Meereis. Auch zahlreiche Pinguine nutzen diesen Lebensraum als Ruheplattform und sind daher auf eine stabile Eisdecke angewiesen. Kaiserpinguine brüten dort sogar ihre Eier aus. Unter dem Eis hat zudem einer der ökologisch wichtigsten Fische des Südpolarmeers seine Kinderstube: Der Antarktische Silberfisch, der auf dem Speiseplan vieler Pinguine und Robben steht, legt seine Eier dort in eine meterdicke Schicht aus filigranen Eiskristallen. Zudem ist das Eis im Südpolarmeer extrem wichtig für das Nahrungsnetz. Denn an seiner Unterseite wachsen winzige Algen, die von Flohkrebsen, Krill und anderen kleinen Vegetariern abgeweidet werden. Und von denen leben wiederum zahllose größere Meeresbewohner.

Was bedeutet der Rückgang des Meereises für den Antarktischen Krill?

Die kleinen, garnelenförmigen Krebstiere, die sich von Mikroalgen und Zooplankton ernähren, haben ihren Lebenszyklus perfekt auf das jährliche Wachsen und Schrumpfen des Meereises eingestellt. Die Larven schlüpfen im Herbst und müssen dann gleich den langen antarktischen Winter überstehen. Das schaffen sie dank der zahlreichen Algen, die sie unter dem Eis abweiden können. Untersuchungen haben gezeigt, dass der Krill-Nachwuchs im Winter zwei Drittel seines Kohlenstoff-Bedarfs aus solchen Eis-Algen deckt. Zugleich bieten ihm die vielen Lücken und Hohlräume im Eis ein sicheres Refugium, in dem er nachts Schutz vor Feinden findet. Wenn das Eis im Zuge des Klimawandels schwindet, können die Jungtiere den Winter wahrscheinlich nicht mehr so gut überleben. Das ist wohl einer der Gründe dafür, dass diese ökologisch so wichtigen Krebstierchen in der Westantarktis seit den 1930er Jahren deutlich zurückgegangen sind.

Kann sich der Krill an die neuen Lebensbedingungen anpassen?

Die Jungtiere haben es zwar schwerer, bei schwindendem Eis zu überleben. Gleichzeitig leben die kleinen Krebse schon heute durchaus auch in eisfreien Gebieten. Offenbar finden sie dort auch im Winter etwas zu fressen und beweisen damit ihre Flexibilität. Aussterben wird der Krill also vorerst wohl nicht. Es könnte aber sein, dass er künftig nicht mehr so gewaltige Schwärme bilden wird wie bisher. Fachleute schätzen, dass es im Südpolarmeer derzeit zwischen 300 und 500 Millionen Tonnen der kleinen Krebstierchen gibt. Sollten die Bestände künftig deutlich schrumpfen, könnte für viele andere Tiere die Nahrung knapp werden. Und ein guter Teil der beliebten Beute findet sich dann vielleicht auch nicht mehr in den gewohnten Meeresregionen, sondern zieht sich in den kälteren Süden zurück. So kann man bereits beobachten, dass der Krill von der Antarktischen Halbinsel zunehmend Richtung Amundsensee abwandert, wo die Erwärmung noch nicht so stark ist.

Welche anderen Arten hängen vom Krill ab?

Seinen norwegischen Namen Krill trägt der kleine Meeresbewohner durchaus zurecht. Denn das Wort bedeutet „was der Wal frisst“. Und tatsächlich filtern riesige Wale mit den Barten genannten Hornplatten in ihren Mäulern gewaltige Mengen davon aus dem Wasser. Ohne diese unscheinbaren Snacks könnte selbst das größte Tier der Erde, der mehr als 30 Meter lange Blauwal, nicht überleben. Doch die bis zu sechs Zentimeter langen Krebstiere sind mehr als eine reichhaltige Mahlzeit für Wale. Sie gelten als Grundnahrungsmittel des Südpolarmeeres. Denn alle größeren Bewohner dieses Lebensraums hängen direkt oder indirekt von ihnen ab. Der Antarktische Silberfisch zum Beispiel ist ein begeisterter Krillfresser und steht seinerseits ganz oben auf der Speisekarte vieler Robben und Pinguine. Das Gleiche gilt auch für etliche Tintenfische, die bei Pinguinen ebenfalls hoch im Kurs stehen. Krabbenfresser-Robben, Zügel- und Adeliepinguine ernähren sich auch direkt von Krill. Im Nahrungsnetz der Ozeane nimmt dieser damit eine Schlüsselrolle ein und ist ein Garant für das Leben im Meer.

