Mehr als ein Viertel des weltweiten Meeresspiegelanstieges wird derzeit durch den Massenverlust des grönländischen Eisschildes verursacht. Wissenschaftler beobachten seit etwa zwei Jahrzehnten mit Sorge, wie der Klimawandel den Eismassen Grönlands in einem immer größer werdenden Ausmaß zusetzt.
Der Eisschild verliert Eis, indem zum einen die Gletscher ihr Fließtempo beschleunigen und somit mehr Eis in den Ozean entlassen als sich im Inland neu bildet. Zum anderen schmelzen die Eisströme im Sommer inzwischen so großflächig an ihrer Oberfläche, dass sich an vielen Stellen Seen und reißende Bäche bilden und das Schmelzwasser Richtung Meer abfließt.
Welche Rolle der wärmer werdende Ozean in dieser Entwicklung spielt, untersuchen ab dem 1. Mai 2017 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus acht deutschen Universitäten und Forschungszentren im neuen Verbundprojekt "Grönland-Eisschild/Ozean-Wechselwirkung" (GROCE), welches das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt 3,5 Millionen Euro fördert.
Das auf drei Jahre angelegte Projekt vereint Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Bonn, Bremen, Dresden, Kaiserslautern und Erlangen-Nürnberg sowie Experten des GEOMAR – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung, des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen und des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Die Projektkoordination übernimmt das AWI.
„Wir haben uns gemeinsam das Ziel gesetzt, die komplexen Wechselwirkungen zwischen dem Grönländischen Eisschild, der Erdkruste, der Atmosphäre und dem Ozean besser zu verstehen. Der Schlüssel zur Beantwortung unserer Forschungsfragen liegt dabei in der Integration der exzellenten fachlichen Kompetenzen in der Beobachtung und numerischen Modellierung, die wir nun zum ersten Mal in diesem Forschungsverbund zusammenbringen“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Torsten Kanzow, Ozeanograph am Alfred-Wegener-Institut.
Die Ozeanographen, Glaziologen und Geodäten werden dazu in diesem und nächsten Jahr koordinierte Flugzeug-, Schiffs- und Feldkampagnen im Nordosten Grönlands durchführen und ihre Messergebnisse anschließend mithilfe ausgewählter Computermodelle auswerten. „Die Ergebnisse sollen es uns ermöglichen, die Wechselwirkungen zwischen Eisschild und Ozean realitätsnäher in Klimamodelle einzufügen, sodass wir besseren Vorhersagen zu Veränderungen des Meeresspiegels und der Ozeanzirkulation treffen können“, erklärt AWI-Ozeanographin Prof. Dr. Ursula Schauer.
Ein Kerngebiet der Messkampagnen wird der 79-Grad-Nord-Gletscher im Nordosten Grönlands sein. Er nimmt im Vergleich zu den anderen Gletschern Grönlands fast schon eine Sonderrolle ein, denn im Gegensatz zu den Eisströmen an der West- und Südküste galt dieser Gletscher lange Zeit als stabil. Nun mehren sich die Anzeichen, dass sich auch der 79-Grad-Nord-Gletscher verdünnt. Noch allerdings weist er eine etwa 80 Kilometer lange, auf dem Meerwasser schwimmende Eiszunge auf. „Für uns Glaziologen wird es extrem spannend sein, in diesem Sommer genau an jener Stelle des Gletschers zu forschen, an dem er den Kontakt zum Meeresgrund verliert und aufschwimmt. Diese sogenannte Aufsetzlinie spielt für unsere Eismodelle eine entscheidende Rolle, weil an diesem Punkt die Wärme des Ozeans ebenso ins Spiel kommt wie sein Fließverhalten und andere physikalische Parameter des Eisstromes“, sagt AWI-Glaziologin Prof. Dr. Angelika Humbert.
„Bisher wurden diese zwei riesigen Systeme Eisschild und Ozean meist unabhängig voneinander untersucht. In GROCE arbeiten Glaziologen, Geodäten und Ozeanographen zusammen, um die Schnittstelle zwischen Eis und Ozean gemeinsam zu erforschen und die Frage zu beantworten, ob es dort Veränderungen gibt, die für unser Klima und den Meeresspiegelanstieg von Bedeutung sind. Das allein schon macht dieses Projekt für uns so reizvoll“, ergänzt Ursula Schauer.