Eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius würde schnelle, weitreichende und nie dagewesene Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft erfordern. Das erklärte der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) basierend auf einem neuen Gutachten. Neben Vorteilen für Menschen und natürliche Ökosysteme könnte auch die nachhaltigere und gerechtere Entwicklung der Gesellschaft von einer Limitierung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zu 2 Grad Celsius profitieren.
Der Sonderbericht zur globalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius wurde am Samstag, 6. Oktober 2018, in Incheon, Republik Korea, vom IPCC verabschiedet. Er leistet einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag zur Klimakonferenz in Katowice, Polen, im Dezember, wenn Regierungen das Übereinkommen von Paris zur Bekämpfung des Klimawandels überprüfen. „Mit mehr als 6.000 zitierten wissenschaftlichen Referenzen und dem engagierten Beitrag von Tausenden von wissenschaftlichen Fachleuten und Regierungsexpertinnen und -experten weltweit ist dieser wichtige Bericht ein Zeugnis für die Breite und politische Relevanz des IPCC“, sagte Hoesung Lee, Vorsitzender des IPCC.
Die Zusammenfassung für Entscheidungsträger stellt die wichtigsten Ergebnisse des Sonderberichts dar, die auf einer Bewertung der verfügbaren wissenschaftlichen, technischen und sozioökonomischen Literatur beruhen, die für die globale Erwärmung von 1,5 Grad Celsius relevant ist.
„Eine der Kernaussagen, die sehr deutlich aus diesem Bericht hervorgehen, ist, dass wir bereits die Folgen von 1 Grad Celsius globaler Erwärmung sehen – neben anderen Änderungen etwa extremeres Wetter, steigende Meeresspiegel und eine Abnahme des Meereises in der Arktis“, sagte Panmao Zhai, Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe I.
Der Bericht hebt eine Reihe von Auswirkungen des Klimawandels hervor, die vermieden werden könnten, indem die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber 2 Grad Celsius oder mehr begrenzt würde. Zum Beispiel wäre der Anstieg des globalen Meeresspiegels bis 2100 bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius im Vergleich zu 2 Grad Celsius um 10 Zentimeter niedriger. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Arktische Ozean im Sommer frei von Meereis bleibt, läge bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius bei einmal pro Jahrhundert, verglichen mit mindestens einmal pro Dekade bei 2 Grad Celsius. Korallenriffe würden bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius um 70 bis 90 Prozent abnehmen, während bei 2 Grad Celsius praktisch alle Riffe (mehr als 99 Prozent) verloren gehen würden.
„Jede geringste zusätzliche Erwärmung erhöht das Risiko von lang anhaltenden oder unwiderruflichen Auswirkungen wie dem Verlust des grönländischen Eisschildes oder der Warmwasserkorallenriffe, mit deutlichen Unterschieden zwischen einer Erwärmung von 1,5 Grad Celsius und 2 Grad Celsius“, erklärt Hans-Otto Pörtner, Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe II.
Die Begrenzung der globalen Erwärmung würde auch den Menschen und Ökosystemen mehr Spielraum zur Anpassung geben und wichtige Risikoschwellen vermeiden, fügte Pörtner hinzu. Der Bericht untersucht auch Entwicklungspfade, mittels derer sich die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen ließe, Maßnahmen, die erforderlich wären, um sie zu erreichen, und welche Folgen diese haben könnten.
„Die gute Nachricht ist, dass auf der ganzen Welt bereits einige der Arten von Maßnahmen genutzt werden, die nötig wären, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Aber sie müssten zunehmen“, sagte Valerie Masson-Delmotte, Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe I.
Dem IPCC-Sonderbericht zufolge würde eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius „schnelle und weitreichende“ Veränderungen in Landnutzung, Energie, Industrie, Gebäuden, Verkehr und Städten erfordern. Die weltweiten Kohlendioxidemissionen (CO2) müssten bis 2030 um mindestens 35 Prozent gegenüber dem Stand von 2010 gesenkt werden und bis 2050 „netto Null“ erreichen. Dies bedeutet, dass alle verbleibenden Emissionen ausgeglichen werden müssen, indem CO2 aus der Luft entfernt wird. „Die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius ist nach den Gesetzen der Chemie und Physik möglich. Aber dies würde nie dagewesene Änderungen erfordern“, sagte Jim Skea, Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe III.
„Die Entscheidungen, die wir heute treffen, sind entscheidend, um eine sichere und nachhaltige Welt für alle zu sichern, sowohl jetzt als auch in der Zukunft“, sagte Debra Roberts, Ko-Vorsitzende der IPCC-Arbeitsgruppe II. „Dieser Bericht bietet Entscheidungsträgern und Praktikern die nötigen Informationen, um Entscheidungen zur Bekämpfung des Klimawandels zu treffen und gleichzeitig den lokalen Kontext und die Bedürfnisse der Menschen zu berücksichtigen. Die nächsten Jahre sind wahrscheinlich die wichtigsten in unserer Geschichte.“
Am Alfred-Wegener-Institut stehen Ihnen zudem folgende Experten für eine Einschätzung zu den Folgen von 1,5 °C Erwärmung zur Verfügung:
Prof. Dr. Angelika Humbert ist Expertin rund um das Thema Festland- und Schelfeis. Sie leitet die AWI-Sektion Glaziologie. Die Antwort auf die Frage, welche Inseln und Küstenregionen der Erde künftig noch bewohnbar sein werden, hängt vor allem davon ab, wie stark die Eismassen Grönlands und der Antarktis weiter abnehmen werden.