Was wissen wir über die Folgen des Klimawandels für Pinguine?

Wenn sich die Temperaturen von Luft und Wasser, die Ausdehnung des Meereises, das Nahrungsangebot und die Verhältnisse in den Kinderstuben verändern, hat dies sehr komplexe Auswirkungen auf Pinguine. Manche Arten erobern bereits neue Brutgebiete, während andere weiter Richtung Südpol gedrängt werden und einen Teil ihres Verbreitungsgebietes aufgeben müssen. Der Adelie-Pinguin zum Beispiel hat Jahrtausende lang von den Phasen profitiert, in denen das Klima wärmer wurde. Denn wenn das Meereis schrumpfte und die Gletscher zurückgingen, wurde mehr steiniger Untergrund frei, auf dem er seine Nester bauen konnte. Inzwischen aber vollzieht sich die Erwärmung in einem solchen Ausmaß und Tempo, dass sie diesen Vögeln mehr schadet als nutzt. So haben die rasant steigenden Temperaturen auf der westlichen Antarktischen Halbinsel zu einem Rückgang der Adeliepinguine geführt, während die Bestände in anderen Regionen stabil sind oder sogar zunehmen. Als Gewinner des Klimawandels gelten dagegen die Eselspinguine. Wo die Adelies verschwinden, nimmt diese Art häufig zu. Denn sie ist für die Nahrungssuche auf offenes Wasser angewiesen. Und da sie mehr Fisch und Tintenfisch frisst, ist sie nicht so stark vom oft mit Meereis assoziierten Krill abhängig.

Was wissen wir über die Folgen des Klimawandels für Robben?

Wie sich die steigenden Temperaturen und das Schwinden des Meereises auf die Bestände der antarktischen Robben auswirken werden, kann bisher niemand genau einschätzen. Denn für die meisten Arten und Regionen gibt es noch nicht genug Langzeitstudien, aus denen man solche Trends ableiten könnte. Eine der wenigen Ausnahmen sind die See-Elefanten auf Marion Island im südlichen Indischen Ozean. Ein Team der Universität von Pretoria und des AWI hat über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren zahlreiche dieser Tiere mit Satellitensendern ausgerüstet und so einen interessanten Zusammenhang festgestellt: Demnach tauchen diese massigen Robben deutlich tiefer, wenn sie in wärmerem Wasser auf die Jagd nach Leuchtsardinen und Tintenfischen gehen. Möglicherweise liegt das daran, dass sie ihrer Beute dann in tiefere, kühlere Wasserschichten folgen müssen. Wenn sich also das Wasser im Zuge des Klimawandels weiter erwärmt, können die Tiere womöglich nur noch mit größerem Aufwand Beute machen. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass klimatische Veränderungen und ein damit verbundenes schlechteres Nahrungsangebot die Überlebensrate von jungen See-Elefanten verringern können. Andererseits dürften die steigenden Temperaturen beispielsweise an der westlichen Antarktischen Halbinsel zusätzliche eisfreie Strände schaffen, an denen die erwachsenen Tiere ihr Haarkleid wechseln und sich fortpflanzen können. Selbst bei den relativ gut untersuchten See-Elefanten sind Prognosen für die Zukunft daher noch unsicher.

Bei den meisten anderen Arten lassen sich solche Einschätzungen bisher nur aus ihren Ansprüchen ableiten. Die hochspezialisierte und unmittelbar von Krill und Meereis abhängige Krabbenfresser-Robbe dürfte demnach empfindlicher auf den Klimawandel reagieren als etwa die Weddellrobbe, die ein breiteres Beutespektrum hat. Vor allem im Bereich der westlichen Antarktischen Halbinsel dürften sich die „Restaurants“ der Krabbenfresser künftig weiter vom Küstenschelf entfernen und nach Süden verlagern. 

