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Plastik ist überall – in Verpackungen, Technik und Automobilen oder Kleidung. Immer häufiger taucht Plastik jedoch auch dort auf, wo es nicht hingehört. In den Tiefen des Ozeans, selbst an den entlegensten Ecken unseres Planeten, in Tieren und sogar im Menschen finden sich große und winzig kleine Plastikteile. Um diese Krise zu bekämpfen, haben sich die Mitglieder der Vereinten Nationen im kanadischen Ottawa vom 23. bis 29. April 2024 getroffen, um über ein globales Plastikabkommen zu beraten. Ziel ist, ein Instrument zu entwickeln, mit dem die Plastikverschmutzung – auch in der Meeresumwelt – bekämpft werden kann. Dieses soll den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen berücksichtigen. Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut begleitete von Anfang an die Verhandlungen und war als Teil der deutschen Delegation vor Ort sein.
"Wir haben uns endlich auf den Weg gemacht, dass nun auch die Chemikalien in Plastikprodukten Teil der Arbeit zwischen den Verhandlungsrunden (intersessional work) sein werden; an einem Mandat für intersessional work sind wir bei der letzten Verhandlungsrunde in Nairobi noch gescheitert. Allerdings wird der neue Textentwurf für das Abkommen wahrscheinlich noch mehr Optionen, Positionen und mehr als 3.600 Textklammern enthalten, sodass es noch schwerer wird, in der verbleibenden Zeit einen Kompromiss zu finden.
Insgesamt war es ernüchternd zu erleben, wie oft Staaten Zweifel bezüglich des aktuellen Wissensstandes äußerten, um ihre Positionen zu rechtefertigen. Außerdem war die stark angestiegene Präsenz von Lobbyisten sehr spürbar, die zum Teil versuchten, Wissenschaftler:innen öffentlich zu diskreditieren. Insgesamt war es bei aller Frustration über die langsamen, ineffizienten Prozesse aber auch extrem motivierend zu sehen, dass die Stimme der Wissenschaft etwas verändern konnte. 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty waren vor Ort und haben hochmotiviert von früh morgens bis in den späten Abend mitgearbeitet, Fehlinformationen mit ‚Rapid Responses‘ entgegengewirkt, die Verhandlungen protokolliert, bilaterale Gespräche geführt, Vorträge gehalten und bei Panels mitgewirkt. Viele Staaten haben einfach nicht den Zugang zu der benötigten Expertise und es gibt Sprachhürden. Es war toll zu erleben, dass sich hier zum Teil nach Gesprächen mit der Wissenschaft auch Positionen verändert haben.
Einige Staaten, haben die Deklaration 'Bridge to Busan' unterzeichnet, und auch die EU hat dies angekündigt. Sie verpflichten sich, ambitioniertere Ziele zu verfolgen. Die G7-Staaten haben sich am letzten Verhandlungstag erstmalig dafür ausgesprochen, die Produktion von primärem Plastik zu reduzieren. Hoffen, wir, dass dies wichtige Signale an die Verhandelnden aussendet und ihnen das nötige Selbstvertrauen gibt, in Busan einen ambitionierten Vertragstext zu erarbeiten!"
Melanie Bergmann
Delegierte aller 193 UN-Mitgliedstaaten sowie Vertreter:innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft treffen sich bereits zum vierten Mal, um die Weichen, für ein rechtsverbindliches Abkommen (UN Plastics Treaty) zu stellen, das die Plastikverschmutzung eindämmen soll. Der Treaty soll bei der fünften Sitzung, die im November in Busan (Südkorea) stattfindet, final beschlossen und anschließend bei einer diplomatischen Konferenz der Bevollmächtigten verabschiedet werden. Wie dringend das ist zeigt, eine ganz aktuelle Studie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung UFZ. Die Forschenden haben in einem sehr entlegenen Meeresschutzgebiet im Pazifischen Ozean nun ebenso große Mengen Plastikmüll und Mikroplastik nachgewiesen, wie in einem der größten bekannten Müllstrudel. Sie warnen, dass Plastik viel großräumiger verteilt ist als vermutet und das gesamte Ökosystem Ozean bedroht. Das belegt auch eine weitere Veröffentlichung, in der Wissenschaftler:innen kürzlich erstmals nachgewiesen haben, dass die Umweltbelastung durch Mikroplastik im antarktischen Weddellmeer sehr viel höher ist als bisher angenommen.
