"Es ist nichts selbstverständlich oder planbar"
Seit Herbst 2019 driftet der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern ein Jahr lang durch das Nordpolarmeer. Auf der MOSAiC-Expedition erforschen Wissenschaftler aus 20 Nationen die zentrale Arktis im Jahresverlauf. Im Juni 2020 hat Kapitän Thomas Wunderlich das Kommando von seinem Kollegen Stefan Schwarze übernommen. Entgegen der ursprünglichen Planung musste die Polarstern dafür das Eis verlassen, um Austausch und Versorgung bei Spitzbergen durchzuführen. Im Gespräch berichtet Thomas Wunderlich über die Anfahrt und seine Erwartungen.
Wie war die Anfahrt von Spitzbergen zurück zur MOSAiC-Scholle, auch verglichen mit den Erfahrungen, die Polarstern-Kapitän Stefan Schwarze auf dem Weg nach Süden gemacht hat?
Wir hatten die gute Voraussetzung, dass wir uns den Weg gen Nord ins Eis aussuchen konnten. Es gab diverse Ansätze und Analysen, die uns dahingehend unterstützt haben, die richtige Eintrittsposition zu finden. Wichtig ist, wie bereits schon zu Zeiten der alten Entdecker, den Weg ins Eis zu finden, nicht sinnlos irgendwo reinzufahren. Stefan Schwarze hatte im Vergleich dazu auf der Südtour solch eine Ausgangsposition nicht. Er hatte seine Position und musste den Weg Richtung Spitzbergen nehmen, der sich ihm gegeben hat. Es ist klar, dass die Seegebiete des äußeren arktischen Eises nicht dem Druck unterstehen, wie die der inneren oder sogar der zentralen Arktis. Auch die Schollendimensionen sind eine andere. Auf Basis dessen konnten wir die ersten Tage gut und zügig Wegstrecke zurücklegen.
Hat das Wetter mitgespielt?
Windrichtung und Sicht haben uns bei der Anfahrt gut unterstützt und sind beim Vorankommen nicht zu unterschätzen. Ab 82 ° Nord hat sich dann aber auch für uns die Situation "verspannt". Die Dynamik des Eises hat sich erhöht, es wurde mächtiger. Wobei wir bis dato auch nicht auf solch mächtige Eismassen getroffen sind, wie sie von Stefan Schwarze beschrieben wurden. Dennoch wurden wir am Wochenende 13./14. Juni auf Grund von Eispress zum Stillstand gezwungen und mussten die Maschinen abstellen, um wertvolle Ressourcen an Brennstoff zu schonen, die wir wahrscheinlich später dringend benötigen werden und das Zünglein an der Waage sein können. Denn wir wissen ja, nichts ist in den Polarregionen berechenbar und jede Eventualität muss für den Schiffsbetrieb mit einkalkuliert werden.
Wie fühlt es sich an, die Polarstern „parken“ zu müssen und welche Herausforderungen gab es?
So ein Stillstand hat den Vorteil, dass man sieht, es ist nichts selbstverständlich und planbar - dass man sich halt den Gegebenheiten unterwerfen muss. Aus meiner Sicht, ob die Fahrt raus aus dem Eis von Stefan Schwarze oder jetzt wieder rein, haben beide Fahrten ihre Herausforderung. Der terminliche Druck, schwindende Ressourcen und damit eingeschränkt in der Routenwahl auf der einen Seite - jedoch wissend, dass man vom "schlechten" Eis ins "Gute" fährt. Und auf der anderen Seite - man fährt vom "Guten" in die unplanbarere Situation, zwar mit aufgestockten Ressourcen, aber die Unbekannte bleibt. Gleichfalls haben wir aber auch den Vorteil (siehe Wind), dass uns die Scholle in den letzten Tagen mit guter Drift entgegengekommen ist, was die Entfernung merklich verkürzt und uns den Anlauf vereinfacht hat. Um ein Fazit zu nennen: Es gab/gibt gute und schlechte Momente. Bei den schlechten ist man dann gut beraten, wenn man eine gewissen Gelassenheit und Abgeklärtheit entwickelt.
Was sind die Erwartungen an die Expedition?
Ich erhoffe mir, dass wir in der Gänze eine relative kurze Anfahrtszeit zur Scholle haben und wir die Wissenschaftler bedienen können, denn die noch bestehende südliche Drift und der beginnende Sommer stehen uns gegenüber. Ich hoffe wir können bestmöglich so lange wie möglich an der Scholle bleiben, damit die Wissenschaftler die Geburt der Scholle und deren Lebenszyklus bis zum unausweichlichen Ende begleiten können. Auch wenn das für Logistik und Navigation eine enorme Herausforderung stellen wird.
Wie war die Übergabe und wie ist es, jetzt nach wirklich langer Zeit wieder an Bord zu sein?
Die Übergabe war - man kann sagen - emotional. Es ist klar, dass nach so langer Abstinenz vom Schiff es erstmal ungewohnt ist, auf dem Schiff zu sein. Aber nach so vielen Jahren an Bord und nachdem man sich auch wieder in seiner Kammer eingerichtet hat, ist man auch schnell wieder "angekommen" und man hat das Gefühl - auch wie immer - nie weg gewesen zu sein.
Und wie war es als Passagier auf der Maria S. Merian?
Die Mitfahrt auf der Maria S. Merian war sehr erfrischend. Schließlich ist es auch ein Forschungsschiff, was halt Forschung betreibt. Es war interessant zu sehen, wie die Kollegen dort mit welchen Möglichkeiten ihre Arbeit leisten. Damit war es auch gut, mal was anderes kennenzulernen. Wir haben einiges mitgenommen, was wir auf Polarstern mit einfließen lassen können, um unsere Basis, die gut ist, zu verbessern - eine Symbiose der Vorteile halt.
Ich möchte hiermit auch gleich nochmals den Kollegen auf Maria S. Merian und Sonne für ihre Offenheit, Freundlich- und Gastlichkeit danken. Es hat wirklich Spaß gemacht und wir haben etwas mitgenommen. Ich bin mir aber auch sicher, dass es auf Gegenseitigkeit beruht. Den Kollegen erging es ähnlich. Final auch, als die Möglichkeit bestand zum Abschluss noch einmal Polarstern besuchen zu können. Man war trotz des Alters unseres Schiffes beeindruckt und voll des Lobes.
Gibt es besondere Herausforderungen für die Crew und wenn ja, welche?
Für die Crew sehe ich keine besonderen Herausforderungen. Viele Kollegen sehen es wie ich, es ist ein Auftrag wie jeder, und jeder Auftrag ist individuell einschließlich seiner Herausforderungen, denen man dann aus dem Pool seiner Erfahrungen entgegentritt.
Vielleicht ist neu, dass zwar eine Ablösung und Versorgung geplant und umgesetzt wird aber hier natürlich im Vergleich mit sonstigen Polarstern-Expeditionen mit größeren terminlichen Varianzen zu rechnen ist.