Schon heute scheinen die Eisverhältnisse das Verhalten der Meeressäuger zu beeinflussen. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie, bei der Fachleute des AWI und des Helmholtz-Instituts für Funktionelle Marine Biodiversität (HIFMB) in Oldenburg die Stimmen verschiedener antarktischer Robbenarten im Weddellmeer aufgezeichnet haben. Demnach hat der Rückzug des Eises hörbare Folgen: Gebiete, in denen normalerweise zahlreiche Robbenstimmen zu hören sind, werden in Zeiten mit wenig Eis plötzlich ganz still.

Was wissen wir über die Folgen des Klimawandels für Wale?

Ähnlich wie bei den Robben ist auch die Reaktion der Wale auf den Klimawandel schwer einzuschätzen. Fachleute gehen davon aus, dass Änderungen in den Meereis-Verhältnissen auch für diese Meeressäuger direkte und indirekte Folgen haben werden. So gibt es Arten wie den Antarktischen Zwergwal, die sich im Winter gern in eisbedeckte Meeresbereiche zurückziehen. Es ist deshalb durchaus möglich, dass diese Tiere ihre Verbreitungsgebiete in die kälteren Regionen weiter im Süden verschieben werden. Viele andere Wale dagegen meiden eine dicke Eisdecke. Diese könnten sich künftig also länger in Regionen aufhalten, die ihnen bisher die meiste Zeit versperrt blieben.

Neben der Eisdecke ist es vor allem die Verteilung der Beutetiere, die sich im Zuge des Klimawandels verändern dürfte. Wo beispielsweise weniger Krill vorkommt, tauchen mitunter vermehrt die sogenannten Salpen auf. Diese gallertartigen Manteltiere bevorzugen wärmeres Wasser und weniger Eis. Als Wal-Leckerbissen sind sie wohl bei weitem nicht so beliebt wie der Krill. Das könnte die Wale dazu bewegen, in Regionen mit mehr Krill abzuwandern. Zudem könnte der gewohnte Jahresablauf der Meeressäuger in der Antarktis in Zukunft immer häufiger gestört werden. Denn der Klimawandel dürfte der Welt mehr El-Niño-Ereignisse bescheren. Und diese Klima-Anomalie hat einen großen Einfluss auf die Verteilung von Buckelwalen. Mithilfe von Unterwassermikrofonen hat ein AWI-Team festgestellt, dass sich diese Tiere meist das ganze Jahr hindurch im Weddellmeer aufhalten – außer, wenn gerade El Niño herrscht. Dann sind ihre Stimmen kaum einmal zu hören. Vermutlich gibt es dort in dieser Zeit weniger Krill, während sich das Angebot anderenorts verbessert. 

Was bedeutet es für die Bewohner der Antarktis, wenn Stücke vom Schelfeis abbrechen?

Einerseits ist so ein Ereignis für die Tiere am Meeresboden seit jeher eine gefährliche Sache. Denn in flachen Küstengewässern hobeln die abgebrochenen Eisberge über den Grund und töten dabei Organismen, die sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen können. Mit zunehmendem Klimawandel könnte das künftig häufiger vorkommen. Andererseits herrschen unter dem Schelfeis normalerweise eher tiefseeähnliche Bedingungen: Dunkelheit und ein knappes Nahrungsangebot lassen dort kein besonders üppiges Leben gedeihen. Das ändert sich rasch, wenn durch das Abbrechen des Eises mehr Licht ins Wasser fällt. Das hat sich zum Beispiel im Weddellmeer gezeigt, wo sich im Januar 1995 das Larsen-A-Schelfeis auflöste. Zwanzig Jahre später lebten dort viel mehr Arten als zuvor. Selbst Glasschwämme, die eigentlich als sehr langsam wachsende Organismen galten, haben dort in wenigen Jahren große Flächen besiedelt. Und mit ihnen kamen zahlreiche andere Meeresbewohner wie Seesterne, Krill und Eisfische, Korallen, Robben und Antarktische Zwergwale.

Was bedeutet der Rückzug der Gletscher für das Meeresleben?