Studien wie diese unterstreichen die Bedeutung, die der Wissenschaft bei den Verhandlungen zum UN Plastics Treaty zukommt: „Alle Entscheidungen und Maßnahmen, um die Plastikflut global zu stoppen, müssen auf den besten wissenschaftlich unabhängigen Grundlagen beruhen, damit sie am Ende wirksam sind“, sagt Melanie Bergmann. Die AWI-Meeresbiologin ist Teil der “Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty”. Das Netzwerk von über 350 unabhängigen Fachleuten aus mehr als 30 Ländern unterstützt die Verhandlungen mit Einschätzungen und Zusammenfassungen des aktuellen Forschungsstandes. Diese sollen den Delegierten helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Diese Entscheidungen dürfen sich nicht nur auf das Plastik beziehen, dass aktuell im Umlauf ist. „Für das globale Plastikabkommen ist es wichtig, ambitionierte Ziele zu formulieren, die den gesamten Lebenszyklus des Plastiks in den Blick nehmen; von der Rohstoffgewinnung über die Produktion in der Fabrik und den anschließenden Gebrauch bis hin zum Ende, sei es auf einer Deponie, in der Müllverbrennung oder im Recycling“, betont Melanie Bergmann. Für die Forscherin und ihre Kolleginnen und Kollegen von der Scientists Coalition und vielen anderen Institutionen steht fest, dass die Produktion von Plastik stark reduziert werden muss, um das Problem wirksam zu lösen. Denn selbst wenn die Plastikproduktion um ein bis drei Prozent pro Jahr gesenkt würde, würde die weltweite Plastikverschmutzung weiter steigen, da sich die Mengen produzierten Plastiks bis 2040 auf mindestens 20.000 Millionen Tonnen Plastik aufsummieren werden. Wo sich der Einsatz von Plastik nicht vermeiden lässt, muss an der Zusammensetzung geschraubt werden. Denn: „Plastik enthält mindestens 16.000 verschiedene Chemikalien. Ein Viertel davon ist als gefährlich eingestuft, aber für 10.000 fehlen uns Daten.“ Im besten Fall würde der Plastics Treaty daher auch eine Liste mit positiven und negativen Gruppen von Inhaltsstoffen festlegen, um eine unbedenkliche Zusammensetzung von Plastikprodukten zu erreichen.
Wo starten wir in Ottawa?
Im öffentlichen Diskurs wird vor allem Recycling als Lösung für die Plastikverschmutzung betont und damit auch die Verantwortung bei den Konsumentinnen und Konsumenten gesehen. Forschende sehen jedoch einen anderen Ursprung des Plastikproblems: die petrochemische Industrie, die Plastik herstellt. Und genau hier liegt auch die Krux der Verhandlungen: „Der Stand aktuell ist nicht leicht, es ist sehr unübersichtlich geworden, wo die Reise für die Verhandelnden hingehen kann“, so Melanie Bergmann. Vertreter:innen der Zivilgesellschaft versuchen ein ambitioniertes Abkommen zu erreichen, um vor allem Produktionsgrenzen und die Gesundheitsrisiken von Plastik in den Blick zu nehmen. Wohingegen Vertreter:innen aus der Industrie versuchen, die Produktion weiter zu steigern, um ihre Gewinne auf gleichem oder ansteigendem Niveau zu halten. Einige Staaten mit einer starken petrochemischen oder fossilen Industrie fürchten um ihren Wohlstand. „Verzögerungstaktiken haben in der letzten Verhandlungsrunde dazu geführt, dass sich die Seitenzahl des ersten ‚Null-Entwurfs‘ mehr als verdoppelt hat und mehr unterschiedliche Optionen enthält, anstatt gemeinsame Positionen herauszuarbeiten.“
Große Unklarheit herrscht auch noch über die Art und Weise, wie das Abkommen beschlossen werden soll: Mehrheit oder im Konsens, letzteres wäre gleichbedeutend mit einem Veto. Diese Frage ist nicht trivial, denn im Vorfeld der Verhandlungen hatten sich mehr als 100 der 193 Mitgliedsstaaten für eine Reduzierung der Kunststoffproduktion ausgesprochen. Weniger als 15 Staaten plädierten für eine Steigerung der Plastikproduktion. „Ein Grund für das Scheitern der Verhandlungen bei den Weltklimakonferenzen (COP) ist, dass ein Staat zu Beginn des Prozesses vor rund 30 Jahren das Konsensprinzip einforderte“, erklärt Melanie Bergmann.
Was erhofft sich Melanie Bergmann von den Verhandlungen in Ottawa? „Ich wünsche mir, dass wir jetzt endlich verbindlich festlegen können, wie am Ende über den Treaty entschieden wird. Nur so können wir einen langfristig funktionierenden Prozess erreichen und ehrgeizige Ziele festlegen, um die Plastikproduktion und damit den Eintrag in die Meere und die Umwelt wirksam zu reduzieren.“ Das sei auch bitter nötig, wie die Biologin aus eigener Erfahrung weiß: „Meine Forschung in der Arktis zeigt, dass wir selbst in diesen unberührten Regionen fernab von menschlichen Aktivitäten sehr hohe Mengen an Plastik und Mikroplastik finden. Für mich ist das ein deutliches Alarmsignal und ein Ansporn, dafür zu sorgen, dass wir jetzt einen Plastics Treaty bekommen, der diese fragile Region und die Biosphäre des gesamten Planeten schützt.“
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