„Der Sonderbericht betrachtet die Erwärmung um 1,5 Grad im Vergleich zu 2 Grad im Jahr 2100. Doch auf dem Weg dorthin wird es sehr wichtig sein, kein Overshoot zu erzeugen – also diesen Grenzwert nicht zeitweise zu überschreiten. Unsere Forschung zeigt, dass der Massenverlust des grönländischen Eisschildes sonst um 38 Prozent zunimmt.“ – Angelika Humbert
Prof. Dr. Christian Haas ist Leiter der AWI-Sektion Meereisphysik. Das Meereis ist ein sensibler Indikator für Veränderungen im globalen Klimasystem und eignet sich somit als Parameter für die Beobachtung des Klimawandels.
„Bei einer globalen Erwärmung von maximal 2 Grad beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass die Arktis im Sommer komplett eisfrei ist 80 Prozent. Bei einer Erwärmung von 1,5 Grad beträgt diese 10 Prozent. In jedem Fall bedeutet das Verschwinden des Meereises auch den Verlust eines bedeutenden Ökosystems und wird unter anderem die arktische Artenvielfalt stark beeinflussen, mit Auswirkungen auf die arktische und globale Nahrungskette.“ – Christian Haas
Prof. Dr. Thomas Jung leitet die Sektion Klimadynamik am AWI. Der Klimawissenschaftler ist außerdem für die Koordination und Umsetzung des Year of Polar Prediction zuständig. Das Ziel des Großprojektes mit Partnern aus mehr als 20 Ländern ist es, die Wetter-, Eis- und Klimavorhersagen für die Arktis und Antarktis so umfassend zu verbessern.
„Für die Arktis sind weder 1,5 Grad noch 2 Grad realistische Szenarien. Durch die polare Verstärkung erwärmt sie sich fast dreimal so schnell wie andere Regionen auf der Erde.“ – Thomas Jung
Prof. Dr. Markus Rex ist Atmosphärenforscher und erforscht unter anderem die Wechselwirkungen zwischen Klimaänderungen und der Ozonschicht. Er leitet die Sektion Physik der Atmosphäre. Für das Verständnis von Schlüsselprozessen im arktischen und antarktischen Klimasystem sind atmosphärische Messungen der Energiebilanz am Boden, Wärme- und Feuchtigkeitsflüsse, Wolken- und Aerosoleigenschaften, sowie von Wasserdampf und Ozon unerlässlich.
„Eine eisfreie Arktis hätte erhebliche Folgen für das Wettergeschehen in Mitteleuropa. Wir rechnen in so einem Szenario mit verstärkten Hitzewellen im Sommer und trotz der allgemeinen Erwärmung sogar mit gelegentlichen sehr intensiven Kältephasen im Winter. Unsere Generation ist dafür verantwortlich, wie drastisch diese Folgen ausfallen werden. Eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts würde das Risiko einer sommerlich eisfreien Arktis deutlich reduzieren.“ – Markus Rex
Prof. Dr. Dieter Wolf-Gladrow ist Experte für das marine Karbonatsystem (CO2 im Meerwasser) und leitet die AWI-Sektion Polare Biologische Ozeanographie. Er untersucht wie die Ökosysteme der polaren Ozeane auf den Klimawandel reagieren.
Über den IPCC
Der IPCC ist das weltweit führende Gremium für die Bewertung der Wissenschaft im Zusammenhang mit dem Klimawandel, seiner Auswirkungen und potenziellen künftigen Risiken sowie möglicher Handlungsoptionen. Der Bericht wurde unter der wissenschaftlichen Leitung aller drei IPCC-Arbeitsgruppen erstellt. Arbeitsgruppe I bewertet die physikalischen Grundlagen des Klimawandels; Arbeitsgruppe II befasst sich mit Auswirkungen, Anpassung und Anfälligkeit; und die Arbeitsgruppe III befasst sich mit der Abschwächung des Klimawandels.
Das Pariser Abkommen, das im Dezember 2015 auf der 21. UNFCCC-Konferenz von 195 Staaten verabschiedet wurde, beinhaltete das Ziel, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau, wenn möglich auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Der IPCC wurde eingeladen, 2018 einen entsprechenden Sonderbericht vorzulegen. Der IPCC folgte der Einladung und fügte hinzu, dass der Sonderbericht diese Fragen im Zusammenhang mit der Stärkung der globalen Antwort auf die Bedrohung durch den Klimawandel, nachhaltige Entwicklung und Bemühungen zur Beseitigung der Armut behandeln würde.
Der Sonderbericht „1,5°C globale Erwärmung“ ist der erste in einer Reihe von Sonderberichten, die im Sechsten Berichtszyklus des IPCC erstellt werden. Im nächsten Jahr wird der IPCC Sonderberichte über den Ozean und Eisgebiete im Klimawandel (Special Report on the Ocean and Cryosphere in a Changing Climate , SROCC) sowie über Klimawandel und Land (Special Report on Climate Change and Land, SRCCL) veröffentlichen, der untersucht, wie der Klimawandel die Landnutzung beeinflusst.