Der Fourcade Gletscher auf King George Island hat sich in 50 Jahren mehr als einen Kilometer weit ins Landesinnere zurückgezogen. Dadurch ist vor der Küste der Bucht Potter Cove ein eisfreier, neuer Lebensraum für Algen und andere Meeresbewohner entstanden. Doch der hat seine Tücken. Denn vom zurückweichenden Gletscher fließen im Sommer große Mengen Schmelzwasser ins Meer, die reichlich feine Sedimente mit sich tragen. Dadurch wird der Ozean zwar mit Eisen gedüngt, das für das Algenwachstum wichtig und in der Region chronisch knapp ist. Andererseits trübt das eingetragene Material das Wasser, so dass die Algen weniger Licht zum Wachsen haben. Wenn die Algen absterben, sinken ihre Überreste auf den Grund und werden dort von Mikroorganismen zersetzt. Dadurch sinkt der Sauerstoffgehalt, und am Meeresboden bildet sich eine dicke Schlickschicht. Dort siedeln sich dann Arten an, die sich von Algenresten oder tierischer Beute ernähren und mit wenig Sauerstoff zurechtkommen. Muscheln, Seescheiden und Schwämme, die ihre Nahrung aus dem Wasser filtern, haben dagegen keine Chance. Und auch der Krill ist aus der Potter Cove verschwunden. Krillfresser wie die Adeliepinguine müssen also weiter hinausschwimmen, um sich den Magen zu füllen. 

Wandern die alteingesessenen Antarktis-Bewohner nach Süden?

Einen Trend, der zunehmenden Erwärmung auszuweichen, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beispielsweise bei den Südlichen See-Elefanten beobachtet. Die massigen Robben verlagern ihre Territorien vermehrt in die kälteren Gebiete weiter im Süden und geben die weiter nördlich gelegenen auf. Ähnliches gilt beispielsweise auch für Zügelpinguine und Antarktische Zwergwale.

Können sich manche Bewohner der Antarktis besser an die neuen Bedingungen anpassen als andere?

Generalisten, die ein großes Spektrum an Temperaturen vertragen und verschiedene Nahrungsquellen nutzen können, haben im Klimawandel deutlich bessere Zukunftschancen als die Kältespezialisten. Leuchtsardinen gehören beispielsweise zu den Bewohnern des Südpolarmeeres, die mit den neuen Bedingungen relativ gut zurechtkommen dürften. 

Gibt es in der Antarktis heute mehr Pflanzen als früher?

Für Landpflanzen ist die Antarktis kein Schlaraffenland. Sie können nur auf den wenigen eisfreien Flächen gedeihen, und selbst dort machen Kälte, Trockenheit, extrem kurze Vegetationsperioden und andere Widrigkeiten das Überleben zur Herausforderung. Nur zwei Arten von Blütenpflanzen trotzen diesen harschen Bedingungen: Ein Gras namens Antarktische Schmiele und die Antarktische Perlwurz, die zur Familie der Nelkengewächse gehört. Ansonsten besteht die Vegetation vor allem aus Moosen und Flechten. Mit dem Klimawandel beginnt der Eiskontinent grüner zu werden. So haben sich die Wachstumsraten der Moose auf der Antarktischen Halbinsel in den vergangenen 50 Jahren teilweise verfünffacht. Und auch die beiden Blütenpflanzen breiten sich seit etwa 2009 nicht nur deutlich aus. Sie wachsen auch viel schneller, und ihre Bestände werden dichter als in früheren Jahrzehnten.

Welche Schutzgebiete gibt es in der Antarktis?

Der 1961 in Kraft getretene Antarktis-Vertrag legt fest, dass die unbewohnte Antarktis zwischen dem 60. und dem 90. südlichen Breitengrad nur zu friedlichen und vor allem wissenschaftlichen Zwecken genutzt werden darf. Diese Regelung bildet die Grundlage für den Schutz der Eis-Welt im tiefen Süden. Zusätzlich haben die Vertragsstaaten 1991 das Umweltschutzprotokoll (USP) zum Antarktis-Vertrag beschlossen. Dieses verbietet den kommerziellen Abbau von Bodenschätzen und legt fest, dass die Antarktis mitsamt ihren Pflanzen- und Tierbeständen und einer bestimmten Luft- und Wasserqualität als Naturreservat für künftige Generationen geschützt werden soll. Gebiete von besonderem ökologischem oder wissenschaftlichem, historischem oder ästhetischem Wert können laut USP zudem als spezielle Schutzgebiete ausgewiesen werden. Diesen Status genießen zum Beispiel verschiedene Inseln mit Brutkolonien von Pinguinen und anderen Vögeln, die Amundsen-Scott-Südpolstation und die historische Hütte von Polarforscher Ernest Shackleton. Darüber hinaus gibt es in der Antarktis auch spezielle Meeresschutzgebiete, die nach der sogenannten CCAMLR-Konvention („Convention on the Conservation of Antarctic Marine Living Resources“) ausgewiesen werden. Das erste davon war 2009 ein mehr als 94.000 Quadratkilometer großes Gebiet bei den Süd-Orkney-Inseln, 2016 kamen 1,55 Millionen Quadratkilometer im Rossmeer dazu. Geplant sind zudem drei weitere Meeresschutzgebiete: Eines an der Antarktischen Halbinsel, eines in der Ost-Antarktis und eines im Weddellmeer, das mit einer Fläche von mehr als drei Millionen Quadratkilometern das weltweit größte Meeresschutzgebiet seiner Art wäre. Die wissenschaftlichen Daten für den Vorschlag zum Schutz des Weddellmeers (Phase 1) wurden von Expertinnen und Experten des AWI zusammengetragen und ausgewertet.

Können diese Schutzgebiete helfen, die dortigen Arten trotz des Klimawandels zu erhalten?

Schutzgebiete können das Überleben von Arten fördern, die durch den Klimawandel unter Stress geraten sind. Zwar können Meeresschutzgebiete sich nicht direkt vor den Folgen des Klimawandels schützen. Sie bieten jedoch Refugien, in denen zusätzliche menschliche Einflüsse auf das Ökosystem verringert oder ganz ausgeschlossen werden. Dies ermöglicht es den Arten, sich besser an die veränderten Bedingungen anzupassen. Ein besonderes Refugium für kälteangepasste Arten könnte in Zukunft das Schutzgebiet im Weddellmeer bieten. Denn aufgrund seiner Eisbedeckung und der günstigen Strömungen wird es voraussichtlich eine der letzten Regionen im Südpolarmeer sein, in der die Auswirkungen des Klimawandels spürbar werden. Um diesen Schutz effektiv zu gewährleisten, sollten die Schutzgebiete jedoch möglichst groß sein. Nur so können sie zum Beispiel das Überleben von Pinguinen sichern, wenn sich deren Nahrungsquellen in andere Regionen verschieben.

Welche Folgen hat der Klimawandel für die Fischerei im Südpolarmeer?

Nicht nur Robben, Pinguine und Wale haben Interesse am Antarktischen Krill. Auch menschliche Fischereiflotten stellen ihm nach. Denn als Fischfutter für Aquakulturen lässt sich der kleine Krebs ebenso verwenden wie als Zutat für Nahrungsergänzungsmittel oder Wundheilungscremes. Gefangen wird er vor allem in der West-Antarktis, im nördlichen Weddellmeer und vor der Antarktischen Halbinsel. Dort hat sich der Krill-Fang bereits von einer Sommer- zu einer Winterfischerei entwickelt. Wie groß die Fangmengen künftig sein werden, ist allerdings schwer vorherzusagen. In einigen Regionen werden sie wahrscheinlich zunehmen, während die Krillfischerei anderenorts womöglich eingestellt werden muss. Die zweite wichtige Fischerei in der Antarktis ist die auf den Schwarzen Seehecht. Dessen Bestände scheinen derzeit stabil zu sein. Doch da man nur sehr wenig über seinen Lebenszyklus weiß und sein Nachwuchs womöglich unter dem zunehmend schwindenden Meereis lebt, könnten Fischer da noch eine böse Überraschung erleben.

Kontakt

Portraitfoto von Dr. Hauke Flores.

Hauke Flores

Meereisökologe Dr. Hauke Flores, Experte für das Leben im Polarmeer
Portraitfoto von Prof. Dr. Bettina Meyer in den Dünen.

Bettina Meyer

Meeresbiologin Prof. Dr. Bettina Meyer, Expertin für polare Schlüsselarten